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An den Rand geshrieben

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SOLL ES JETZT LEICHTER WERDEN! Ungewöhnlich, wie so vieles, was in diesen letzten Wochen in Österreich geschah, war der Rücktritt des Tiroler Landesrafes und ÖVP-Landes- obmanns Oberhammer. Ungewöhnlich im schlechten Sinne: unserem Lande und seiner an dieser „Front" schwer gefährdeten internationalen Reputation wäre besser gedient gewesen, wenn er den Kampf um seine Person zumindest bis zur Klärung aller Anschuldigungen durchgestanden hätte, deren Grundlage eben doch nur ein in seiner dokumentarischen Glaubwürdigkeit anzweifelbares Interview für eine ausländische Nachrichtenagentur war. Mit trotzigem Schweigen dient Oberhammer weder sich selbst noch der

Sache. Ungewöhnlich war sein Schrift freilich auch im guten Sinne: Nicht jeder, der große Worte führt, weiß sich dann, wenn es die Gesinnungskonsequenz zu ziehen gilt, vom bequemen Sessel zu lösen. Oberhammer wird nicht mehr zur Südtiroldelegation unseres Landes gehören. Es gibt Kommentatoren, die sich von seinem Ausscheiden nun eine wunderbare Wendung der Dinge versprechen. Sie glauben, daß wir uns leichter mit den Italienern verständigen werden, wenn er nicht mehr mit am Verhandlungstisch sitzt. Wir halfen diesen Optimismus für nicht ganz real. Die Sache selbst ändert sich nicht, ob sie nun ein Oberhammer mit harten oder ein anderer Politiker mit eleganteren Namen benennt. Wahrhaft aus der Welt schaffen kann den Stein nur die italienische Regierung selbst. Wenn wir eine ganz leichte Hoffnung hegen, dann ist es die auf die Gespräche, die nun Innenminister Scelba von Mann zu Mann mit den Südtiroler Abgeordneten angeknüpft hat.

BERLIN: ZUGBRUCKE AUF! Als Walter Ulbricht 1945 aus der Sowjetunion nach Deutschland zurückkehrte, um die politische Verwaltung des sowjetischen Teiles an dem vom Nationalsozialismus zurückgelassenen Trümmerhaufen zu übernehmen, gab er seinen Mitarbeitern folgende Zielsetzung: „Die Deutschen ■ haben Hitler akzeptiert und verteidigt. Nur zu gerne werden sie deshalb jetzt den Sozialismus akzeptieren und verteidigen. Und wenn nicht anders, werden wir ihn ihnen eindrillen." Was jetzt in Berlin geschieht, erweist den Bankrott dieser Zielsetzung und nebenbei deren Undialektik. Weil die Deutschen Hitler akzeptiert und schwer dafür bezahlt haften, sehnten sie sich darnach, endlich frei von jedem Zwang und normal zu leben. Darnach strebten sie, und als sie sahen, daß das in Ostdeutschland nicht möglich war, zogen sie es vor, die „sozialistischen Errungenschaften”, Arbeitsplatz und Haus und Hof und Acker in Stich zu lassen und in den Westen zu flüchten. Mit kaum mehr politisch, sondern nur eher schon klinisch diagnostizierbaren äußersten Mitteln des Zwanges sollen sie nun daran gehindert werden, das elementare Recht der Verfügung über die eigene Person auszuüben. Was man schon seif Ungarn (1957) bestimmt gewußt hat — daß kein kommunistisches Regime sich mit anderen Mitteln als denen des Zwanges zu halten imstande ist —, wurde der Welt wieder zur Kenntnis gebracht. Politisch dürfte die Zweiteilung Deutschlands nunmehr auf weitere Zeit, als manche gehofft hatten, festgelegt sein. Die Mächte, die es einiges gekostet hatte, Deutschland zu besiegen, werden keinen Krieg führen, um die Zweiteilung weder nach der einen noch nach der anderen Richtung hin aufheben.

DER KARDINAL HAT VIEL GESEHEN. Ein außerordentlicher Willensakt des Papstes war nötig, um den vormaligen amerikanischen Delegaten in den USA, Amleto Cicognani, schon 1958 in das Kardinalskollegium zu berufen. Da nämlich sein Bruder (der ehemalige Nuntius in Wien) diesem Senat der Kirche bereits angehörte und die kirchlichen Vorschriften seif den unseligen Jahrhunderten des Nepotismus solche „Familienhäufungen” verbieten, mußte eine eigene Dispens gewährt werden. Johannes XXIII. erteilte sie: So wichtig scheint ihm schon damals die verantwortliche Mitarbeit des heute Achtundsiebzigjährigen gewesen zu sein. Zu seinen jahrelangen persönlichen Erfahrungen im Zentrum der westlichen Welf kamen nun noch besondere neue Wissensbereiche hinzu. Er stand als Sekretär der (ständigen) Kongregation für die orientalische Kirche mitten im Strom des innerchristlichen Wesf-Osf-Gesprächs. Nun hat ihn sein päpstlicher Freund — wenige Tage nur nach dem Tode

Kardinal Tardinis — mit dem Amt des Kardinalstaatssekretärs betraut, über die Person des neuen Kardinalsfaatssekretärs wird noch ausführlich zu sprechen sein. Für heute nur dies: Cicognani ist im Gegensatz etwa zu Montini, den manche schon als Staatssekretär sahen, kein Repräsentant eines „Flügets" der Kirchenpolitik. Aber vielleicht beweist gerade seine Ernennung, dal? der Papst gerade jetzt keine starre und einseitige Festlegung wünscht, daß er einen Beobachter mit weltweiter Übersicht, einen Diplomaten der alten Schule an dieser so wichtigen Stelle sehen will, einen der nach dem Jakobus-Wort „schnell bereit ist zu hören und langsam zu reden”.

DIE ANGEKÜNDIGTE REVOLUTION. Angekündigte Revolutionen finden bekanntlich nicht statt. Gilt dieses Sprichwort auch für das Frankreich von heute? Die Behörden wollten sich auf keinen Fall darauf verlassen. Neben Berlin, diesem neuralgischen Punkt der Weltpolitik, glich auch eine andere Metropole des europäischen Kontinents in diesen Tagen einem Heerlager: Paris wurde durch eine Bereitschaffstruppe von 24.000 Mann nach allen modernen Regeln der Bürgerkriegsabwehr abgesichert. Auf den historischen Schauplätzen der Pariser Aufstände stehen Panzerwagen neben Panzerwagen. Der Elyseepalast ist umzingelt, obwohl der große Charles gar nicht in der Hauptstadt, sondern auf seinem Landsitz Colombey-des-deux-Eglises weilt, wo er übrigens die Arbeit der für seine Sicherheit Verantwortlichen durch immer wieder unternommene Ausbruchsversuche keineswegs leicht macht. Am 15. August, am angeblichen Stichtag der „Putschisten", ist nichts geschehen. Aber man munkelt schon von einem neuen Datum im Oktober, und des Rätselratens über die Aussichten eines Putsches ist kein Ende. Ein bekannter französischer Publizist, Jean Cau von der Wochenzeitung „L'Express”, analysiert mit der auch dem französischen Journalisten eigenen Luzidität die Lage. Seiner Ansicht nach gibt es drei Arten einer „force de frappe”, die im gegebenen Augenblick losschlägt: eine durch elementare Begeisterung bewegte Menschenmenge, die regulären Einheiten der Armee oder zivile Einsatzkommandos, welche die wichtigsten Punkte planmäßig besetzen. Im Falle des Hitlerischen Staatsstreiches habe es alle drei Arten gegeben; im Frankreich von heute, meint er, gebe es eigentlich keine von ihnen. Aber, fügt er hinzu, man könne es nie wissen…

DIE MAJORITÄT. Ist es wirklich erst ein gutes Jahrzehnt her, seit wir am Abschluß fast aller Sitzungen der UNO-Vollversammlung nahezu die gleichen Abstimmungsergebnisse registrierten? Die einheitliche Blockbildung einer übergroßen Majorität der damals kaum über fünfzig zählenden Mitgliedschaft. Da und dort eine Enthaltung aus speziellen Erwägungen eines Einzelstaafes. Und dann eben immer das stereotype „Njet" der Kleinen Sechs, die damals den „Ostblock" bildeten. Rußland, Ukraine, Weißrußland, CSR, Polen und — Jugoslawien. Den Sowjets blieb zur Durchsetzung ihrer Wünsche nach solchen Niederlagen vor dem allgemeinen Forum eben immer nur die Handhabung des starren Vetos im engeren Gremium des Sicherheitsrates. In diesen Tagen ist es anders, ganz anders geworden. Nicht der Ostblock allein war es, der gegen den ausdrücklichen Willen der großen Westmächte und ihrer Verbündeten eine Vollversammlung zur Beratung des Biserta-Streitfalls zwischen Frankreich und Tunesien erzwang. Es gelang den Afrikanern und Asiaten, eine absolute Mehrheit in der Vollversammlung für ihre Wünsche auf die Beine zu bringen. Der Westen wurde überstimmt. Um die letzten drei zur knappen Mehrheit nötigen Staatenstimmen gab es einen dramatischen Wettlauf von mehreren Tagen. Schließlich ging es nur noch um ein einziges Delegierfenvotum. Auf Anweisung der Stockholmer Regierung kam es schließlich vom neutralen Schweden, das nun bestimmt weder zum Ostblock noch zu den rabiaten „Unterentwickelten” gehört. Die Sitzung wird abgehalten werden. Sie kann zu einem Tribunal über die Alte Welt werden, wenn es nicht im letzten Augenblick gelingt, diesen blamablen Eklat zu vermeiden. Nach Lage der Dinge vermögen dies nur die Amerikaner, denen nun zu allen anderen auch noch diese heikle Vormachtsorge der freien Welt aufgebürdet wurde. Es sei denn, Frankreich und Tunis einigen sich im letzten Augenblick auf dem direkten Wege, den de Gaulle vorgeschlagen hat.

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