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Angst vor dem Monster Spital

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Verwechslungen in Spitälern, falsche Behandlungen, Abschiebungen - immer mehr Patienten haben Angst. Die Furche sprach darüber mit Werner Vogt, Oberarzt am Lorenz-Böhler-Krankenhaus.

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Verwechslungen in Spitälern, falsche Behandlungen, Abschiebungen - immer mehr Patienten haben Angst. Die Furche sprach darüber mit Werner Vogt, Oberarzt am Lorenz-Böhler-Krankenhaus.

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DIE FURCHE: Wie sicher kann sich ein Patient in Österreichs Spitälern fühlen?

Oberarzt Werner Vogt: Das sind natürlich sehr beunruhigende Geschichten, die sich seit 1989 entlang ziehen. Das schwerwiegendste waren die furchtbaren Tötungsdelikte in Lainz in Wien, wobei man hier sagen muß, daß es in dem Moment, wo Patienten aus einem bestimmten medizinischen Niveau herausfallen und in ein niedrigeres Pflegeniveau hineinfallen, ganz schwierig ist, daß nicht Ubergriffe vorkommen. Man weiß, dass das auf der ganzen Welt ein Riesenproblem darstellt.

DIE FURCHE: Das dürfte doch gar nicht vorkommen.

Vogt: Man muss das medizinische Niveau - auch dann, wenn es sich um Leute handelt, die alt und chronisch krank sind - hochhalten und dementsprechend auch das pflegerische Niveau. Wobei man sehen muss, dass diese beiden Dinge schon oft miteinander einhergehen; aber es gibt Dinge, die man nur dann verändern kann, wenn ich das Personal habe; wenn ich schlecht ausgebildete Arzte, schlecht ausgebildetes Pflegepersonal habe, kann ich nicht gute Verhältnisse schaffen, das muss man wirklich wissen. Man kann auch nachweisen, dass überall dort, wo hohes medizinisches Niveau herrscht, nicht nur deswegen, weil es Universitätsklinik heißt, sondern wo wirklich gute Verhältnisse sind, medizinisch und pflegerisch die Wahrscheinlichkeit gering ist, dass Übergriffe auf Patienten passieren oder der Patient sozusagen in die ärgsten Schwierigkeiten gerät, weil nicht mehr klar ist, bei wem was geschehen soll. Nehmen wir das Wiener AKH her: o.k., man hat es immerhin mit einer Universitätsklinik zu tun. Aber man darf nicht die Struktur übersehen, dass das eine riesengroße Hütte ist mit wahnsinnig viel Beteiligten, die hier Medizin machen und mit gleichzeitig ganz wenig Strukturen, die dem Patienten das Gefühl geben können, er weiß, wer eigentlich sein behandelnder Arzt ist. Wenn man das AKH hernimmt, kann man sagen, gut, alle diese Monster, egal ob in Innsbruck oder in Wien, haben das Problem, dass sie klarer Weise ein großer aufgeblasener Apparat sind, in dem - trotz personell gar nicht so schlechten Voraussetzungen - das Problem herrscht, dass man die gewöhnliche medizinische Arbeit wiederum den Unteren, den weniger Ausgebildeten überlässt und sich zu gut ist für die normale Arbeit.

DIE FURCHE: Warum ist das so?

Vogt: Der klassische Fall im AKH mit den abgeschnittenen Hoden - wenn man sich das genauer anschaut und hinterfragt und mit Kollegen spricht, die damit etwas zu tun hatten, dann sieht man, dass hier der Kollege, der an der Verwechslung auch mitbeteiligt war, ein junger, noch nicht voll ausgebildeter Arzt ist, der schon die zigte Stunde an der Arbeit war. Jetzt ist er übermüdet, überlastet, auch mit dem Problem selbst noch nicht so vertraut, ohne richtige Aufsicht und Aufsichtsstruktur, sodass man sagen kann, eigentlich eigenartig, warum in einem so hochorganisierten, komplexen Apparat nicht genügend Sicherungen eingebaut sind, dass das nicht passiert. Diesen Vorwurf kann man diesen Leuten nicht ersparen.

DIE FURCHE: Naiv könnte man da fragen, warum der Arzt nicht auf die Krankenkarte geschaut hat^ Ist der Patient nur mehr eine verwechselbare Nummer?

Vogt: Krankenhausarbeit ist immer schwierig, weil ganz verschiedene Arbeitsgruppen arbeiten und auch kommunizieren. Klar muß sein: wer ist hier dominant, daher hat die Spitalshierarchie ihre Berechtigung, und jeder Vorgang muß eine Oberaufsicht, eine Super-vision haben. Wenn es um Operationen geht, gilt ein ehernes Gesetz: Der, der operiert, muß mit dem Patienten gesprochen haben. Noch besser wäre, wenn der, die die Diagnose erstellt hat, gleichzeitig der ist, der operiert und den Patienten von Anfang an aufklärt und begleitet. Wir haben hier im Lorenz Böhler Unfallkrankenhaus in Wien, durch das jährlich 60.000 Patienten gehen, 40 Arzte in vier Teams, die genaue Arbeitsstrukturen haben. Ein Patient bleibt jeweils bei seinem Team - für Diagnose, Operation und Nachbehandlung. Und innerhalb des Teams gibt es eine ganz klare Struktur. Das ist der Versuch, Nähe zwischen Arzt und Patient und ein Vertrautsein zu schaffen.

DIE FURCHE: Ist das nicht ganz schlimm, wenn der operierende Arzt mit dem Patienten überhaupt nicht gesprochen hat?

Vogt: Das ist ein Skandal. Da kann man sich auf nichts ausreden. Wenn jemand sagt, er habe keine Zeit gehabt, dann hat er schon verspielt. Seit Anfang der siebziger Jahre wird darüber geredet, dass der Patient auch einen Rechtsanspruch darauf hat - Stichwort: Patientencharta —, aber leider ist das noch nicht festgeschrieben

DIE FURCHE: Haben aufgrund der jüngsten Vorfälle Patienten jetzt weniger Vzrtrauen zu Ärzten, zu den Spitälern?

Vogt: Man merkt es selbstverständlich, dass da eine gewisse Verunsicherung durchkommt - auch an gewissen scherzhaften Bemerkungen, die zeigen, dass sie natürlich Angst haben, dass da etwas falsch geht. Wobei es nicht so ist, dass die Leute sehr ängstlich gegenüber Operationen sind. Im Gegenteil. Es gibt eine ungeheure Operationsfreudigkeit.

DIE FURCHE: Noch kurz zum Innsbrucker „Fall Osl".

Vogt: Das war eine einzige Katastrophe. Die Aufklärung wird uns wahrscheinlich nicht mehr gelingen, weil die Röntgenbilder verschwunden sind. Da sind wir bei einem ganz wichtigen Punkt: Warum, bitte, ist nicht längst klar und gibt es nicht auch ein Gesetz, daß alle erhobenen Befunde und auch Röntgenbilder im Besitz des Patienten sind. Alles, was ich über Sie erhebe, über Ihre Person, Ihren Körper, Ihren Zustand, alle diese Befunde sind plötzlich im Eigentum eines Dritten und nicht von Ihnen, das ist absurd.

DIE FURCHE: Was wurde in Österreich alles falsch gemacht, dass so etwas passieren kann?

Vogt: Alle Institutionen sind gefährdet. Man kann sich nur dreimal bekreuzigen, wenn es einem nicht passiert. Es gibt strukturelle Momente, die man verhindern muß. Ich sage immer wieder: Der erste Schritt zu Beginn des Medizinstudiums müßte darin bestehen, kommunizieren zu lernen und nicht, daß man den Studenten im weißen Mantel mit einem Messer bewaffnet zu einer Leiche stellt. Die medizinische Tätigkeit ist in erster Linie eine kommunikative. Das sollte als Vorstudium in Zusammenarbeit mit Sozialarbeitern, mit Krankenschwestern und Pflegern erlernt werden, damit dieser Dünkel einmal wegfällt. Weil Ärzte nicht kommunizieren können, eilen sie mit irgendwelchen Büchern in der Hand eilig durch die Gänge, obwohl sie Zeit hätten. Es wird Geschäftigkeit gemimt, die in Wirklichkeit Flucht ist. Dann müsste, wenn ein Arzt im Krankenhaus ausgebildet wird, die Supervision klar sein: das heißt, wo kann er seine Arbeitserfahrung, sein Arbeitsleid mit jemand Kompetenten besprechen. Das dritte ist, es muss eine klare Zuordnung geben, wer der Verantwortliche für diesen Patienten, für diese Krankheit ist. Das Krankenhaus ist die zentrale Institution des Gesundheitswesens, allein schon deswegen, weil draußen nichts geschieht. Die einen haben 20 Stunden in der Woche offen, die anderen 168; dann passiert es. Dagegen wird seit einem Jahr gewettert und alle Politiker haben unterschrieben, daß sie das abstellen werden, aber es ist immer noch das gleiche. Kein Mensch, der 48, 50 oder 100 Stunden hintereinander arbeiten muß, kann ordentlich arbeiten. Da wird nur das Schluderhafte gelernt. Es kann kein Mensch in dieser Zeit aufmerksam und gut sein. Hier gehört am System etwas geändert. Angeblich scheitert es am Geldmangel, doch das ist lächerlich, weil es sich um Beträge handelt, die wirklich keine Rolle spielen.

Das Gespräch führte Franz Gansrigier.

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