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An den Rand geshrieben

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UNTER STRENGSTER DISKRETION. Das Verhandlungskomitee der Regierungsparteien, das aut Wunsch der Volkspartei für den 2t. September einberufen worden war, hat, für viele überraschend, neben der Nachfolge Olahs auch noch weitere Fragen zu klären gehabt, die sozusagen den künftigen Alltag in der Wiener Herrengasse und bei den ihr unterstehenden Behörden zu regeln hatten. Der Innenminister und der Staatssekretär im Innenministerium wurden gemeinsam beauftragt, auch über die „künftige Handhabung des Asylrechtes in Österreich’ an den Ministerrat zu berichten. Gibt es da überhaupt etwas zu klären? Die Frage ist nicht unberechtigt, denn erstens dürfte in diesem Punkt, der ja auch engstens mit einer sinnvollen Praxis der Neutralität zusammenhängt, überhaupt keine Unklarheiten geben, zweitens, wenn es schon solche leider gibt, dann hätte man sie von vornherein mit der breitesten Öffentlichkeit konfrontiert und eine Ehrensache daraus gemacht, daß sie sofort und gründlichst behoben werden. In Österreich geschah etwas anderes. Das Asylrecht für politische Flüchtlinge wurde durch eine in mehrerer Hinsicht fragwürdige Praxis der österreichischen Sicherheitsorgane durchlöchert, wozu diesen ausführenden Organen auch sogar Gesetze mit Gummiparagraphen die Handhabe boten. So konnte es immer wieder vorkommen, daß Flüchtlinge, die der Stacheldrahf- grenze mit den Minenfeldern glücklich entronnen sind, „formlos’ wieder zurückexpediert wurden, wenn man sie im Grenzgebiet aufgelesen hat. Der Skandal mit den jugoslawischen „Wirfschaftsflüchflingen" ereignete sich in ununterbrochener Folge. Untergeordnete und dafür ungeeignete „Amtsorgane' konnten in Österreich seit Jahren ungehindert, ja durch Paragraphen gedeckt, über die Existenz von Menschen, die sich dem neutralen Österreich anvertrauten, entscheiden. über alles breitete sich die Hülle „strengster Diskretion . Jetzt müßten Innenminister und Staatssekretär mit dieser bisherigen Praxis radikal aufräumen und auch in die entferntesten und dunkelsten Winkel hineinleuchfen. Denn sonst wird eine aufgescheuchte öffentliche Meinung im In- und Ausland das Ärgste annehmen müssen.

DIE ALTERNATIVE. Erste Anzeichen dafür, dafj die Wähler der-SPÖ in der Affäre Olah mit der sozialistischen Parteiführung nicht restlos mitgehen, liegen vor: aus den Arbeiterkammerwahlen 1964 ist der österreichische Arbeiter- und Angestelltenbund, zumal auf Wiener Boden, als eindeutiger Gewinner hervorgegangen. Das ist, wenige Wochen vor den Landfagswahlen, ein bedeutungsvoller Fingerzeig, wenn auch keineswegs mehr, denn die Wahlen am 25. Oktober werden ganz andere Wählermassen mobilisieren. Der Stimmenanteil des ÖAAB ist bei den Arbeiterkammerwählern in den letzten zehn Jahren um mehr als vier Prozent gestiegen. Wer auch nur einigermaßen Einblick in die Werbe- und sonstige Methoden der Sozialisten in den Betrieben hat und weiß, wie leicht es ihnen manchmal fällt, ihre Kollegen bei der Stange zu halten — zumal, wenn sie dabei auch durch besonders „kluge’ Unternehmensleitungen unterstützt werden —, der wird diese vier Prozent richtig werten können. Nun kam freilich der Skandal um die Absetzung des sozialistischen Innenministers und einstigen Gewerkschaffspräsidenfen hinzu. Wie dieser „Fall’ nach den inzwischen schon wieder stark abgeschwächten Teilenthüllungen schließlich auch „erledigt’ sein wird, die moralische Niederlage ist der gegenwärtigen Führung der Sozialistischen Partei gewiß; darüber wird sich wohl auch jetzt schon niemand Illusionen machen. Etwas anderes ist immerhin die Reaktion der Wählermassen. Weder Olah, noch Pitter- mann sind mit der Partei zu identifizieren. Vor allem aber hängt sehr viel von der Alternative ab, welche die andere Seite dem Wähler zu bieten vermag. Der Wiener ÖVP kommt in diesen Wochen der Umstand zustatten, daß sie in vorletzter Stunde doch zu einem brillanten Deuter der Wienpolitik der Volkspartei gekommen ist. „Mit neuen Methoden, neuen Menschen und neuen Zielen’ will die Volksparfei, laut Stadtraf Dr. Drimmel, ihre Grundsätze auch auf kommunalpolitischem Gebiet verwirklichen. Die Bürger dieser Stadt werden zur tätigen Mitwirkung aufgerufen.

BUDGET UND ÖFFENTLICHE MEINUNG. Die Budgetverhandlungen auf Ministerebene nähern sich gegenwärtig ihrer Endphase. Finanzminister Dr. Schmitz hat die ersten Hürden anscheinend gut genommen: er ist, wie aus seinen Äußerungen hervorgeht, mit den bisherigen Gesprächen, die er mit seinen Ministerkollegen führte, recht zufrieden. Aber die Schwierigkeiten werden sich noch rechtzeitig einstellen, spätestens dann, wenn die Frage der von beiden Parteien in Aussicht gestellten Renlenerhöhung aufgeworfen werden wird. Zwei Wege stehen für die Erfüllung dieser an sich berechtigten Forderung offen: eine Steuererhöhung oder die Erhöhung der Sozial Versicherungsbeiträge. Beides hängt mit dem obersten Ziel des Finanzminisfers zusammen, die Kaufkraft des Schillings zu halten, nicht zuletzt im Interesse jener Rentner, denen man sonst, wenn auch mehr, aber dünnere Schillinge in die Hand drücken würde. Diese Zusammenhänge sind noch immer nicht allen geläufig. Der Finanzminister weiß, daß er nur eine wirkliche Verbündete hat: die öffentliche Meinung.

DER TOD DES PRÄSIDENTEN. Nach zehn Monaten erfuhr die Welt endlich „alles" über den Tod Präsident Kennedys am 22. November 1963 in Dallas, verübt durch einen Mann namens Lee Oswald, der keine Kompltzer hatte. Dieses Ergebnis - der Untersuchung durch die Warren- Kommission ist mager und läßt nicht nur Jie vielzifierten sensationslüsternen Journalisten unbefriedigt. All das, was in diesem Bericht steht, hat man schon, wenn auch nicht in allen Details, gewußt. Und nach zehnmonatiger Tätigkeit, nach Anhören von 552 Zeugen, kam diese aus höchsten Autoritäten des amerikanischen öffentlichen Lebens bestehende Kommission zu Folgerungen und abschließenden Urteilen, die zerstreute und geschwätzige Sheriffs in Texas unmittelbar nach dem Mord vor Journalisten von sich gaben. Also Hut ab vor den tüchtigen Boys in Dallas, und endlich Schluß mit den Vermutungen und Anspielungen, die jetzt erneut in die Spalten fast aller Zeitungen der Welt wiederkehren! Es ist freilich unmöglich, auf Grund von Milieubeschreibungen oder gar von bloßen „Gefühlen’ die Arbeit eines großen Expertenteams und die Glaubwürdigkeit von anerkannten Persönlichkeiten in Zweifel zu ziehen. Was bleibf also anderes übrig, als die Einsicht, daß es auch so etwas wie eine höchste Staatsräson geben muß, ohne deren Beachtung ein geordnetes Gemeinwesen zur Verderbnis aller im Chaos untergehf. Diese Staatsräson drängte zu einem Schlußpunkt hinter der Diskussion über den Präsidentenmord, zehn lange Monate nach dem Schreckenstag in Dallas.

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