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An den Round geschrieben

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APPELL AN DIE FAIRNESS. Wie am Semmering angekündigt, hat der designierte Bundeskanzler Dr. Gor- bach nun dem Koalitionsausschub ein Dokument vorgelegt, das die sachlich-institutionelle Formulierung aller jener Reformgedanken enthält, die durch die erste Regierungspartei einhellig vertreten werden. Dem Parlament soll das verfassungsmäßig-natürliche Erst- und Letztentscheidungsrecht in stärkerem Maße als bisher eingeräumt werden. Der Koalitionsausschuß, dessen Sitz sinngemäß in das Haus am Ring verlegt werden soll, hat die Aufgabe einer Schlich- tungs- und Koordinierungsslelle, deren Existenz allerdings nach wie vor als unerläßlich angesehen wird. Die Sozialisten haben das Vorschlagsdokument entgegengenommen und damit ihre Bereitschaft zu grundsätzlichen Gesprächen bekundet. Wichtiger noch sind zwei Kommentare von maßgeblicher Seife der Volkspartei. In einer Linzer Rede sprach sich Dr. Gorbach entschieden gegen das praktisch auf eine „Rechtskoalition” hinzielende System „wechselnder Mehrheiten” aus. Auf einer burgenländischen Versammlung des ÖAAB stellte der Obmann dieses Bundes, Dr. Maleta, klar, daß er zwar mit allem Nachdruck zu den Vorschlägen einer Koalitionsreform stehe. Aber auch bei ihrem Nichtzusfandekom- men im gegenwärtigen Zeitpunkt werde sich die Partei durch nichts und von niemandem „auf einen gefährlichen Weg” drängen lassen. Es wird nun an den Sozialisten liegen, diese von verletzender ultimativer Schärfe bewußt freigehaltenen Worte als Appell an die eigene demokratische Fairneß zu verstehen. Gewiß kann sre niemand hindern, unter Hinweis auf die tatsächlichen Machtverhältnisse im augenblicklichen Nationalrat die Reformvorschläge mit einem sturen Nein zu beantworten. Ob eine solche Haltung allerdings durch die Wähler honoriert wird, müssen die erfahrenen Taktiker dieser Partei selbst am besten wissen.

„SCHWARZER MARXISMUS”. Es wird langsam gespenstisch in Österreich. Jetzt darf man schon nicht mehr einen Staatssekretär der Volks- parfei unterstützen, ohne mit ihm des Kryptokommunismus verdächtigt zu werden. So geschehen am letzten blauen Montag. Der Name des Staäbsekrefqrs: Grubhofer, der Name der Zeitung: Die Furche. „Schwarzer Marxismus” heißt die neue Sprach- schöpfung. Wir wissen dafür eine alte und bessere Bezeichnung aus der einschlägigen juristischen Fachsprache: Versuch eines politischen Rufmordes. Er wird ihnen nicht gelingen.

BERICHT VON DER FRONT: Die österreichischen Frontberichte liegen für das Schlachfjahr 1960 noch nicht vor. Wohl aber die der Bundesrepublik Deutschland. 14.018 Menschen sind 1960 im Bundesgebiet (ohne Berlin) bei 334.180 Verkehrsunfällen ums Leben gekommen. Weitere 436.100 Personen erlitten bei diesen Unfällen Verletzungen. Dazu kommen noch 610.377 Verkehrsunfälle, die nur Sachschäden verursachten. Im Vergleich zu 1959 erhöhte sich die Zahl der Unfälle mit Personenschaden um 6,2 Prozent, die Zahl der Getöteten um 3,5 Prozent und die der Verletzten um 7,9 Prozent. Um 24,5 Prozent nahm die Zahl der Unfälle zu, bei denen nur Sachschaden entstand. Wir können nur hoffen, daß durch die neue Verkehrsgesetzgebung in Österreich, nicht zuletzt durch die drakonische Bestrafung von Alkoholsündern, bei uns die Zahl der Getöteten, Verletzten und Sachge- schädigten in diesem Jahre zurück- gehf. Die Berichte von der Schlacht auf der Straße, vom Kampf um die Straße zeigen eindrucksvoll, wie viele Menschen mit der Freiheit, mit ihrer Bewegungsfreiheit, nichts Gutes anzufangen wissen.

DIE AUFWERTUNG DER D-MARK:

Streng geheimgehalten wurde bis zum Beschluß der Bonner Bundesregierung vom 4. März die Aufwertung der D-Mark um rund fünf Prozent. Es ist ganz unmöglich, hier auf knappstem Raum und bereits heute die vielen Kettenreaktionen festzustellen, die diese Aktion auslösen kann. In der Bundesrepublik selbst wurde die Aufwertung vom Präsidenten des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, Fritz Berg, von der Opposition und von der Gewerkschaftsführung kritisiert. Aus Washington und London kommt eine gegensätzliche Kritik: die Aufwertung sei zu gering. In Österreich sorgen sich die Importeure deutscher Waren, und es frohlockt der Fremdenverkehr, der bereits Ströme neuer deutscher Reisender sich mit erhöhter Währung in das verbilligte Land ergießen sieht. Ohne Zweifel wird man sehr bald versuchen, durch Preiserhöhungen den Rahm abzuschöpfen. Breite Schichten fürchten weitere Preiserhöhungen. Für Österreichs Industrie kann die Importverbilligung in die Bundesrepublik einen Ausgleich für EWG-Verluste bedeuten. Nun heißt es zunächst für alle Beteiligten in Mitteleuropa abwarfen, wach bleiben, die Preise beobachten, kontrollieren und auf der Hut sein. Weltpolitisch interessant ist wieder einmal, wie schnell sich Bonn bemüht, dem Drängen Washingtons entgegenzukommen: die Regierung Kennedy sieht in der Konzentration internationaler Zahlungsmittel in der Bundesrepublik eine maßgebliche Ursache für die Störung des Gleichgewichtes im internationalen Zahlungsverkehr. Nicht zuletzt dem Dollar soll ja durch die neue Angleichung (4 D-Mark — 1 Dollar) geholfen werden. Für Österreich gilt es, mehr denn je, eine Abwertung des Schillings im internationalen Devisenverkehr zu verhüten.

DIE „SCHWIERIGEN” RATHÄUSER ITALIENS. Schärfer und direkter als man dies unter dem neuen Pontifikat gewohnt war, haben italienische Bischöfe zur Innenpolitik ihres Landes Stellung bezogen. Es ist allerdings wohl zu beachten, daß Kardinal Siri von Genua, der als ihr Sprecher auftrat, dies nur namens der Bischofskonferenz seines Landes tun konnte, die nun nicht mehr, wie in den Tagen Pius’ XII., ohne weiteres mit der vatikanischen Repräsentanz der Weltkirche in eins gesetzt werden kann. In einem recht entschieden gehaltenen Privafschreiben wandte er sich an den Generalsekretär der Christdemokraten, Moro, und drückte darin ernste Bedenken über die wachsende Zahl von Koalitionsabschlüssen mit den Sozialisten Nennis auf kommunaler Ebene aus. Die im Gang befindlichen Verhandlungen mit ähnlicher Tendenz, die nun auch auf Sizilien (also bereits im regionalen Rahmen) eine solche Parteienabsprache anstreben, haben, wie nicht anders zu erwarten, Kardinal Ruffini von Palermo mit einer ganz offiziellen Stellungnahme des Protestes auf den Pion gerufen,. Moros Antwort auf einen Brief, dessen Veröffentlichung auf die gezielte Indiskretion eines Obereifrigen ‘zurückgeführt wird, erfolgte indirekt in den Spalten seines Parteiorgans „Popolo”. Mit lateinischer Klarheit verwies er auf den Unterschied einer echten gemeinsamen Programmatik, die mit den Nennisozialisten natürlich nicht bestünde und sachlich-begrenzien Absprachen hin, die nur Teilgebiete beträfen. Man wird sehen, wie weif die Partei Nennis, deren Führungsflügel durch die eigene „Linke” zumindest ebenso heftig wegen dieser Koalitionen kritisiert wird wie die Führung der DC auf ihrem Parteitag in der nächsten Zeit dieser Arbeitsformel Moros (und Fanfanis) zustimmen will und kann.

DAS INSELGESPRACH. Mit einer Aufforderung zu Besinnung und Gebet eröffnefe der Regierungschef des mild-ozeanischen Madagaskar die Konferenz der Kongopolitiker auf dem neutralen Boden seines Landes, (übrigens hat auch dieser genügend Blut getrunken und die Selbständigkeit des sagenhaften Reiches der Königinnen wurde mit einem Aufstand knapp nach 1945 errungen, den die Franzosen zunächst unvorstellbar hart niederschlugen.) Tsina- rana ist nicht nur ein frommer, sondern auch ein sanft-diplomatischer Herr. Er sorgte bei den Kongoführern, von denen Korrespondenten berichten, daß man ihnen das unmittelbare Kommen aus dem Dschungelkrieg geradezu ansah, für gelöste und gehobene Stimmung, als er sie allesamt mit dem prunkvollen Zeremoniell für Regierungschefs willkommen hieß, lleo von der Zenfralregierung Leopoldville, Tschombe von Katanga und Kalondji von der Minenprovinz werden wahrscheinlich auch bald zu einer Einigung kommen. Gar so weit sind ihre grundsätzliche föderalistischen Standpunkte nicht voneinander entfernt. Das große Rätsel heißt Gizenga. Sein verspätetes Kommen ist nun offiziell signalisiert worden. Dieser Mann aus dem Ostkongo gilt als der geistige Erbe Lumumbas. In wenigen Tagen werden wir wissen, was in ihm stärker sein wird: die schwarze Solidarität mit .seinen feindlichen Brüdern oder der innere Auftrag der kommunistisch-sowjetischen Welt, die sich mit allem Gewicht hinter ihn gestellt hat und ihn zu einer weiteren Gallionsfigur für ein rotes Schwarzafrika machen möchte.

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