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An den Round geschrieben

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VON VERÄNDERTER WARTE AUS.

Die nach Schluß der Parlamentssession eingetretene ungewöhnliche Stille benützte die Wiener Volkspartei zu einer Pressekonferenz, bei der sie mit einem kulturpolitischen Programm vor die Öffentlichkeit getreten ist. Sie befand sich dabei in der angenehmen Lage, als Sprecher wohl einen der glaubwürdigsten Politiker des heutigen Österreich präsentieren zu können, der zudem auch in der Presse, weit über die Parteigrenzen hinous, wohlgelitten ist: Heinrich Drimmel. Der neue Wiener Stadtrat wählte zum Thema die „Weltstadt Wien”, die er als „Tradition von gestern und Aufgabe von heute” be- zeichnete. Es konnte niemanden überraschen, dafj der langjährige Unterrichtsminister von veränderter Warfe aus besondere Akzente zu setzen wußte, die vergessen machten, daß die Wiener Volkspartei mit ihrem kulturpolitischen Programm eine von ihren Freunden seit langem schmerzlich empfundene Lücke zu füllen versuchte und damit bestrebt war, ihre in intellektuellen Kreisen Wiens bezweifelte Attraktivität drei Monate vor den Wiener Wahlen zu erhöhen. Was Dr. Drimmel in seinem Referat und auf Fragen der Journalisten sagte, kann kein Wahlschlager sein, denn die Beschäftigung mit den Voraussetzungen einer kulturellen Schwerpunktbildung war noch niemals publikumswirksam. Um so mehr verdient sie Aufmerksamkeit seitens aller Stellen und Personen, die wissen, was auf diesem Frontabschnitt zu verlieren und zu gewinnen ist. Die Linie verläuft so, daß sie neben der Theaterstadt Wien gleicherweise auch den dringenden Ausbau des Schul- und Bildungswesens einbezieht. Unmittelbar damit hängt die Forderung zusammen, daß Wien nicht „Brückenkopf oder Kopfbahnstation des Westens”, sondern Ort der unzerstörbaren menschlichen, kulturellen und materiellen Begegnung aus Nord und Süd, Ost und West werden soll.

DIE AUSGESTOSSENEN. Eine böse Nachricht hat die unabhängige Presse in den letzten Tagen in Alarmzustand versetzt: man ist daraufgekommen, daß sich zwei frühere „Parteijournalisten’ in den redaktionellen Dienst des österreichischen Fernsehens eingeschlichen haben. Diese Tatarennochflchl erwfiss - sieh zudem ‘als richtig,’zürnal Öef Presse dienst der Volkspartei sieh genötigt- gefühlt hat, auf die Feststellung wert zu legen, daß sein früherer Redakteur aus eigenen Stücken die Auflösung des Dienstverhältnisses betrieben hat und als Redakteur des Fernsehens keinerlei Parteiauffrag auszuführen haben wird. Die Sozialisten waren schlauer und hüllten sich in Schweigen, nach der Erkenntnis, wonach Dementis oft die gegenteilige Wirkung haben als beabsichtigt. Jedenfalls hat sich niemand zur Frage geäufjert, ob der frühere Redakteur der Sozialistischen Korrespondenz im Auftrag der Partei zum Fernsehen gekommen ist oder nicht. Es ist freilich richtig, daß jener Teil der Öffentlichkeit, der eine Befreiung des Rundfunks von der Bevormundung durch die Koalitionsparteien befürwortet, ja fordert, nicht einfach darüber hinweggehen kann, wenn dieser Wunsch zynisch mifjachtet werden sollte. Aber die Sache hat noch einen in der Diskussion bisher vernachlässigten Aspekt, Fest steht nämlich, dafj zwei „Parteijournalisten” ihren Arbeitsplatz wechseln wollten und einen ihnen auch bisher schon vertrauten Wirkungskreis beim Fernsehen anstrebten. Dürfen diese Kollegen überhaupt ihrer Brotgeberin, der Partei, den Rücken kehren, oder sind sie als Leibeigene anzusehen oder als Ausgestoßene aus der gesitteten, von den bösen Parteien ach so unabhängigen Gesellschaft, welche die Nase rümpft, wenn sie eines solchen Parfeimenschen ansichtig wird? Manche von denen, die am lautesten nach dem Kadi riefen, sind ja selbst mehr oder weniger fromme Inhaber eines Parteibüchels, das aber ihrem Ruf als Mensch mit Vernunft und Charakter nicht geschadet und ihre berufliche Eignung nicht eo ipso in Frage gestellt hat.

WAS MACHEN SIE IM URLAUB!

Der Innenminister hielt die Zeit für gekommen, das Schweigen über ein Phänomen zu brechen, das man als die Kehrseite der erfreulicherweise wachsenden Osf-West-Kontakte erkennen muį. Die Begegnungen auf hoher und höherer Ebene, wie unlängst der Besuch des ungarischen Vizeministerpräsidenten Fock bei seinem österreichischen Kollegen Pitfer- mann, mögen lauter lichte Aspekte haben. Schließlich sind diese Besuche und Gegenbesuche auch kein purer Zeitvertreib, sondern sind das Ergebnis politischer Überlegungen und Notwendigkeiten. Etwas anderes ist es mit den Begegnungen auf der Ebene der Normalbürger. Hier geht es nicht selten hemdärmelig und im buchstäblichen Sinne des „do uf des” zu. Wenn aber Herr Wondraschek mit Gattin aus Ottakring auf Verwandtenbesuch in die benachbarte Tschechoslowakei reist, dann kann es Vorkommen, daß er einige dort zu den Raritäten zählende Güter nicht nur zu Geschenkzwecken mitnimmf, ja daß er versucht, den Leuten in Brünn zu einer Luftveränderung zu verhelfen, und sie zu diesem Zweck mit guten österreichischen Papieren versorgt. Der Rest ist meistens Schweigen hinter Gitterstäben. Die warnenden Worte des Innenministers sollten die Unternehmungslust mancher Landsleute bremsen — im Interesse gerade der fruchtbringenden Begegnung von Mensch zu Mensch zwischen Brünn und Ottakring,

DIE VORBOTEN DES KOMMENDEN.

Ist es Zufall, ist es böses Vorzeichen, aber die Prügeleien und Straßenschlachten in amerikanischen Negerbezirken in der Umgebung von New York fallen zeitlich mit der Nominierung Senator Goldwaters zum republikanischen Präsidentschaftskandidaten zusammen. Man kann hier wieder einmal dos bekannte Phänomen beobachten, wonach ein Mann, der einmal die ungeheure Resonanz der Massenkommunikations- mitfel hat und der sich fortan im grellen Scheinwerferlicht bewegen muß, nicht mehr nur Akteur, sondern zugleich auch Marionette des Geschehens wird. In welchem Maße er dies wird, hängt von seiner Charakterstärke, von seiner politischen Intelligenz und letztlich von seiner Gesamtpersönlichkeif ab. Senator Goldwafer müßte, wenn er die gefährliche Situation, in der er sieh befindet, richtig erfaßt, jedes Wort, das er sagt, besonders auf seine Publikumswirkung hin prüfen und auch die leisesten Fernwirkungen -sorgfältig ins Kqlkül ziehen, Man hat den, Eindruck, daß es dies, bisher nicht getan hat, sondern vielmehr .einem nicht ungefährlichen „Goldwater- Mythos” immer wieder neue Nahrung gegeben. Eine weitere verhängnisvolle Entwicklung bahnt sich in der leidenschaftlichen Ablehnung des Senators und seiner Ansichten durch den überwiegenden Teil der europäischen Öffentlichkeit an. Hier können alte Wunden neu zu brennen beginnen. Das etwas labile, bis in seine letzten Tiefen unausgelofet gebliebene Verhältnis vieler Amerikaner zu Europa könnte zu einem Kurzschlußaffekt führen, und dieser Affekt hieße dann eben Goldwafer. Das müßte man aber wiederum in Europa bedenken.

EUROPA, VON PARIS AUS GESEHEN.

Eine der berühmten Pressekonferenzen im Palais de TElysėe hat in der letzten Woche wieder einmal den Staatskanzleien viel zusätzliche Arbeit gegeben. Der Präsident Frankreichs zog Bilanz und stellte die europäische Politik Frankreichs in Gegensatz zur Politik der Bundesrepublik, die, seiner Ansicht nach, die Vorzüge einer unabhängigen europäischen Politik noch nicht klar erkannt habe. Die Berichtigungen und Dementis, die aus Bonn, London und Washington zu hören waren, werden de Gaulle freilich nicht aus seiner Ruhe bringen. Und so geht dieser Zwischenfall zu den Akten, die langsam zu Bergen wachsen.

AFRIKANISCHE EINHEIT — EIN WUNSCHBILD. Die Staats- und Regierungschefs von 34 afrikanischen Staaten haben Kairo still verlassen, die diesjährige Konferenz der „Organisation für die afrikanische Einheit” war zu Ende. Der Zusammenschluß Afrikas blieb, angesichts der wahren Triebkraft aller dieser Staaten, die Nationalismus heißt, freilich ein Wunschbild, und die Verketzerungen Tschombes, Südafrikas und Portugals blieben gewissermaßen im Rahmen eines Plansolls. Die Organisation wird künftig unter den Augen des „weisen alten” Haile Selassie in Addis Abeba amtieren, was als gutes Omen gelten mag.

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