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Argentinien, wohin?

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Am 13. Juni wurde im „Teatro Colón“ der 150. Jahrestag der argentinischen Unabhängigkeitserklärung gefeiert. Es gab den „Gesang auf die Fahne" aus der Oper „Aurora“ des argentinischen Komponisten Héctor Panizza und unter anderem eih Ballett „Der Kampf“. Präsident Generalleutnant a. D. Juan Carlos Ongania ging in Zivil auf dem roten Teppich zwischen dem Spalier der Kavalleristen in den Zuschauerraum.

Aber man sah nicht nur die Offiziere, Minister und hohen Beamten. In einigen Logen saßen ungewohnte Ehrengäste: die peronistischen Gewerkschaftsführer. In der Pause gab es einen „Lunch“. Es war der zweite, an dem Offiziere und Arbeiter teil- nahmen. Schon im März hatte das Syndikat der Elektrizitätsarbeiter ein Festessen — mit Kaviar und Sekt — für eine Militärpatrouille gegeben, die an den Südpol gelangt war. Damals hatte Ongania ein Begrüßungstelegramm geschickt. Seit der Machtübernahme hat er die Gewerkschaftsführer zu allen Staatsakten eingeladen — mit Ausnahme der kommunistischen. Er wartet, bis diese aus der Gewerkschaftszentrale CGT ausgebootet sind, ehe er ihre Vertreter offiziell empfängt. Alle fragen in Buenos Aires: Wohin steuert Ongania? Seit er den Universitätsprofessor für Verfassungsrecht Dr. Enrique Martínez Paz zum Innenminister ernannte, war klar, daß er eine „katholische Regierung“ bilden wollte. Zuerst glaubte man auch, daß er einen betont „kapitalistischen Kurs“ einschlagen werde. Denn er wählte einen „Manager“ großer Unternehmen, Dr. Néstor Salimei, zum Wirtschaftsminister und beauftragte den lautesten Rufer nach „freier Wirtschaft“, Exminister Doktor Alvaro Alsogaray, Leiter des „Instituts für Marktwirtschaft“ und Verehrer Dr. Erhards, in nordamerikanischen und westeuropäischen Finanzkreisen für gutes Wetter zu sorgen. Damals stiegen die Aktien.

Mitspracherecht der Gewerkschaften

Inzwischen sind sie wieder gefallen. Zwar ist aus den Reden Onga- nias, die sich mehr durch Kürze als durch Inhalt auszeichnen, zu entnehmen, daß er — wie erwartet — von der „dirigierten“ zu der „freien“ Wirtschaft übergehen wird. Aber er will Argentinien nicht auf Kosten der Masse sanieren. Jetzt wurde der neue Tarifvertrag für die Bankbeamten unterzeichnet, den die gestürzte Regierung mißbilligt, weil er entgegen ihrem Stabilisierungsprogramm eine Gehaltserhöhung von 30 Prozent gewährte. Ongania gibt sechs peronistischen Gewerkschaften die Rechtspersönlichkeit zurück, die ihnen die mihjie Illia-Regierung wegen zu lauter Revolutionsrufe entzogen hatte. Die Gewerkschaften sollen unbehelligt wirken können, solange sie keine Politik machen und ihre Forderungen nicht mit Gewaltmethoden wie der bis jetzt üblichen „Besetzung der Fabriken“ durchzusetzen suchen. Diese Lohn- und Sozialpolitik widerspricht den Wünschen der Unternehmer und der Alsogaray-Gruppe.

Fachleute statt Politikern

Ongania, dessen Regime oft an das von Papen 1932 in Deutschland erinnert und von seinen Gegnern „klerikalreaktionär“ genannt wird,

will eine neue Epoche der argentinischen Geschichte einleiten. Ihm scheint dabei ein „autoritärer Ständestaat“ vorzuschweben. Sein

Lieblingswort ist „comunidad“, das heißt „Gemeinschaft“. In Argentinien und in Brasilien spricht man von dem Bündnis zwischen Offizieren und Technokraten. Ongania hat die Politiker abgeschafft und will sie durch die Fachleute ersetzen. Statt mit Parteien will er mit Berufsgruppen regieren. Er befürwortet einen „Sozialvertrag“ zwischen Unternehmern, Arbeitern, freien Berufen usw., der zu einem System der „sozialen Sicherheit" führen soll. Auf diese Weise will er — neokatholischen Lehren folgend — die Masse gewinnen und vor dem Marxismus retten.

Nun sind die Argentinier in ihrer politischen Gesinnung zu entwickelt, als daß sie ihre traditionellen Parteien mit einem Federstrich auf die Dauer zum alten Eisen werfen ließen. Anderseits wird ihre wirtschaftliche Einstellung so stark von dem sogenannten „Gruppenegoismus“ beherrscht, daß Ongania sie kaum wird veranlassen können, ihn im Staatsinteresse zu überwinden.

Die merkwürdige Verbrüderung, die bei dem Ausbruch der Revolution zwischen Nationalisten und international Eingestellten, Peronisten und Antiperonisten sowie Unternehmern und Arbeitern zu beobachten war, entsprang der Schockwirkung, die oft bei plötzlichen und unübersichtlichen Veränderungen eintritt. Wenn Ongania in ihr die Morgenröte einer neuen Zeit sieht, dürften ihm bittere Enttäuschungen nicht erspart bleiben.

Hinzu kommt, daß er Kreise in seine Nähe läßt, die seinem Prestige ebenso schaden wie dem des Landes. So hat der Innenminister Doktor Enrique Martinez Paz eine Abordnung der rechtsradikalen Terrororganisation „Tacuara“ empfangen, eine Haltung, die Onganias Erklärung, extreme Richtungen jeder Art äbzulehnen, in Frage stellt. Man sagt in Buenos Aires sogar, daß ein noch kürzlich von der Polizei verfolgter Terrorist dieser Gruppe, Patricio Recalde Pueyrredön, einen Posten im Innenministerium erhalten habe.

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