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Ankunft an neuen Ufern

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In diesem Monat jährt sich zum 20. Male die Inthronisierung Athenagoras' I. auf dem Patriarchenstuhl von Konstantinopel. Wie kein anderer orthodoxer Kirchenführer ist der Patriarch auch für die westliche Christenheit zu einem Symbol des Ökumenismus und der Versöhnung zwischen Ost- und Westkirche geworden, und sein weiteres Pontifikat, das im Zeichen der Vorbereitung des Orthodoxen Konails und des Dialogs mit Katholizismus, Protestantismus und Anglikanismus steht, eröffnet große Hoffnungen.

Patriarch Athenagoras wurde 1887 als Sohn einer mazedorumänischen Familie in Epirus geboren und erhielt seine griechische Bildung und theologische Schulung an der Patriarchatshochschule auf der Insel Chalki. War er durch Herkunft und Bildung dem rumänisch- wie dem griechisch-orthodoxen Kulturbereich in gleicher Weise verbunden, so erweiterte seine Versetzung als junger Diakon in die südserbische Stadt Bitola Athenagoras' Horizont um die slawische Orthodoxie. Nach dem Ende des ersten Weltkriegs wurde Athenagoras Sekretär der Heiligen Synode der griechischen Kirche, und 1928 wählte ihn die Athener Bischofskonferenz zum Metropoliten von Korfu, Sitz eines katholischen Erzbischofs und zahlreicher römischer Christen, wo der künftige Patriarch seine ersten, für später so entscheidenden Beziehungen zur lateinischen Westkirche anknüpfen sollte. Die Begegnung mit der protestantischen Welt brachte Athenagoras 1936 seine Ernennung zum orthodoxen Erzbischof von Nord- und Südamerika mit Sitz in New York. Als im Sommer 1948 die türkische Regierung in Istanbul den Rücktritt des russophilen Patriarchen Maxi-mos erzwang, war die Wahl seines Nachfolgers für die Synode von Konstantinopel mehr als schwierig. Die Entscheidung für den fernen Athenagoras, die im November 1948 fiel, war im Grunde eine Verlegenheitslösung, und immerhin brauchte es bis zum Jänner 1949 und allen Einfluß der USA, bis sich die Türkei zur Anerkennung des neuen Patriarchen bequemte.

Das erste Jahrzehnt von Athenagoras' Wirken vollzog sich in aller Stille, unbeachtet von Rom und den Zentren der evangelischen Welt. Dennoch hat der Patriarch schon vor seinem blitzartigen Einbruch in die Aufmerksamkeit der westlichen Kirchen anläßlich der Wahl Papst Johannes' XXIII. wesentliches geleistet: Sein erstes Anliegen war die Reform der Patriarchenhochschule von Chalki zu einem Zentrum moderner, ökumenischer Theologie, ein Wandel, der sich schon Anfang der fünfziger Jahre vollzog, und dem das Patriarchat von Konstantinopel heute die große Zahl seiner europäisch gebildeten und für die abendländische Theologie aufgeschlossenen Kleriker verdankt.- Gleichzeitig wurde katholischen und evangelischen Theologen das Studium in Chalki ermöglicht, und erst die türkischen Gesetze von 1964, die die Hochschule zum lokalen Priester-seminar für Istanbul und Umgebung mit Studienverbot für Ausländer degradierten, setzten dieser vielversprechenden Entwicklung ein Ende. Seinen Ehrenprimat innerhalb der orthodoxen Ostkirchen festigte Athenagoras mit seiner berühmten Enzyklika von 1951, in der er auch für den christlichen Osten die Notwendigkeit einer einheitlichen Führung betonte und sich nach Jahrzehnten des Verfalls des ökumenischen Patriarchats in Istanbul wieder zum Wortführer aller orthodoxen Christen machte. Als solcher begrüßte er 1958 die Wahl des Ein-heits- und Reformpapstes Johannes XXIII. als „göttliche Fügung“ und wurde über Nacht zum Gegenstand stürmischer Hoffnungen der westlichen Kirchen auf eine Wiedervereinigung mit der Orthodoxie. Es wäre jedoch verfehlt, in Athenagoras nur einen Wegbereiter der Einheit um jeden Preis zu sehen. Sein Festhalten an der eigenständigen orthodoxen Form christlichen Lebens und Glaubens ist mindestens ebenso stark wie die Einsicht, daß die heute in allen Kirchen anstehende Reform nicht vereinzelt, sondern durch koordiniertes Bemühen aller Konfessionen erfolgen muß, wenn die Kluft zwischen den Christen dabei nicht vergrößert, sondern überwunden werden soll. Daher Athenagoras' Interesse an der Entsendung orthodoxer Beobachter zum Zweiten Vatikanischen Konzil, sein Drängen nach der Mitgliedschaft aller orthodoxen Patriarchate im ökumenischen Rat der Kirchen und die Eile, möglichst rasch ein Ostkirchenkonzil zu versammeln, solange die Reformtätigkeit in den anderen Kirchen noch anhält. In ökumenischen Kreisen wird oft die Frage gestellt, ob Athenagoras bei seinen unkonventionellen Reform- und Einheitsbemühungen katholisierende oder protestantische Tendenzen verrate. Der Patriarch ist sicher insoweit dem reformatorischen Anliegen verbunden, als er sich tätig zum Grundsatz der „ecclesia Semper reformanda“, der immer neu zu reformierenden Kirche, bekennt, und seine KatholikenfreundHchkeit gründet auf der orthodoxen Auffassung vom fünfköpflgen Führungskollegium der „Einen“ Kirche, in dem der Papst neben den Patriarchen von Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem den Vorsitz führen soll. Will Athenagoras diesem west-ost-kirchlichen Kollegium den römischen Primas wiedergewinnen, so würde gleichzeitig dessen unumschränkter Jurisdiktionsanspruch durch die Patriarchenkollegen mitverantwortet werden. Die Konzeption Athenagoras' I. wird sich sicher in den weiteren Jahren seines Pontifikats als besonders fruchtbar für den ekklesiologischen Dialogezwi-schen den Kirchen erweisen.

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