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An den Rand geshliben

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DIE KATZE IM SACK. Wieder einmal hat eine Partei die Öffentlichkeit mit einem Kommunique anzusprechen versucht, das so gut wie nichtssagend ist. Der Inhalt des Kommuniques sollte eine der wichtigsten, vielleicht die wichtigste Frage jeder parlamentarischen Demokratie betreffen, nämlich das Wahlrecht. Der Wähler, der dieses Wahlrecht schließlich ausüben soll, wird jedoch über den letzten Stand der Verhandlungen im unklaren gelassen. Die letzte bisher bekannt gewordene Meldung darüber besagt nur, daß die Parfeivertretung der SPD sich in einer mehrstündigen Sitzung mit dem Problem der Wahlrechtsreform befaßte. Sie stimmte „einem ihr vorgelegten Entwurf zu einer solchen Reform, der im Rahmen der Bundesverfassung bleibt und eine annähernd gleiche Slimmenzahl für jedes Nationalratsmandat vorsieht’, schließlich zu. Dieser Entwurf soll, als Abänderungsanfrag zu dem vorhandenen Initiativantrag der SPD, im Verfassungsausschuß des Parlaments und dann im Plenum selbst behandelt werden, all das irt den letzten drei Tagen der Frühjahrssession, sozusagen im Eilzugstempo, bevor noch die Feuerwehrmänner des Parlaments die Türen des leeren Sitzungssaales von außen zusperren und der sommerliche Schlaf des Hauses am Ring beginnt. Längst hat sich der Staatsbürger daran gewöhnt, daß auch Argumente wie „verfassungswidrig” und „im Einklang mit der Verfassung stehend’ nicht ernst genommen zu werden brauchen, weil im parteipolitischen Nervenkrieg die Argumentation mit der Bundesverfassung sozusagen Sitte geworden ist. So kann die oben zitierte Formulierung, wonach der letzte Abänderungsvorschlag der SPÖ im Rahmen der Bundesverfassung bleibt, eine Auffassungssache sein. Es kommt dabei auf die „Sicht’ und auf die „Optik’ an, wie es so schön heißt. Aus der „Sicht” des Staatsbürgers haf freilich das Ganze eine miserable „Optik . Eine Partei, die sich berufen fühlt, die parlamentarische Demokratie zuletzt sogar gegen 44 Zeitungen mit Händen und Füßen zu verteidigen, glaubt sich leisten zu können, aus dem Wahlrecht, der conditio sine qua non dieser Demokratie,-’’ eine faktische, ja optische Angelegenheit zu machen. Wie das Rennen vor Torschluß in den letzten heißen Tagen innenpolitischer Aktivität’aud absf- gehen mag, würdig,’nämlich der pan- lamentarischen Derrtokratre’würdig, ist das alles nicht. Und durch den Freudengesang, den die Propagandisten nach geschlagener Schlacht anstim- men würden — „Wir haben unsere Demokratie noch einmal gerettet!” — wird die Sache auch nicht schöner.

ZWEIDEUTIG — UNZWEIDEUTIG! Als ein Teilnehmer der letzten Ministerratstagung der EFTA in Edinburgh meinte, „Wir verstehen die österreichische Position”, da entstand im Saal Heiterkeit, und der Redner wurde durch den Zwischenruf unterbrochen: „Welche?” Dieser Zwischenfall, über den eine Wiener Zeitung auf Grund der Meldung ihres dort anwesenden Korrespondenten berichtete, wurde inzwischen natürlich amt- licherseits indirekt dementiert, indem darauf hingewiesen wurde, daß man in Edinburgh mit der „Informationsfreudigkeit Österreichs über die laufenden EWG-Konsultationen’ zufrieden gewesen sei und anderes mehr. Der österreichische Zeitungsleser muß sich allerdings sagen, daß der Eindruck, den er über die Integrationspolitik der Bundesregierung auf Grund der täglichen Lektüre der Zeitungen tatsächlich haben muß, nach wie vor ein zwiespältiger ist. Es mag sein, ja es ist sogar sicher, daß die einzelnen Sprecher und zumal der zuständige Ressortminister ihr eindeutig testgelegtes und stets vertretenes Konzept haben. Was nützt es aber ihnen und uns, wenn die Parteikorrespondenzen je nach Farbe „cum ira et studio’ über jede Äußerung eines Ministers berichten und erst recht hämische Glossen in die Welt streuen, wenn der Minister über die Verfälschung seiner Worte erbost ist und zu dementieren versucht. Kann man so eine vernünftige Politik täglich desavouieren und ins Lächerliche verzerren? Wie man sieht, man kann. Und der „Erfolg” — für wen?

— bleibt auch nicht aus.

FELDMESSEN IN KÄRNTEN. Jawohl, auch das gibt es. Im Verlaut der stürmischen Debatten über die Jubiläumsfeiern zum 550. Jahrestag — ist das überhaupt ein Anlaß zum Feiern?

— der letzten Herzogseinsefzung auf dem Zollfeld kam es schließlich zu streng getrennten Kundgebungen des Heimatdienstes und der Slowenen, wobei die politischen Parteien natürlich ihre Hände im Spiel haften. Aber auch die Gendarmerie hat dabei nicht gesehläfen, und so konnte schließlich alles doch noch in Ruhe ablaufen.., Etwas peinlich wurde die Sache für jene Chrisfenmenschen, di nicht mehr glauben, daß sie

Gottes Ratschluß für sich pachten können. Es wurden nämlich am gleichen strahlenden Sonntag, voneinander gar nicht allzusehr entfernt, zwei Feldgoftesdienste zelebriert. Der eine für die ehemaligen Kärntner Abwehrkämpfer, der andere für die christlichen Slowenen. In Predigten und anschließenden Festansprachen wurde des Anlasses gedacht, aber die Sprache und auch der Sinn waren verschieden. Daß die Teilnehmerzahl bei beiden Feldmessen nicht übermäßig groß war, mag in diesem Fall noch hoffnungsvoll stimmen. Und es steht zu hoffen, daß das nächste Jubiläum eine andere Generation in anderem, versöhnlichem, von nationalistisch-selbstmörderischem Hader abgerückten Geist feiern wird.

BARRY FOR PRESIDENT) Es ist noch nicht soweit, ja es wird wahrscheinlich niemals soweit sein. Aber die Tatsache bleibt bestehen, daß die Grand Old Party im 108. Jahr ihrer wechselvollen Geschichte durch eine hysterisch schreiende Menschenmenge überrannt worden ist, die ihren „Wo — want — Bar — ry’ mit allen Mitteln gegen eine zögernd gewordene und sich selbst plötzlich alt vorkommende Polifikerschar durchzusetzen vermochte. Barry Goldwater ist kein Hitler, wenn auch viele Symptome im Verlauf seines Wahlfeldzuges und viele seiner Aussagen geeignet sind, die Situation in Deutschland vor 30 und mehr Jahren dem europäischen Beobachter in Erinnerung zu rufen. Der Senator von Arizona haf sich ein höchst einfaches, einfältiges Programm zurechtgelegt, das voller innerer Widersprüche ist und überdies einen marktschreierischen „Kreuzzugsgedanken” gegen den Kommunismus propagiert. Natürlich fehlt das Moment der Denunziation nicht: eine mysteriöse Clique, bestehend hauptsächlich aus Wall Street, Eierköpfen und Kommunisten, konspiriert gegen Goldwater, der sich seinerseits auf das „einfache Volk’ und auf dre „Jugend” stützt. Goldwaters Gegner innerhalb der Partei, William Scranfon, mit dem Odium des „Zu spät und zuwenig” behaftet, kämpfte von vornherein auf verlorenem Posten. Eisenhower wahrte den Anschein der Neutralität. Und die Kopfkissen, die Rasierwasser und ein alkoholfreier Gold-Water- Punsch fanden reißenden Absatz. Es ist wie in einem satirischen ufopi- sehe , ‘Roman. Aber auch dos hat man schon einmal irgendwo gehört.

EIN KOMMUNIST ALTEN STILS.

Maurice Thorez, der im Alter von 64 Jahren jetzt gestorben ist, war 34 Jahre lang Generalsekretär der Kommunistischen Partei Frankreichs. Er stand an der Spitze einer mächtigen Parteiorganisation, war Mit- besfimmter des Geschickes der Dritten und dann der Vierten Republik, war stets ein Hauptakteur, ein „Chef” inmitten turbulenten Geschehens, und die Komintern, der spanische Bürgerkrieg, die französische Volksfront, der rasche Wechsel parlamentarischer Mehrheiten und Regierungen in Frankreich sind mit seinem Namen für immer verknüpft. Der massive, ehemalige Bergarbeiter mit der Statur eines Riesen war ein Machtfaktor, ein Diktator, mit dem alle rechnen mußten: die Politiker-Advokaten des Palais Bourbon und der Georgier hinter den Mauern des Kreml. Wegen dieses letzteren Mitspielers war er gefährdet. 1950, nach seinem ersten Schlaganfall, lud ihn Stalin auf Erholungsurlaub auf der Krim ein. Mauriac schrieb damals, halb ernst, halb im Spaß, darüber im „Figaro” einen Leitartikel. Dürfen wir, fragte er, „unseren” Thorez nach Rußland ziehen lassen? Damit er eines Tages im Sarg nach Paris zurückgebracht wird? Der nie geklärte plötzliche Todesfall des anderen Komintern- Mitspielers, Dimifroff, war damals eine düstere Neuigkeit. Thorez kam aber lebend zurück. Er rückte schließlich in den Olymp der Partei und wurde deren Zeus. Der Tod traf ihn an Bord eines sowjetischen Schiffes, das abermals Richtung auf die Halbinsel Krim nahm. Sein Leichnam wurde im bulgarischen Hafen Varna an Land gebracht.

BONN, PARIS, EUROPA. Der Münchner Parteitag der CDU wurde als gefährliche Hürde für den deutschen Bundeskanzler und seinen Außenminister angekündigt. Die Angriffe wurden aber von Erhard fürs erste abgebogen. Die letzte Auseinandersetzung über den in Frage gestellter außenpolitischen Kurs findet doch nicht vor dem großen Plenum, sondern im Konferenzzimmer statt. Erhard beruft sich darauf, daß er sich nur dem Mißtrauensvotum des Parlamentes zu beugen hat. Das ist in formaler Hinsicht zweifellos wahr, eine Regierung kann aber nicht gut ohne Stützung durch die Partei, die sie entsandte, existieren; das hat man in letzter Zeit auch in anderen Ländern gesehen.

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