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Anleihen beim Faschismus

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Das Unbehagen zwischen Regierung und Opposition, die ungeklärten wirtschaftlichen und politischen Umstände und die ersten deutlich merkbaren Regungen einer ideologischen Zusammenfassung der Wehrverbände der Rechten, wobei in der Steiermark und Tirol die Anstrengungen der Heimwehren organisatorisch schon 1926 deutlich wurden, und sich auch die Frontkämpfervereinigung im Osten Österreichs ein politisches Programm gab, das am 8. März 1926 bekanntgegeben wurde, zeigt, wie stark der Zündstoff auf beiden Seiten bereits vorhanden war. Obwohl man den Faschismus in Südtirol ablehnte, nahm man starke geistige Anleihen, „da das Volk keine seelische Einheit mehr ist, so bedarf jeder Führer einer Minderheit, auf die er sich stützt und die von seinem Willen geformt, eisern geschlossen und gleichgerichtet im Geiste jene Gewalt ausübt, die eine Nation im Geiste zusammenhält. Diese Minderheit muß auf der Tradition des Vaterlandes beruhen, muß auf die Helden des Volkes zurückgreifen, Kraft schöpfen aus der großen Vergangenheit von Volk und Heimat.“ Auch die Bildung einer Elite, nämlich des „Eisernen Kerns“, der mit einer Art Geheimschulung die Anklänge an die spätere Ordensideologie der SS enthält, war innerhalb der Frontkämpfervereinigung vorgesehen'. Auch in den Heimwehren, vor allem in Tirol, fanden sich manche Ansätze zur Bewunderung des sonst abgelehnten italienischen Faschismus, so etwa im Jahre 1926 anläßlich der Einführung der italienischen Syndikatsgesetze, die man als „Stärkung der faschistischen Innen- und Außenpolitik“ bewunderte.

Dazu kam aber auf der anderen Seite die Unbesorgtheit über die möglichen Folgen eines Freispruchs für die Schattendorfer Angeklagten. Obgleich es schon vor dem Freispruch in Favoriten und Klosterneuburg zu blutigen Zusammenstößen gekommen war, glaubten die Sozialdemokraten, daß die Organisation der gewaltigen Partei mit ihrem Vertrauensmännerapparat und dem Republikanischen Schutzbund jeder auch noch so spontanen Massendemonstration Herr werden könnte, daß das oft angewandte System des geduldigen Überredens weiter funktionieren würde — kurzum, daß gegenüber der lauten und kräftigen Sprache der Presse der Sozialdemokraten und ihrer Parteiführung, in der Realität des Augenblicks ein wirksames Hindernis aufgerichtet werden könnte.

Die Sicherungen brannten durch

Am 15. Juli 1927 gingen die stillschweigenden Sicherungen auf beiden Seiten wie bei einer elektrischen Kraftentladung durch. Der berühmte

Artikel des Chefredakteurs der „Arbeiter-Zeitung“ Friedrich

Austerlitz wird heute richtig als eine Ablenkung der Massenerregung verstanden und die Erinnerungen von Dr. Julius Deutsch zeigen auch, wie die Partei- und Schutzbundführung, als die ersten Nachrichten über ungeordnete Demonstrationen einlangten, in einem seltsamen, Gemisch von Ratlosigkeit und Unkenntnis über die Raschheit der sich entwickelnden Protestmärsche vorging. Man ahnte nicht, daß dieser heiße Julitag der Parteiführung die Massen aus der Hand gleiten ließ, bis die Flammen des brennenden Justizpalastes, die Erstürmung der Polizeiwachstuben, ' die Zerstörung von Redaktionen, darunter der „Reichspost“, plötzlich den ganzen Ernst der Lage zeigten. Fraglos ist es, daß die sozialdemokratische Parteiführung durch ihre Spitzenvertreter versuchte, die Massen zu beruhigen, im Zentrum der Ereignisse — beim Justizpalast — verzweifelt eingriff, um eine — heute würden wir sagen —. „Eskalation“ zu vermeiden. Anderseits darf nicht übersehen werden, daß auch die Gegenseite, nämlich die Polizei, unter der Führung des Polizeipräsidenten Dr. Schober, zu dem sowohl Julius Deutsch als auch Karl Seitz persönlich ausgezeichnete Beziehungen unterhielten, von der Gewalt der Demonstration völlig überrascht wurde. Viel zu gering war der Schutz des Parlaments und der umliegenden Straßen. Die verzweifelte Reiterattacke der Polizei stachelte die Menge nur noch mehr auf, und vor allem war die Bewaffnung der Polizei ungenügend (langer Schleppsäbel und Pistole), um überhaupt entsprechend eingreifen zu können. Johannes Schober, der verbindliche Beamte, dessen gute Zusammenarbeit in den vergangenen Jahren anläßlich von Massendemonstrationen der Sozialdemokraten Julius Deutsch hoch heute rühmt, stand einer vollkommen neuen Lage gegenüber. Die Polizeikontingente waren für ein scharfes Durchgreifen nicht gerüstet und mußten vor einem solchen: Auftreten erst eine letzte Entscheidung abwarten, nämlich die Möglichkeit eines Eingreifens des Bundesheeres. Diese Entscheidung aber lag nicht in den Händen der Regierung, sondern nach dem damaligen Wehrgesetz, das für die Anforderung des Bundesheeres das „Requisitionsprinzip“ durch den jeweiligen Landeshauptmann vorsah, beim Bürgermeister von Wien, der davon nicht Gebrauch machte.. In der sozialdemokratischen Soldatenzeitung „Der Soldat“ vom 1. August 1927 nahm man dazu wie folgt Stellung:

„Die Besonnenheit des Wiener Bürgermeisters verhinderte, daß das Bundesheer zum Kampf gegen Wehrlose eingesetzt wurde. Es beschränkte vielmehr seine Tätigkeit auf den Schutz und die Sicherung wichtiger staatlicher Objekte. Dies mag freilich nicht die Zustimmung aller Heeresangehörigen finden, wurden doch Stimmen laut, die bedauerten, daß es ihnen nicht vergönnt war, den Wiener Arbeitern die Wucht des militärischen Apparates fühlen zu lassen, daß sie nicht Gelegenheit fanden, zu beweisen, daß des Heeres Arm dem der Polizei an Stärke nicht nachsteht. Wir wollen in diesen Tagen des allgemeinen Schmerzes und der Trauer ob der furchtbaren Menschenopfer mit diesen Narren nicht rechten, wollen vor allem keine weitere Beunruhigung in den Reihen der Soldaten auslösen, vielmehr in einem späteren Zeitpunkt ernsthaft über das Verhalten des Heeres in diesen kritischen Tagen sprechen.“

Eingestandenermaßen verließ man sich auf seiten der Sozialdemokraten auf die starke gewerkschaftliche Position im Berufsheer und in der Bundespolizei — angesichts des klaglosen Funktionierens der Exekutive eine Täuschung! Die endgültige Entscheidung fiel im Schöße der Regierung. Wie wir heute wissen, wurde vom Bundeskanzler der Vizekanzler und Innenminister Hartleb, ein Vertreter des Landbundes, beauftragt, den Befehl zum Eingreifen der aus Beständen des Bundesheeres mit Gewehren ausgerüsteten Polizei zu geben. Daß im letzten Moment —

wie Deutsch berichtet — eine telefonische Verständigung zwischen ihm und Schober zwecks Anhalten der Polizeiabteilungen nicht mehr gelang, gehört zu den vielen tragischen Zwischenfällen dieses furchtbaren Tages. Der von der sozialdemokratischen Parteiführung proklamierte Generalstreik, der sich aber nur auf gewisse Sparten des öffentlichen Dienstes beschränkte, zeigte sofort die ganze Problematik der Zusammenhänge der Innen- und Außenpolitik in Österreich. Leopold Kun-schak berichtet in seinen Erinnerungen von der Intervention Italiens zwecks Sicherung des Eisenbahnverkehrs nach Nordtirol — eine Drohung, die um so emster zu nehmen war, als Mussolini bereits 1925/26 vom „Tragen' der Trikolore über den Brenner“ gesprochen hatte und man bei dieser Gelegenheit in einem seltenen Fall von Patriotismus sogar eine Verteidigung Nordtirols durch Bundesheer, Republikanischem Schutzbund und Heimwehren in Erwägung zog. Drohende Truppenkonzentrationen an der ungarischen und tschechoslowakischen Grenze ließen den Ernst der Lage erkennen.

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