6689346-1962_31_03.jpg
Digital In Arbeit

Anträge, Vorschläge...

Werbung
Werbung
Werbung

Chruschtschows Rede war etwai lang. Wie schon erwähnt, zitierte ei Bertrand Rüssel. Er fälschte jedoch ik offenkundige Tendenz des Russel-Aus-Spruches, wenn er sagte, daß den Sowjets „die Politik der Entfesselung eines Weltkrieges um des Sieges dei kommunistischen Ideologie willer fremd“ sei. Rüssel meinte mit seinem Ausspruch offenkundig im Sinn eines radikalen Pazifismus nämlich nichl nur, daß es falsch sei. um den Sieg der eigenen Seite zu kämpfen, sondern vielmehr, daß es auch falsch sei, gegen einen Angriff die Waffen zu ergreifen. Das ist ungleich mehr. Daß Chruschtschow sich jedoch bemüßigt sah, auf diese These einzugehen, unterstreicht nur das, was sich dann in den folgenden Tagen völlig offenbarte, daß auch für den Kommunismus und seine materialistische Moraltheologie der Pazifismus etwas höchst Beunruhigendes darstellt.

Wenn sich die Sowjets auch nie direkt gegen die Pazifisten verteidigten, so war nicht nur Chruschtschows Passus allein ein Versuch, sich ihnen zu stellen und ihnen gleichzeitig auszuweichen. Schon vor Chruschtschow hatte M. W. Keldysch als Sprecher der sowjetischen Wissenschaftler diese verteidigt, ehe sie noch angegriffen worden waren, indem er erklärte, daß die Sowjetwissenschaftler sich nur deshalb an der Herstellung von Atom- und Wasserstoffbomben beteiligten, weil sie „fest davon überzeugt“ gewesen waren, „daß diese Mittel in der Hand des Sowjetstaates zur Verhütung eines Krieges verwendet“ würden.

Als sich schließlich am zweiten und dritten Tag der Kongreß in Kommissionen teilte, entschied ich mich dafür, an den Sitzungen der vierten Kommission teilzunehmen, die über die ethischen, kulturellen, medizinischen und juridischen Aspekte der Abrüstung verhandeln sollte.

Zunächst sprach ein US-Amerikaner — als Vorsitzender — langatmig und in jenem protestantischen Predigerton, der aus den US-amerikanischen Ausführungen fast immer herauszuhören war. Immerhin schlug er schließlich konkrete Maßnahmen vor, um das Mißtrauen abzubauen, die Zusammenarbeit von Ost und West in einem Jahr der Gesundheit und ähnliches. Weil er viel zu lange sprach, erzeugte er Unruhe. Als nach ihm jedoch ein Sowjetrusse endlos lange ohne konkrete Vorschläge über die bösen US-Imperialisten herzog und dabei kein Ende fand, war es den Teilnehmern einfach zu dumm, und es kam zu einem regelrechten Tumult, wie ihn das Haus der Architektur, in welchem die Sitzung stattfand, wohl schon lange nicht gesehen hat.

Es kam zu einem Antrag eines westdeutschen Teilnehmers, daß künftig nur fünf Minuten zu reden und de Redner nach zehn Minuten zu unterbrechen sei, ein Antrag, der sich eindeutig gegen die Ausführungen des Russen richtete und jubelnd begrüßt wurde. Es sprach dann ein Inder, der — wohl nach etwas zuviel Alkoholgenuß enthemmt — erklärte, daß die Reden „keine Substanz gehabt hätten“. Und schließlich kam es nach weiteren Tumulten, die zu steuern sich Ilja Ehrenburg mit keineswegs durchschlagendem Erfolg bemühte, zur Bildung von Unterkommissionen, wobei ich dann an jener teilnahm, die sich mit den moralischen Problemen befaßte.

Und hier hielten Pazifisten Reden, die von den anwesenden Sowjetrussen schweigend und ohne Reaktion eingesteckt wurden. Hatte der Metropolit von Leningrad die westlichen Atommächte als „atomic maniacs“ (so die Simultanübersetzung) bezeichnet, so mußte er sich von einem britischen Dozenten, der die anwesenden Sowjetrussen aufforderte, sich entschlossen gegen die Atomversuche ihrer Regierung zu stellen, sagen lassen, daß er nur dann hier mit moralischer Autorität sprechen könne, wenn er die sowjetischen Atomversuche im vorigen Jahr entschlossen verurteilt hätte.

Ein dänischer Wehrdienstverweigerer erklärte, daß er schon auf früheren Kongressen die Wehrdienstverweigerung ohne Erfolg zum Problem gestellt hätte, und darnach kam er zu einem regelrechten Antrag, daß alle Staaten, einschließlich der Sowjetunion (extra erwähnt) aufgefordert werden sollten, für Militärdienstverweigerer einen Ersatzdienst einzuführen und Propaganda für Wehrdienstverweigerung zuzulassen.

Ein Westdeutscher erklärte schließlich, daß die Christen es bislang nicht gewagt hätten, aus dem Wort Christi „Liebet eure Feinde, tut Gutes denen, die euch hassen“, die Konsequenzen zu ziehen, ebenso wie aus dem anderen: „Wenn dir einer auf die eine Backe schlägt, halte ihm noch die andere hin.“ Aber heute sei dies die einzig mögliche Ultimo ratio der Weltgeschichte. Kein Sowjetmensch, einschließlich der in sich hineinschweigenden Kirchenfürsten, ging darauf ein.

Ein Holländer erklärte überzeugend, daß es keine gute Atombombe gäbe, sei sie nun russisch oder amerikanisch. Sic sei ein böses Mittel, und solche könnten niemals etwas Gutes bewirken. Ein in sich schlechtes Mittel könne in keinem wie immer gearteten Zusammenhang etwas Gutes werden.

Wenn auch das allgemeine sowjetische Publikum von diesen Sitzungen ausgeschlossen war, so waren doch so viele Übersetzer, Beobachter und andere im Saal, daß man sicher sein kann, daß weder das Volk von Moskau noch das von Wladiwostok über diese Dinge uninformiert blieb.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung