6686624-1962_19_09.jpg
Digital In Arbeit

An der Sdiwelle der Freiheit

Werbung
Werbung
Werbung

Das Vorwort des vorliegenden Buches macht auf 'Arges gefaßt. Da ist von dein Eroberungsheer Kara Mustaphas die Rede, das von Osten aufbrach und Wien belagerte. 262 Jahre später sei dann wieder eine andere Armee vor Wien erschienen und habe abermals eine Belagerung der Stadt, diesmal durch zehn Jahre, allerdings in neuer Form, durchgeführt. Die Stand-haftigkeit seiner Bürger und ausländische Hilfe hätten Wien das eine wie das andere Mal dem Westen gerettet. Halt, halt: Das ist, wenn nicht eine gefährliche Geschichtsvereinfachung, so doch ein einem ernsten zeitgeschichtlichen Werk nicht anstehender billiger Feuilletonismus. Der amerikanische Verfasser weiß doch zu gut, daß diese Armee, von der er spricht, gemeinsam mit den Soldaten seines Landes sowie der anderen Alliierten des zweiten Weltkrieges unter anderem für die Wiederherstellung Österreichs als selbständiger Staat erfolgreich kämpfte. Auf den Sieg folgte allerdings der kalte Krieg der Sieger. Der Gang der Geschichte ist also komplizierter. Um Vorsicht mit historischen Parallelen wird gebeten. Auch stimmt es wohl kaum, wie einige Zeilen später zu lesen ist, daß Österreich sich „im 19. Jahrhundert zu einer der größten Mächte der Welt entwickelte“. Im Jahrhundert des aufbrechenden Nationalismus setzte die Krise des Vielvölkerstaates im Donauraum bereits heftig ein. Der Friede von Passarowitz, der die größte Ausdehnung der österreichischen Macht besiegelte, aber wurde im Jahre 1718 unterzeichnet.

Nach diesem Entree nähert man sich mit gemischten Gefühlen dem Werk selbst. Hier wird man jedoch bald angenehm überrascht. William Lloyd Stearman, der viereinhalb Jahre als amerikanischer Vertreter eines der Viermächteorgane des Alliierten Rates in Österreich tätig war, gibt uns. eine durch zeitgenössische Pressedarstellungen und Redeauszüge dokumentierte Darstellung der sowjetischen Politik gegenüber Österreich in den langen zehn Jahren zwischen Befreiung und Freiheit. Stearmans Bekenntnis, „da ich bewußt die Jupiterlampe auf die Sowjets konzentrierte und gelegentlich andere Teile der Bühne im Dunkel gelassen habe“, läßt Breite und Begrenzung 4er vorliegenden Studie, die

Da steigen sie also wieder herauf aus dem schon über sie ausgebreiteten Halbdunkel der Geschichte: die Jahre zwischen 1945 und 1955. Aus der Entfernung wollen sie uns heute oft als eine Einheit erscheinen, während sie doch, nicht zuletzt was die Politik der Sowjetunion gegenüber Österreich betraf, voneinander sehr verschiedene Perioden kannten. Stearman ruft sie uns in Erinnerung. Da ist die erste Etappe, in der die provisorischen österreichischen Behörden im sowjetsich besetzten Österreich zunächst mehr Freiheiten besaßen als in jenen Gebieten, in die Fruppen der westlichen Alliierten eingerückt waren. Der Verfasser nennt sie die „Zeit der guten Gefühle“. Sie endet rasch, ds die Sowjets am Abend der Nationalratswahlen 1945 erkannten, daß die Voraussetzungen ihrer Politik, die eine starke n der Bevölkerung verwurzelte KP ein-ichloß, hinfällig waren. Die rapide Ver-ichlechterung der Beziehungen zwischen ler Sowjetunion und den Westmächten tat ein übriges, um in die „Zeiten der aefährdung“ überzuleiten, die mit der <P-Generalstreikparole im Oktober 1950 hrem Höhepunkt zustrebten. Trotz man-:her Stimmungsschwankungen hellte sich ler Himmel erst wieder nach 1953 im Dsten allmählich auf, um an der Jahreswende 1954/55 zu jenem Honigmond der •ussisch-österreichischen Beziehungen über-tuleiten, der zunächst — auch davon spürt nan einiges in diesem Buch — von west-icher Seite mit einiger Zurückhaltung lufgenommen wurde, da dadurch die in vergangenen Jahren unzweifelhaft von vestlicher Seite Österreich zuteil gewor-lene lebensnotwendige Hilfe verdunkelt :u werden drohte. Namen und Ereignisse Verden ins Gedächtnis zurückgerufen, iteigen in der Erinnerung auf. Wer , er-nnert sich zum Beispiel heute noch an len „Kurzvertrag“ und das Tauziehen um liese seinerzeitige US-Initiative? Der Bei-piele gäbe es mehrere.

Darüber hinaus macht Stearmann einige echt bemerkenswerte Feststellungen, die ür eine zukünftige österreichische Darteilung der Jahre zwischen Befreiung und :reiheit wohl zu notieren sind. Wenig lekannt dürfte es zum Beispiel sein, daß lie Amerikaner und Staatskanzler Renner m Sommer 1945 gemeinsam die Hilfe Italins bei der Entfernung der Jugoslawen ius Südkärnten ansprachen, und — was loch bemerkenswerter ist — diese erfolgte larauf prompt. Stearman erblickt darin :rste Schatten auf dem Verhältnis Belgrad-Vloskau. Interessant ist auch, daß det Verfasser die im Sommer 1945 durch :wei Monate währenden und schließlich ichriftlich fixierten Verhandlungen über ille Modalitäten der gemeinsamen Besetzung Wiens — Stearman nennt es „eines der präzisesten und funktionsfähigsten

Abkommen, die in der Zeit nach den zweiten Weltkrieg zwischen den westlichei Alliierten und den Sowjets abgeschlossei wurden“ (S. 38) — mit als eine wichtige Voraussetzung dafür ansieht, daß es zi keinem Parallelfall zur Berliner Blockade in Österreich kam. Bedeutsam, weil vor amerikanischer Seite gemacht, ist auch dii Feststellung, die Sowjetunion habe allen Anschein nach nie ernstlich eine Teilung Österreichs gewünscht (S. 137). Jen&#171; österreichischen Journalisten und Politiker, die gerne gegen den österreichischen „Neutralitätsmythos“ zu Felde ziehen und den völkerrechtlichen Status unserer Republik als „aufgezwungen“, als „Preis füi die Freiheit“ interpretieren und damit abwerten, sind eingeladen, sich von einem amerikanischen Diplomaten erinnern zu lassen, daß „seit Jahren die Führer der beiden Regierungsparteien eine Politik der Neutralität und der Nichtallianz mit militärischen Blöcken“ vertreten haben (Seite 188).

Natürlich enthält das vorliegende Buch auch Flüchtigkeitsfehler. Hier seien die wichtigsten zur Korrektur empfohlen. Zunächst die Korrektur einer Korrektur. Die

Moskauer Deklaration nennt als Tag dei Besetzung Österreichs durch Hitler-Deutschland fälschlicherweise den 15, März. Stearman möchte richtigstellen. Doch ach, er nennt den 13. März, an dem nach erfolgter Besetzung der Anschluß proklamiert wurde. Der Einmarsch selbst erfolgte bekanntlich in der Nacht vom 11. auf den 12. März 1938 (S. 14). Das Gespräch Figl-Fischer 1947: Letzterer war nie, wie der Autor schreibt, „Vorsitzender der KPÖ“ (S. 129), Wie kann man nur so taktlos gegenüber Herrn Koplenig sein... Der Hausherr, unter dessen Dach jene Begegnung stattfand, schreibt sich Kristofic-Binder, nicht Kristovicz-Binder. Bundeskanzler Raab sprach nie vor dem „Bundestag“, weil es einen solchen, gemäß der heutigen Verfassung in Österreich, überhaupt nicht gibt. Auch war und ist er — wie alle überzeugten Vertreter der österreichischen Neutralität — dafür, den russischen Bären nicht in den Schwanz zu zwicken. Einen Bären „am Schwanz zu zupfen“, wie es Stearman meint, ist schon aus anatomischen Gründen äußerst kompliziert. Aber das nur nebenbei.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung