7097627-1994_51_03.jpg
Digital In Arbeit

An der Schwelle zur „Dritten Republik“?

19451960198020002020

Ist die Diskussion um die „Dritte Republik“ wirklich eine Erfindung Jörg Haiders? Entsprechen Verfassung und Parlament in Österreich europäischen Standards von Demokratie?

19451960198020002020

Ist die Diskussion um die „Dritte Republik“ wirklich eine Erfindung Jörg Haiders? Entsprechen Verfassung und Parlament in Österreich europäischen Standards von Demokratie?

Werbung
Werbung
Werbung

Wie spannend und facettenreich das Thema „Demokratie“ sein kann, demonstrierte die Universität Graz mit ihrem Symposion „Staat — fad. Demokratie heute. Markierungen für eine offene Gesellschaft“, veranstaltet von Rektor Helmut Konrad. „Die Frage nach der Dritten Republik ist legitim“, meint der Politologe Anton Pelinka (Innsbruck).

Große Koalition und Sozialpartnerschaft verlieren an Bedeutung, das Unbehagen richtet sich nun gegen unsere, bisher erfolgreiche, zentrifugale Demokratie, in der das Formale eine weit größere Rolle spielt als die Inhalte.

Es war keineswegs Jörg Haider, der die Diskussion um die Dritte Republik vom Zaun gebrochen hat, sondern die ÖVP Steiermark zu Beginn der achtziger Jahre. Ihre Überlegungen gingen allerdings in Richtung Schweiz, also gegen eine starke Führung, für eine Verlebendigung der Demokratie und die Aufwertung der demokratischen Möglichkeiten für die Bevölkerung. „Über die Drit te Republik muß gemeinsam nachgedacht werden, sie darf nicht Haider überlassen bleiben“ - so Pelin- kas Resümee.

Diese Ansicht vertrat auch der Zweite Präsident des österreichischen Nationalrates, Heinrich Neis- ser: „Die demokratiepolitische Diskussion muß geführt werden.“ Neis- ser registriert einen parlamentarischen Nachholbedarf in Österreich, wo das Sicherheitsbedürfnis stets größer ist als das Bedürfnis nach Reform, weshalb die österreichische Reformpolitik Stückwerk geblieben ist und zur Erstarrung des Systems geführt hat. „Kemanliegen muß die Rehabilitierung der Politik und des Politischen sein.“

Im Gegensatz zu Deutschland, wo in der Verfassung ausdrücklich festgehalten ist, daß eine Änderung des Grundgesetzes unzulässig ist, die demokratische Verfassung also nicht zur Disposition steht, besteht in Österreicn für die Bevölkerung die theoretische Möglichkeit, die Demokratie in einer Volksabstimmung abzuschaffen. Öarin, so der Rechtswissenschaftler Richard Novak (Graz), liegt der Unterschied zwischen der deutschen wehrhaften und der österreichischen neutralen Demokratie.

Für eine nationale Identität im Sinne der Kulturautonomie sprach sich der Jurist Joseph Marko (Graz) aus. Dabei gehe es um die Überprüfung des Mehrheitsprinzips: „Die Mehrheit muß rational auf manche Rechte verzichten“, nur so ist demokratische Gleichheit möglich.

Sein Unbehagen mit dem Thema „Dritte Republik“ brachte Rektor Helmut Konrad, vom Fach Zeitgeschichtler, deutlich zum Ausdruck. „Kritik muß sein, aber wo sind die Grenzen dieser Kritik?“ Berechtigte Kritik muß aufgegriffen werden, sonst besteht die Gefahr, daß sie - vor allem von rechts - zur Systemkritik führt. Sollte der Vorwurf des steirischen Landeshauptmann-Stellvertreters Peter Schacnner-Blazizek (Graz), bei uns gehe der Trend in Richtung „Unterhaltungsdemokratie“, und seine Klage, daß es unter dem Titel „mehr Freiheit“ zunehmend nur um das „Recht des Stärkeren“ geht, berechtigt sein, dann scheinen die Aussichten düster.

Auf ein österreichisches Kuriosum im Rahmen einer europaweiten Untersuchung stieß der Politologe Herbert Döring (Potsdam). In der Zuordnung von Institutionen zu solchen der bürgerlichen Freiheit und der Ordnungsmächte, war Österreich das einzige Land, wo das Erzie- hungs- und Bildungswesen den Ordnungsmächten zugerechnet wird.

DIE STUDENTEN BLIEBEN AUS

Verblüffung schließlich beim Vortrag des Historikers Gerald Stourzh (Wien) über Alexis de Tocqueville.' 1835 beschrieb der adelige Anhänger der Französischen Revolution und der Demokratie die Befindlichkeit der Menschen in einem demokratischen Staat. Seine Prophetie erstaunte, entmutigte aber auch. Das zentrale Problem sah er in der zunehmenden Vereinzelung und Einsamkeit des Staatsbürgers.

Ob das der Grund war, daß an diesem Demokratie-Symposion Studenten nur vereinzelt teilnahmen?

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung