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Antwort an Franz Klüber

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Franz Klüber, Regensburg, erklärt: „Die aktive Gegenwehr mit Hilfe der Gewalt ist nunmehr das einzige Mittel, welches den italienischen Staat zu zwingen vermag, die Menschenrechte in Südtirol zu respektieren und dem Land die ihm zustehende Selbstbestimmung zu gewähren, die jeder afrikanischen Kolonie zugestanden wird, wenn sie darauf besteht.“ In seinem Buch „Moraltheologie und rechtliche Beurteilung aktiven Widerstandes im Kampf um Südtirol“ erklärt er (S. 57) zudem noch, daß die italienische Staatsgewalt in Südtirol dem Antichrist gleichzusetzen sei, indem er die klassische Stelle des Neuen Testaments (2 Thess. 2, 3 f.) zur „Ansprache“ des Antichrists auf die Italiener bezieht

Mir geht es nicht um eine „Verketzerung des Gegners“ — ich weiß als Historiker und als Christ im 20. Jahrhundert aus eigener Erfahrung sehr wohl, was eine Verketzerung des Gegners bedeutet, wohl aber um dies: Diese Thesen sind falsch und sind für Südtiroler und Österreicher mehr als lebensgefährlich: Kein Katholik darf sich heute erlauben, den italienischen Staat als Antichrist anzusprechen, weil er mit diesem Staat eine schwere und langwierige Auseinandersetzung hat. Die Behauptung, daß „aktive Gegenwehr mit Hilfe der Gewalt das einzige Mittel“ sei, sich diesem Staat gegenüber durchzusetzen, denunziert alle Diplomaten und Politiker, die mit Italien verhandeln, als Narren oder Schwächlinge oder Träumer und denunziert alle Südtiroler und Österreicher, die mit Italien friedlich zusammenleben wollen (wie es der überwiegende Teil der Bevölkerung in Südtirol tut!) als Volksverräter, Kollaborateure, als Menschen, die ihre Pflicht vergessen.

Wir geraten hier in einen Teufelskreis. Aus diesem Teufelskreis hilft auch nicht der ganz unebene Vergleich des Kampfes der Südtiroler Widerstandskämpfer mit den Kämpfern des 20. Juli 1944 und des 17. Juni 1953 und den Kämpfern der ungarischen Erhebung 1956 heraus. Wer die italienische Regierung in Rom 1963 mit den Regimen Hitlers, Ulbrichts und Rakosis vergleicht, ja identifiziert, besitzt kein Augenmaß, keine Gabe der Unterscheidung, keine discretio, die von den Vätern der Kirche als Mater virtutum, Mutter aller Tugenden, genannt wird. Wer Menschen den Rat gibt, ja es ihnen zur Pflicht macht, zur Waffe zu greifen, muß heute diese Gabe der Unterscheidung besitzen, sonst geschieht das, was eben jetzt zu geschehen droht: daß kreuzbrave Burschen und Männer, die jetzt in Mailand vor Gericht stehen, meist gutgläubige, wackere Menschen, die das beste für ihre Heimat zu tun meinten, in einen Topf geworfen werden mit jener zweiten Welle (oder ist es gar die erste Welle?) von politischen Desperados, von Kriminellen, die sich in Südtirol ihre Blutsuppe kochen wollen: einer von diesen ist vor wenigen Tagen beim Grenzübertritt nach Italien verhaftet worden: Hier führt die Spur direkt zurück zu den Mördern und Henkern des Dritten Reiches — und zu jener faschistischen Internationale, die in den Anschlägen auf de Gaulle und andere Franzosen, die den Ausgleich mit den Algeriern vorbereiteten, ihre „Schlagkraft“ demonstriert haben.

Verlassen wir diesen Teufelskreis! Es ziemt dem Katholiken in einem Augenblick, in dem Papst Paul VI. in Jerusalem den Kreuzweg des Herrn betritt — ein Papst, der im Gespräch mit österreichischen Politikern gerade in der letzten Zeit sich entschieden zu einer friedlichen Lösung des Südtirol-Problems bekannt hat — die Chance wahrzunehmen, die der Modellfall Südtirol dem Christen bietet: neue Formen der Auseinandersetzung zu lernen! Wer Widerstand heute bedenkt, predigt, fordert, praktiziert — als Christ praktiziert —, muß wissen: Er ist, mitverantwortlich für den Gegner, der heute und morgen sein Partner ist. Er muß — im Widerstand — erfinderisch sein: Es kann keine Rede davon sein, daß in Südtirol alle Mittel erschöpft wurden, um Italien „aufmerksam“ zu machen. Wie bereits den Männern, die für die beiden Weltkriege verantwortlich sind, fehlte es auch hier an „Phantasie“: Man hat unter anderem verabsäumt, in Italien Jahr für Jahr um Verständnis für Südtirol zu werben. Südtiroler Reisen zu Aufzügen nach Innsbruck (erlaubt von dem „Antichrist“-Staat Italien auch nach den Bombenanschlägen) mögen gut sein, sinnvoller und wichtiger wären Südtiroler Demonstrationen (friedliche Demonstrationen — mit Darbietungen der heimischen Volkskunst, Trachten, Sang und und Aufzug) in den Regionen Italiens von Sizilien und Unteritalien herauf gewesen: Es gibt bekanntlich in Italien nicht nur Regionalisten, die aus politischen Gründen ein gewisses Verständnis für Südtirol haben, sondern breite Zonen, in denen die Menschen durchaus neugierig im guten Sinne sich ihre „barbarischen“ Brüder aus dem Etschland angesehen hätten. Hier aber stand die böse und primitive Ideologie vom „Welschen“, „mit dem man nicht reden kann“, im Wege. Es fehlte bis jetzt von Südtiroler Seite eine systematische Kontaktpflege mit allen italienischen Politikern und politischen Gruppen, die für Südtirol ein gewisses Verständnis besitzen. Hier müßte man allerdings auch mit den „bösen Roten“ reden, die seit 1918 für die Rechte der Südtiroler eingetreten sind.

Nicht aus Italien heraus, sondern in Italien hinein ist der Widerstandskampf der Südtiroler zu führen: mit neuen Waffen, die vor jedem Gerichtshof der Welt und vor der Weltöffentlichkeit sich sehenlassen können. Allein bereits das Durchdenken eines neuen und neuartigen Widerstandskampfes — einem Gegner gegenüber, den man eben nicht als Antichrist und rohen Gewalttäter denunzieren darf — erfordert einen ganz neuartigen Einsatz von Spiritualität, von Geistigkeit, von politischer Klugheit: und hat als solches Anspruch auf Hilfe von Theologen. Dies schmerzt mich, Franz Klüber, ja am allermeisten: daß Sie als Theologe hier nicht Ihre Chance wahrnahmen, die sehr schwierigen Fragen — Widerstand heute, im Atomzeitalter, und einem schwierigen Gegner, der zugleich Partner ist, gegenüber — neu durchdacht haben, sondern zu den alten und heute unbrauchbaren Modellen Ihre Zuflucht genommen haben.

Dies wünsche ich Ihnen — und uns allen — an der Schwelle des neuen Jahres 1964: daß wir geistig mutiger, nüchterner, umsichtiger und liebender als Christen in der einen Welt unsere Verpflichtungen in Zusammenarbeit und Auseinandersetzung mit Freund und Gegner wahrnehmen. Die Straßen der Vergangenheit, die Sie befahren, führen nur zu Krieg und Bürgerkrieg. Wir müssen neue Wege finden — und sie zuerst suchen! Eine große nichtchristliche Welt schaut auf uns Europäer. Und sie sieht auch, wie wir Christen miteinander verfahren: in Südtirol und andernorts...

Bin Ihr

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