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An den Raud geslireben

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KEINE NIEDERLAGE FÜR SUDTIROL.

Als einen halben Erfolg — einer „zweiten Sieg” im Duell — kann man das Abschneiden der österreichischen Delegation in der Südtirol-Auseinandersetzung vor dem UNO-Forum immerhin buchen. Die Weltöffentlichkeit, deren Verständnis für unsere Sache 'm Verhältnis zum Vorjahr ein wenig gewachsen zu sein scheint, hat uns wieder auf den Weg der zweiseitigen Verhandlungen gewiesen. Auch das Finden einer friedlichen Schliohtungsinsfanz wird wohl oder übel wieder gemeinsam verhandelt werden müssen. Den letzten, aber wirklich allerletzten Vorhalt, nach Jahresfrist erneut vor der UNO zu erscheinen, haben wir uns gesichert. Mit Recht hat der Außenminister allerdings darauf hingewiesen, dal) er Gespräche mit Rom erst wieder beginnen möchte, bis der mit so vielem Vorschußlofe — übrigens auch in dieser Zeitung — begrüßte Sfudienausscbuß der italienischen Regierung halbwegs greifbare Resultate vorgelegt hat. Rom ist nun wirklich am Zuge.

BEI NACHT UND NEBEL. Die jüngste Spioneninvasion im östlichen Bundesgebiet, das Auftauchen dubioser Gestalten „im Gelände bei Nacht und Nebel, ist unverständlich, rätselhaft, und wäre die Weltlage nicht so gespannt und die Konsequenzen daraus auch für ein neutrales Land durchaus ernst — könnte man die Sache für eine Entlehnung aus der Requisitenkammer alter Spionageschmöker und mithin für durchaus amüsant finden. Mit Amüsement hat sie jedoch nichts zu tun. Wenn die militärischen oder politischen Stellen unserer östlichen Nachbarn es für richtig und wünschenswert finden, geradezu Schwärme von Spionen und Agenten über unsere Grenzen zu werfen — während sie sonst die Dringlichkeit der Wiederherstellung gutnachbarlicher Beziehungen mit Österreich ja betonen — dann hat das vermutlich einen in ihrer „höheren Strategie liegenden Sinn, über den wir uns zur Zeit allerdings nur in Mutmaßungen ergehen können.

EUROPÄISCHES RISORGIMENTO!

Eine neue politische Partei hat sich am letzten Wochenende in Wien zu W9 gemeldet. Als Initiator und Vorsitzender der Partei, die sich „Europäische Föderalistische Partei Österreichs" nennt, zeichnet der langjährige Präsident des Europäischen Colleges Alpbach, Otto Molden. Eine fest umris- sene Organisation und eingeschriebene Mitglieder hat die Partei noch nicht. Sie wird, wie der Sprecher bei der Pressekonferenz freimütig einbekannte, zusammen mit der „Föderalistischen Internationale zunächst von kleineren Gruppen gleichgesinnter Freunde in Österreich und Deutschland getragen. Die Partei lebt also gegenwärtig noch fast ausschließlich in ihren programmatischen Zielsetzungen, es ist daher dieses Programm, das über Sinn und Zweck der Parteigründung auszusagen hat und auch einige Aufmerksamkeit verdient. In der Vorschau des Programms — ein endgültiges „Nationalprogramm” soll später folgen — stehen Worte wie „Risorgimento", „Legion , „Revolution sowie andere Relikte aus dem politischen Wörterbuch der Väter und Vorväter. Nichts oder nur sehr wenig Konkretes befindet sich darin von den politischen, soziologischen Voraussetzungen, die eine Parteigründung sinnvoll, ja zwingend notwendig erscheinen lassen. Es ist ein weitgezogener Rahmen, und es sind viele schöne, unverbindliche Worte. Dem idealistisch gesinnten Gründer hätte man gewünscht, daß ihm die Enttäuschung, die ihm wohl noch manche forsche Gefolgsmänner bereiten dürften, erspart bliebe.

KEKKONENS FINNLAND. Nicht zuletzt in Österreich werden die finnischsowjetrussischen Beziehungen mit gespannter Aufmerksamkeit beobachtet. Kekkonen ist aus Nowosibirsk nach Helsinki zurückgekehrt. Chruschtschow hat sich bereit erklärt, die finnisch-sowjetischen Militärberatungen aufzuschieben. Der Preis, den Kekkonens Finnland dafür bezahlen muß, ist ein dreifacher: es muß seine Innen- und seine Außenpolitik sorglich und sorgfältig nach Moskau ausrichten und muß, das ist besonders fatal, Beobachter der NATO- Staaten im skandinavischen Raum spielen. Spielen, das Ist wohl so zu verstehen: Da Moskau selbst durch eigene Gewährsmänner nicht nur über jedes öffentliche Wort des Ministers Strauß bei seiner NATO-Reise durch Dänemark und Norwegen sowie über jede politische und militärische Bewegung daselbst wohlunterrichtet ist, fäHt Finnland die Funktion zw, von Moskau her, Däne mark und Norwegen ständig zu monieren. Wahrscheinlich dürfte im Moment dies der Hauptzweck des russischen Druckes aut Helsinki sein: Skandinavien obzuschrecken. Moskau weiß nicht, wieviel in nächster Zeit aus der Berlin-Krise herauszuholen ist. Also soll neben dem „Loch Berlin” das große Loch Ostseeraum verschlossen werden.

MACMILLAN UND DE GAULLE. Sie sprechen sich selbst leicht miteinander, die beiden bedeutenden Konservativen, die führenden Staatsmänner Englands und Frankreichs. Es hat guten Sinn, daß sie einander jetzt in der ländlichen Abgeschiedenheit, auf dem Landsitz MacMillans, „Birch Grove” in Sussex, getroffen haben. Journalisten sollten nicht Gelegenheit haben, jederzeit die von Sorgen erfüllten Gesichter der beiden Männer mit Blitzlichtern zu „schießen”. Es ist etwas wie Tragik um diese beiden und um den Dritten, Abwesenden, auf dem Krankenlager in Rhöndorf, um Dr. Adenauer, dem mehr als einmal die Gespräche in Sussex gelten: sie, alle drei, haben jetzt lange Jahre redlichen Kampfes um die Selbst behouptung und Weltgeltung ihrer Nationen hinter sioh und stehen in diesem trüben Spätherbst vor įeiner ganz ungewissen Zukunft. De Gaulle hat Algerien vor sich als eine Zentnerlast, immer noch, und er hat nicht mehr, wie so lange doch, ein Volk hinter sich. Frankreich ist uneins und unruhig. MacMillans Partei und das englische Volk sind strapaziert durch die Anstrengungen, die dem Vereinigten Königreich bevorstehen, auf seinen Wegen in die EWG und im Commonwealth. Führt die Sorge die beiden sehr differenten Persönlichkeiten einander näher, de Gaulle und MacMillan? Der Staatschef Frankreichs dürfte für ein Entgegenkommen hinsichtlich gemeinsamer westlicher Verhandlungen mit den Russen eine Unterstützung in Afrika verlangen: Wie aber soll diese aussehen? Eben hat de Gaulle in Straßburg seinen Anspruch auf die französische Atombombe und ihre Erprobung neuerlich betont. Soeben aber hat eine UNO-Mehrheit Afrika als atomwaffenfreie Zone erklärt. Und England wird sich hüten, mit den Afroasiaten „anzubinden". Die Erinnerung an das unglückliche Suez- Abenteuer ist in London stärker als in Paris lebendig. So stehen sie einander gegenüber, die zwei „sehr verdienten Staatsmänner"; nicht wie in Eliots Stück, aber auch nicht stärker. Kein Kommunique über die Verhandlungen ...

KENNEDY SPRACH ZU DEN SOWJETMENSCHEN. Kerenski soll im Exii einmal gesagt haben, daß drei Tage absoluter Redefreiheit in Rußland genügen würden, das kommunistische Regime aus den Angeln zu heben, inzwischen sind Jahrzehnte vergangen, und auch eine noch so freie Rede Kerenskis würde kaum einen Umsturz herbeiführen. Man isf inzwischen bescheidener geworden und hat eingesehen, daß die sachliche Informationsfreiheit zu Zeiten wichtiger sein kann als die planlose Redefreiheit im Niemandsland des Unwissens. Präsident Kennedy hat allein die Tatsache, daß sein dem Chefredakteur der „Iswestija gegebenes weltpolitisches Interview ungekürzt veröffentlicht wurde, als einen bemerkenswerten Schritt zur Verständigung hlngestelH. Vielleicht konnte er noch nicht einmal voraussehen, in welchen langen Menschenschlangen sich die Sowjetbürger vor den Zeitungskiosken stauten, um seine Worte zu lesen. Das für die übrige Welf Selbstverständliche wurde zur Sensationsbotschaft: Hier stand es schwarz auf weiß und ohne das übliche gehässige Dementi: die USA wollen weder selbst die Sowjetunion angreifen noch zu diesem Zweck die Deutschen atomar bewaffnen („es würde mir zutiefst widerstreben ). Dem Kommunismus aber werden sehr deutliche Worte über seine unveränderten Expansionstendenzen ins öffentliche Stammbuch geschrieben.

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