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Digital In Arbeit

An den Raud geshriefen

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KONKRET UND MASSIV: Mit gutem C

Recht, das ihnen die Arbeitnehmer c auf der „anderen Seite”, die auch I nicht gerade zimperlich auftreten, t nicht abstreiten können, haben sich I die Männer des Wirtschaftsbundes in der nach den Weihnachtsferien wie- der angebrochenen Debatte zu Wort c gemeldet. Salzburg war der Tagungs- ‘ ort, aber die Versammelten wiesen mit Selbstbewufjtsein darauf hin, daß t fünf, zum Teil durch respektable Dele- c gationen vertretene Bundesländer I (gemeint sind natürlich deren bürget- i liehe Wirtschafttreibende und keine i etwaigen Territorialarmeen) hinter ihnen stünden. Was man formulierte, I war als Ausdruck legitimer Wirt- schaftsinteressen recht und billig. Auch der als Gastreferent erseht - nene Ing. Julius Raab, Kämpe und I Schirmherr des österreichischen Ge- werbes, pflichtete den Delegierten im I Sachlichen der Forderungen so ziem- - lieh bei. Als es allerdings zur teilweise recht heftigen und von Urlau- j ien gegen die „Republik der Kameraden von 1945’ nicht ganz freien Debatte kam, wurde es deutlich, dal) | genannter Julius Raab auch der Bundeskanzler ist und daß er, ohne ‘ Verleugnung seines wirtschaffspolitischen Herkommens, im vergangenen Jahrzehnt über sich selbst hinaus- ) wuchs. Er goß manches Wasser in “ den allzu starken Wein, der da und dort angeboten wurde. Und vom „Bürgerblock” hält er nicht einmal auf der Ebene der Lislengemelnschaft bei den Handelskammerwahlen allzuviel. Dennoch war man ihm dankbar, daß er gekommen wor. Wie sollte er auch nicht: Die Wirtschafttreibenden sind eine Realität unserer Innenpolitik. Und für echte Realitäten, die klar ausgesprochen und nicht schwülstig drapiert werden, hat „der Julius” immer ein Verständnis.

FETISCH EWG: Wer die Schlagzeilen einer gewissen Presse und die vehemente Propaganda gewisser Politiker in Österreich beobachtet, muij den Eindruck erhalten: Österreich geht zugrunde, wenn es nicht mit vollen Segeln Anschluß an die EWG sucht. Für diese Politiker und ihre Trabanten ist die „Europäische Wirtschaftsgemeinschaft unbewußt und hier und dort auch bewußt, zu jenem „Reich" geworden, in deru alle Sorgen untergehen, und aller Reichtum, Macht und Gröfje aufgehen… Übersehen wird dabei nur, daß die EWG in ihrer heutigen absolutistischen Form gerade in Deutschland schärfste Kritiker findet. Eben zu Beginn des neuen Jahres 1961 hat Wirtschaftsminister Erhard der EWG-Kommission in Brüssel direkt Sabotage an der Integration Europas vorgeworfen. Breite Kreise der deutschen Wirtschaft sehen in der ganz auf ein deutsch-französisches Kondominium abgesfellten allzu linearen, allzu herrscherlichen bisherigen Konstruktion der EWG und ihrer recht rücksichtslosen Politik eine schwere Schädigung nicht nur des europäischen Gedankens, sondern auch der deutschen Wirtschaft selbst. Nun hat Erhards Staatssekretär, der bekannte Professor Müller-Armack, einen Plan ausgearbeitef, demzufolge EWG und EFTA eine neben diesen beiden weiter bestehenden Blöcken zu bildende Dachgruppe der Dreizehn bilden sollen. Diese Dachgruppe soll einen gemeinsamen Außenzoll besitzen, die Binnenzölle zwischen den beiden Blöcken aber aufrechterhalten. Hier wird zumindest der Versuch gemacht, die immer tiefer werdende Kluft zu überbrücken. Die integralen Männer der „Integration in Brüssel verlangen faktisch Unterwerfung, nicht echte Assoziation. Das haben gerade Schweizer Wirtschaftsmänner klar erkannt und klar ausgesprochen. Es ist an der Zeit, daf) in Österreich die innerdeutsche und die gesamteuropäische Auseinandersetzung um EWG und EFTA mehr als bisher wahrgenommen und in Innen- und Außenpolitik berücksichtigt wird. — N. B.: Die CDU CSU hat sich offen für Erhard als Nachfolger Doktor Adenauers entschieden.

DER STREIK WURDE ZUR STAATSKRISE: Innerhalb von drei Wochen hat sich in Belgien die Streikwelle zur Staatskrise ausgeformt. Wohl wurde das Spargesetz der Regierung vom Abgeordnetenhaus gegen die Stimmen der Sozialisten angenommen. Gleichzeitig aber haben rund vierhundert sozialistische Politiker aus Wailonien sich in Namur als „Versammlung legitimer Mehrheitsvertreter des wallonischen Volkes konstituiert und fordern die Autonomie Walloniens im Rahmen eines föderalistischen belgischen Staates. Sie verlangen eine Audienz bei König Baudouin, um dem Monarchen eine „feierliche Botschaft zu überreichen. Wir wollen nicht den Propheten spielen: Nach den Erfahrungen der

Geschicht ist jedoch zu erwarten, daß ein Land nach so schweren Verlusten, wie hier des Kongo-Reiches, der zunehmenden außenpolitischen Isolierung, des bevorstehenden notwendigen Umbaues wesentlicher Teile seiner Wirtschaft und, bei bestehenden archaischen Zuständen im System späfkapitalistischer Patron- Wirtschalt, sich nur durch einen Neubau der staatlichen Struktur vor der Getahr der Revolution und Diktatur retten kann. Wir wollen nicht mißverstanden werden: Belgien ist heute so tief eingewurzelt in die westliche politische und wirtschaftliche Gemeinschaft, daß sein Austritt aus ihr nicht zu befürchten ist. Um so rascher und entschiedener muß um echte Lösungen gerungen werden. Dazu scheinen gegenwärtig weder die Sozialisten noch die Regierung Eyskens befähigt. Erst nach Neuwahlen kann mit einer wirklichen Befriedung gerechnet wer’rn.

DER BRIEF DES PRIMAS VON SPANIEN: In einer überaus schwierigen Situation befindet sich seit geraumer Zeit der spanische Episkopat. Seine Bischöfe sind einerseits dem Druck des Regimes, das sie ernannt hat (gemäß dem Konkordat von 1953 hat Franco die Vorwahl aus drei Vorschlägen) ausgesetzt, und müssen anderseits auf die steigende Unruhe im spanischen Volk Rücksicht nehmen. Da hat nun der Primas von Spanien, der Erzbischof von Toledo, Kardinal Pia y Daniel, die Flucht nach vorne ergriffen in einem Brief an den Parteiminister Solis, den Chef der staatlichen Einheitsgewerkschaften. Dieses zehn Seiten lange Dokument ist ein historisch-politisches Dokument ersten Ranges. Sein Leitmotiv ist: „Im

Spanien von 1960 kann man nicht vorgehen wie im Spanien von 19401 Der Kardinal-Primas von Spanien kritisiert die außerordentliche Willkür und Rechtswidrigkeit des Regimes, indem er dessen Syndikate direkt mit jenen Hitlers und der Sowjets vergleicht. Zur Zeit der Schaffung dieser „Gewerkschaften" im Bürgerkrieg habe sich die spanische Regierung zum totalitären Prinzip bekannt. „Doch heute wagt niemand, weder in Spanien noch sonstwo aut der weiten Welt, mit Ausnahme der Sowjets, sich totalitär zu nennen." Der Kardinal wendet sich gegen die Verfolgung der leitenden Mitglieder der Arbeiterbruderschatten der Katholischen Aktion, denen Anerkennung und Petitionsrecht versagt ist, durch die Polizei: „Sie werden bestraft für das, was sie gesagt haben sollen, und für Nichtausgesproehenes bei Akten, an denen der Bischof ihrer Diözese das Präsidium innehatte.” Der Kardinal von Spanien scheut nicht zurück, dem Regime das Schicksal Perons warnend vorzustellen. Das ist die stärkste Warnung, die bisher der Regierung von führender kirchlicher Seite zukommt. Es ist möglich, daß Franco selbst sie gar nicht ungern vernimmt; sie kann ihm helfen, sich noch mehr von den spanischen Faschisten zu lösen. Schon hört man, daß er persönlich die bevorstehende große Picasso-Ausstellung in Madrid eröffnen soll…

DIE PARTEI GESTEHT: Nicht ganz vierzehn Tage, nachdem Radio Peking die katastrophale Situation der chinesischen Landwirtschaft und die Mißernten des Jahres 1960 der Weltöffentlichkeit mitgeteilf hat, hat das Zentralkomitee der Kommunistischen Partei der Sowjetunion der Öffentlichkeit dieses Schauspiel vorgeführt: die Enthüllung katastrophaler Zustände in der sowjetischen Landwirtschaft 1960. 3,3 Millionen Schafe und

Ziegen sind allein in Kasachstan, 200.000 Käiber in Georgien verhungert. Chruschtschow stellte vor dem Plenum die führenden Politiker der Unionsrepubliken zur Rede und griff sie teilweise aufs schärfste an. Die nahe Zukunft wird zeigen, wie weit die bevorstehenden Säuberungen Innenpolitisch eine Stärkung der um Chruschtschow gescharten Gruppe i bringen wird. Außenpolitisch sind i zwei Momente im Hintergrund dieser I „Abrechnung” und Rechenschafts- I legung beachtenswert: Richtung

s Peking bedeuten die Moskauer Ent- . hüllungen, daß eben diese sowjet- russische Landwirtschaft, die 1960 so sehr versagt hat, kaum 1961 in bedeutendem Maße den hungernden ■ Genossen in China entgegenkommen kann. Richtung Washington ist das : Drängen auf eine Zusammenkunft Chruschtschows mit Kennedy von Tag zu Tag stärker geworden. Kennedy, der soeben sein Amt übernommen hat, scheint in Anbetracht der explosiven Möglichkeiten dieser Situation früher, als geplant, zu einer Begegnung bereit zu sein.

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