7098763-1995_04_08.jpg
Digital In Arbeit

Angst vor weltweiter Erschütterung

19451960198020002020

Nach dem Beben in Kobe/ Japan zittern Wirtschaftsfachleute vor einer Katastrophe in Tokio: Sie hätte weltweite Auswirkungen.

19451960198020002020

Nach dem Beben in Kobe/ Japan zittern Wirtschaftsfachleute vor einer Katastrophe in Tokio: Sie hätte weltweite Auswirkungen.

Werbung
Werbung
Werbung

Das stärkste Erdbeben seit dem Il.Weltkrieg erschütterte in der Morgenfrühe des 17. Jänner die Hafenstadt Kobe und Umgebung. In dieser Gegend wachsen heute die Millionenstädte Osaka, Kobe und Kioto unaufhaltsam zu einer Megalopolis zusammen, die in Kobe allein 17 Prozent des Rruttosozialprodukts Japans erzeugt.

Auf dem schmalen Streifen zwischen dem Rokogebirge und dem Strand fanden 1,6 Millionen Menschen eine Heimat. Nun verloren 5.000 ihr Leben, mehr als 25.000 wurden verletzt, 300.000 mußten in Notquartiere flüchten. Über 50.000 Gebäude erlitten Schäden. An 200 Stelen brachen Rrände aus. In kleinen Fabriken wurden hier Gummischuhe für das ganze Land erzeugt, sodaß reichlich Rrennmaterial vorhanden war. Schon in Tokio hatten 1923 die Feuersbrünste, die dem damaligen Reben folgten, die meisten Opfer gefordert. Das Zentrum des Rebens lag direkt unter der Stadt und zwar in verhältnismäßig geringer Tiefe, was die Schäden noch verschlimmerte.

In Japan ist man gewohnt, daß der Roden unter den Füßen zittert. Das Inselland besitzt zehn Prozent der aktiven Vulkane und erlebt deswegen zehn Prozent der Erdbeben des ganzen Globus. Gerade Kobe aber war seit 100 Jahren von größeren Katastrophen verschont geblieben. Deshalb war es schlecht darauf vorbereitet.

Unliebsame Überraschung bereitete gerade der Kollaps der erhöhten Autobahn und der hochgepriesenen Schnellbahn Shinkansen, denn gerade hier glaubten die Ingenieure den weltweit besten Sicherheitsstandard erreicht zu haben. Für mehrere Monate wird der Verkehr auf den Hauptverkehrsadern unterbrochen sein. Die neuen Hochhäuser aber hielten besser stand.

Ein Glücksfall war der Zeitpunkt in der Morgenfrühe, kurz bevor die Verkehrslawinen ins Rollen kamen. Die Atomkraftwerke in drei Präfek-turen hielten stand, die Thermal-kraftwerke und Stahlkocher aber mußten schließen, ebenfalls die Au-tofabriken, weil die Zulieferer der Restandteile auf der Strecke blieben.

Viel zu diskutieren gibt das Versagen der Rettungsdienste. Wassermangel und Verkehrschaos lähmten die Feuerwehren. Dieses Katastrophenland organisierte offenbar keinen richtigen Zivildienst, sodaß von Anfang an die Koordination der Hilfskräfte versagte. Die Armee war nicht für einen solchen Einsatz geschult. Gemeinsame Übungen mit den zivilen Einsatzkräften wie Feuerwehr und Polizei hatten nicht stattgefunden. Nach geltendem Recht durften die Kommandostellen nur auf Weisung der Zivilbehörden aufgeboten werden, um die zivile Priorität zu wahren, aber diese reagierten nur sehr zögerlich, vor allem auch der sozialistische Premier Mu-rayama, dem die Armee von jeher ein Dorn im Auge war.

Die Schätzungen des Schadens bewegen sich zwischen 50 und 80 Milliarden Dollar. Die Regierung will dafür ein Sonderbudget bereitstellen. Zur Zeit sind noch 950.000 Wohnungen ohne Wasser, 850.000 ohne Gas. Mit der Errichtung von Notwohnungen wurde begonnen, aber das wird Monate in Anspruch nehmen. Schwere Regenfälle, die am Samstag einsetzten, drohen nun auch noch Rergrutsche an den steilen Hängen des Rokogebirges zu verursachen. Rei Temperaturen um null Grad breiten sich in den Lagern Seuchen aus.

Obwohl Japan in 30 Jahren eine Milliarde Dollar für die Vorhersage von Erdbeben investierte, kam hier die Katastrophe überraschend, denn gerade dort hatte man sie am wenigsten erwartet.

Alarmglocken läuten in Tokio, denn hier ist das alle 70 Jahre zu erwartende Erdbeben überfällig. Seit Dezember waren hier zehn kleinere Reben zu spüren gewesen, und der Norden der Hauptinsel hatte vier größere Reben erlebt. Tokio sieht sich plötzlich von zwei Seiten her bedroht. Nach Berechnungen der Stanford Universität würde ein Beben der Größenordnung von Kobe (Stärke sieben auf der japanischen Skala, damit Höchstwert) 40.000 bis 60.000

Tote und 80.000 bis 100.000 Verletzte fordern. Japanische Schätzungen reden von 68.000 Toten und Verwundeten, wenn die Katastrophe im Morgengrauen erfolgt, 20.000 mehr, wenn sie während des Tages einträfe.

Die Folgen für die Weltwirtschaft durch die Zerstörung Tokios wären schlimm, denn hier ist das wirtschaftliche und industrielle Zentrum des Inselreiches auf engstem Raum versammelt. Die Tokai Rank sagte schon 1989 voraus, daß die Kosten für den Wiederaufbau die Versicherungsgesellschaften zwingen würden, ihre sehr hohen Anlagen in ausländischen Devisen zu liquidieren. Aber auch die anderen Firmen würden ihr Kapital vom Ausland abziehen. In Tokio und Umgebung leben mehr als 30 Millionen Menschen, die ein Drittel des Rruttosozialpro-duktes erzeugen. Ein Ruch von 1990 von Kaoru Oda trug den Titel „60 Sekunden, die die Welt veränderten”. Vor allem die USA kämen durch den Rückzug der Investitionen und Anlagen in Redrängnis, weil sie seit Jahrzehnten ihr Rudget-defizit durch Anleihen in Japan finanzierten. Das soll sogar Österreich getan haben.

Die Redrohung von Tokio ist hier schon seit Jahrzehnten ein Dauerthema. Man will die Hauptstadt in ein sicheres Gebiet verlegen, mit gutem Wasser und freiem Zugang zum Luft- und Seeverkehr, wo auch Bauland zur Verfügung steht. Oft wird hier über Sendai, mehr als 300 Kilometer im Norden, als Möglichkeit diskutiert.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung