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Arbeitsfriede oder Arbeitskrieg?

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Die Vereinigten Staaten von Nordamerika streben zur Zeit dem Höhepunkt ihrer Macht entgegen. An die Stelle des Isolationismus und der Zurückgezogenheit ist ein tiefes Weltverantwortungsgefühl getreten. Ihre Außenpolitik steht im Zentrum des Interesses der ganzen Welt. Dieses gigantische Kraftfeld, das Nordamerika vor sich herschiebt, verdunkelt etwas das Blickfeld der inneren Entwicklung. Nur dann, wenn die im Innern wirkenden Kräfte hart zusammenprallen, bekommt dieses etwas diesige Bild der inneren Verfassung Amerikas deutlichere “Konturen. Ein solcher Zusammenstoß war zweifellos die Auseinandersetzung Unternehmer gegen Arbeiterschaft. Das Ende des Krieges, die Umstellung der Industrie auf den Frieden und die damit verbundenen Erschütterungen des Arbeitsmarktes brachten eine ganze Reihe sämtliche Bundesstaaten umfassende und den Wiederaufbau gefährdende Streiks mit sich; wie überall stiegen auch die Preise und bedrohten, das für _ europäische Verhältnisse unerreichbar hohe Lebensniveau der Arbeiterschaft. Lohnforderungen waren die Antwort und damit der Einsatz aller jener Pressionsmittel, die dem Arbeiter und der Gewerkschaft zur Verfügung stehen. Wochenlang standen die Förderschächte der Kohlengruben still, dampften keine Züge über die großen „rail-roads“ zu den Hafenstädten, fuhren keine Schiffe über die Meere. Millionen Arbeitsstunden kosteten die Arbeitsniederlegungen in den großen Automobilfabriken und Stahlwerken. Der Durchschnittsamerikaner sah hinter all dem die Diktatur der Gewerkschaften — und wählte mit überwältigender Mehrheit die republikanische Partei. Diese, in ihrem Eifer, die Wünsche der Wähler zu erfüllen, ging sofort daran, das Verhältnis Unternehmer-Arbeiter umzustellen. Es ist aber immer so, daß der Pendelausschlag nach der einen Seite, den gleichen auf der anderen mit sich bringt. Nur so kann man sich die Entstehung des T a f t-Hartleyschen Arbeit's gesetzes erklären, das wohl die schärfsten, für uns kaum vorstellbaren Maßnahmen gegen die Arbeiterschaft in einem demokratischen Staat seit dem Ende des ersten Weltkrieges darstellt.

Die Vereinigten Staaten besaßen niemals eine konsequent vom Anfang an aufbauende Arbeitargesetzgebung. Die Initiative ging immer von einzelnen ft|jjnnern in der Regierung oder im Kongreß aus. Ihr größter Förderer war Präsident Franklin D. Roose-velt, dessen New-Deal-Versuch der geschichtlichen Entwicklung vorausgriff. Unter seiner Regierung trugen aber die Gesetze der Senatoren Wagner und La Guardia sehr zur Stärkung der Gewerkschaften bei. Der im Jahre 1935 begonnene Gegenschlag des Unternehmertums führte diese mit der Annahme des Taft-Gesetzes im 80. Kongreß des Jahres 1947 zu einem vorläufigen Sieg. Vorläufig nur, denn die 15 Millionen organisierten Gewerkschafter, die in den beiden großen Verbänden — der CIO und AFL — zusammengefaßt sind, können schon bei der nächsten Präsidentenwahl der republikanischen Welle kräftig begegnen. Bei allen diesen Lösungsversuchen — mögen sie von der einen oder anderen Seite unternommen werden —. erscheint es dem BV'hauer, als ob jeweiliger Machtbesitz rücksichtslos in die Waage geworfen würde, unbekümmert, wie sehr dadurch die Waagsdialen sozialer Gerechtigkeit und des Arbeitsfriedens aus dem Gleichgewicht gebracht werden.

Dem Kongreßausschuß, der unter der Leitung der Senatoren Taft, Ball und Ives stand, war es diesmal darum zu tun, die Macht der Gewerkschaften zu brachen, den Unternehmern das Mitsprachrecht in der Gewerkschaftspolitik zu sichern und eine Strafsanktion für Streiks zu finden. In diese Richtung weist auch das Verbot der „closed shops“ in diesem Gesetz. Dieses Privileg, das man wohl am besten mit dem Wort „gechlossener Betrieb“ übersetzt, war das Alpha und Omega der Gewerkschaften. Es gab ihnen das Recht, in bestimmten Betrieben überhaupt nur Gewerkschaftsmitglieder aufzunehmen. An seine Stelle soll nun der „Union shop“ treten, der den Arbeiter wohl dazu verhält, nach Antritt seiner Anstellung der Gewerkschaft beizutreten, mit der wichtigen Einschränkung aber, daß sich die Belegschaft des Betriebes in geheimer Wahl ausdrücklich für die Einrichtung erklärt haben muß. Die härtesten Schläge führt das Gesetz gegen die Streiks. Es sieht nicht nur vor, daß gewisse Arten von Streiks — so zum Beispiel Sympathiestreiks — unter Strafsanktion gestellt werden, sondern macht auch die Gewerkschaften schadenersatzpflich-t i g für alle aus solchen verbotenen Arbeitseinstellungen erfolgten Schäden. Das gleiche gilt in diesem Zusammenhang für „Kontraktbruch“ der „Trade Unions“. In Verbindung damit wird dem Generalstaatsanwalt das Recht gegeben, mit den Machtmitteln des Staates in jeden Streik einzugreifen, der das öffentliche Wohl gefährdet. Die Arbeiter hab.en nur die Möglichkeit, die letzten Schlichtungsvorschläge der Unternehmerdurch geheime Wahl anzunehmen oder zu verwerfen, bevor es überhaupt zur Arbeitsniederlegung kommt. Auch auf dem finanziellen Sektor wurden die Gewerkschaften in ihren Machtbefugnissen stark beschnitten. So muß jeder Arbeiter schriftlich sein Einverständnis erklären, daß er bereit sei, seine Gewerkschaftsbeiträge von seinem Gehalt automatisdi abziehen zu lassen. Facharbeitern wird die Möglichkeit gegeben, eigene Arbeitsvermittlungsagenturen — unter vollkommener Ausschaltung der Gewerkschaften — zu benützen. Damit wird auch der Einspruch der Gewerkschaften bei der Aufnahme oder Entlassung von Arbeitern wesentlich eingeschränkt.

Der Kampf um die Annahme des Gesetzes im Kongreß war erbitterter, als es die Abstimmungszablen zeigen. Seit langer Zeit griff der Präsident wieder einmal zu dem ihm zustehenden Vetorecht. In einem diese Maßnahme erklärenden Brief, den er an den Führer der Demokraten im Repräsentantenhaus schrieb, führte er aus: „Dies ist eine der kritischesten Perioden unserer Geschichte. Jede Maßnahme, die unsere nationale Einheit schwächt, kann nicht nur für unser Land, sondern für die ganze Welt unabsehbare Folgen haben.“ Sein Appell wurde nicht gehört. Das Repräsentantenhaus stimmte mit 331 : IS Stimmen für das Gesetz, der Senat überstimmte das Veto des Präsidenten mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit von 68 : 25 Stimmen. In diesem zweiten Haus der amerikanischen Gesetzgebung wogte der dramatische Kampf zwei Tage und eine ganze Nacht hindurch. Von morgens bis zum nächsten Morgen, und einen weiteren Vormittag versuchten routinierte „Filibusters“ — das sind jene, die durch Dauerreden eine Entscheidung aufhalten wollen —, Zeit zu gewinnen und das Land zur Entscheidung aufzurufen. Senator Taylor sprach 8 Stunden 20 Minuten, ihm folgte Senator Morse — als einziger Republikaner, der gegen das Gesetz sprach — mit 10 Stunden. A's der Morgen des Entscheidungstages graute, sah man die Gesetzgeber des Staates, unrasiert, der Erdiöpfung nahe, zum letzten Waffengang antreten. Endlich mußte sich die kleine Opposition der republikanischen Mehrheit beugen, die eiserne Disziplin in ihren Reihen hielt. Kurz vorher hatte Präsident Truman noch über den Äther das Gesetz „ein anstößiges Werk der Ge setzgebung“ genannt, dessen Auswirkung gleich schlecht „für Arbeitgeber, Arbeitnehmer und das ganze Land ist“.

Die Reaktion der Arbeiter war, wie zu begreifen ist, mächtig. In diesem und jenem Staate der Union flammten unverzüglich kleine Streiks auf, die rasch um sich griffen. Einige Arbeiterführer begannen den Generalstreik mit 90 Prozent Ausstand der Arbeitnehmer zu prophezeien. Der CIO Kongreß in San Franzisko bat den Präsidenten dieser Gewerkschaftsvereinigung., einen vierundzwanzigstündigen Streik für das ganze Land auszurufen. Die „Unions“ aber traten zusammen, um über eine Ein heitsgewerkschaft zu beraten. Gemeinsame Komitees zur Verteidigung der Arbeiterrechte wurden ins Leben gerufen. Die gewichtigste und nicht zu überhörende Warnung aber war der Beschluß der „Unions“. mit anderen „progressiven“ politischen Körperschaften gemeinsame Schritte im Hinblick auf die nächste Wahl zu unternehmen. Im Hintergrund stand drohend das für beide Parteien — Republikaner wie Demokraten — gleich fatale Gespenst der dritten Partei Henry Wallaces. Sein Weizen blüht durch dieses Gesetz. Man kann sich nichts Gutes aus diesem parlamentarischen Gewaltstreich gegen den sozialen Frieden versprechen. Er wurde gegen die Warnungen des Staatspräsidenten geführt. E3 ist heute nodi nicht abzusehen, wohin die Entwicklung führen wird. Solche Gesetze sind imstande, den Lauf der Dinge entscheidend zu beeinflussen, Präsidenten zu stützen, Parteien aus dem Sattel zu heben, staatsfeindlich eingestellten Elementen Einfluß auf eine in ihrem Rechtsempfinden tief enttäuschte Klasse der Gesellschaft einzuräumen. Der Kampf um den Arbeitsfrieden hat mit einer Verbreiterung der Kluft begonnen Das Taft-Hartleysche Arbcitsgesetz ist ein gefährliches Experiment.

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