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Argument oder Macht?
Man wird oft gefragt, warum das Integrationsproblem seit Jahren das meistdiskutierte wirtschaftspolitische Thema ist. Die Antwort auf diese Frage fällt nicht schwer. Es gibt für die österreichische Volkswirtschaft und damit schließlich für die wirtschaftliche Wohlfahrt jedes einzelnen Staatsbürgers kein wichtigeres Thema als dieses. Wer volkswirtschaftliche Kenntnisse besitzt, weiß, die anderen spüren es, daß das Zeitalter der großen Wirtschaftsräume mit ihrer Arbeitsteilung mit gemeinsamer Forschung und ausreichender Kapitalausstattung angebrochen ist und daß, wer damit nicht Schritt halten kann, in jenes durch niedrigeren Lebensstandard und Gefahr der Arbeitslosigkeit gekennzeichnete Vegetieren abrutschen muß, das wir in Österreich so gut kannten und deshalb nicht vergessen sollten, weil uns eine Weltwirtschaftskonjunktur einmaligen Ausmaßes nach 1955 davor bewahrt hat. Wer Verantwortung trägt, darf sich keiner Euphorie hingeben, die die schon am Horizont aufsteigenden Vorzeichen einer Änderung des Weltwirtschaftstrends nicht sehen will, weil — „nicht Bein kann, was nicht sein darf.“ Wer heute noch glaubt, daß Österreichs Wirtschaft, wenn ihr eine Teilnahme an einem großen Wirtschaftsraum versagt bliebe, in Zukunft ohne Krisen und schwere Rückschläge bestehen könnte, kann und darf einfach nicht ernst genommen werden. Wer die Aufklärung über diese Fakten als „Massage“ der öffentlichen Meinung bezeichnet, bestätigt damit nur, wie dringlich eine Diskussion über die Notwendigkeiten der österreichischen Wirtschaft ist, um die Öffentlichkeit vor einem laisser faire zu b /ahren, das im wahrsten Sinne des Wortes von allen bezahlt werden müßte.
Die Unkenntnis der gegenwärtigen wirtschaftlichen Zusammenhänge oder — noch schlimmer — die Gamierung wirtschaftlicher „Erkenntnisse“ mit politischen Ressentiments muß schonungslos aufgezeigt werden, wenn wirtschaftliches Unglück vermieden werden soll.
Unsere Bemühungen um einen wirtschaftlichen Vertrag besonderer Art mit der EWG, die von der Bundesregierung mit Recht als wichtigste Aufgabe der österreichischen Außenpolitik bezeichnet wurden, werden — abgesehen von der Agitation der Kommunisten — von einigen Leuten, denen man keine Beeinflussung durch die kommunistische Propaganda vorwerfen kann, sonderbarerweise abgelehnt. Das Sonderbare liegt darin, daß es keine echte Begründung für diese Ablehnung gibt, sondern Ressentiments zu spüren sind. So wird zum Beispiel die EFTA-Mitgliedschaft angeführt, die, so wie die Dinge jetzt liegen, aufgegeben werden muß, wenn Österreich seinen Vertrag mit Brüssel aktivieren will. Sicherlich bedeutet der Wiederaufbau der Außenzölle gegenüber der EFTA etwas, was Österreich gerne vermieden hätte. Da aber die Zugehörigkeit zu zwei Präferenzsystemen im Lichte der EWG-Auffassungen nicht möglich ist, wird Österreich zu gegebener Zeit eben zwischen EWG und EFTA zu wählen haben. Die Entscheidung aber ist quantitativ bestimmt und kann daher nicht schwerfallen: die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen Österreich und der EWG sind rund zweieinhalb bis dreimal so groß wie die mit der EFTA, das heißt aber, daß der Nachteil durch die zu erwartende Zoli-diskrimdnierung seitens der EFTA-Staaten eben wesentlich geringer sein wird als die immer fühlbarer werdende Diskriminierung seitens der EWG. Es gibt daher keinen rationalen Grund für Österreich, die wesentlich größeren EWG-Vorteile gegen die wesentlich kleineren EFTA-Vorteile nicht einzutauschen.
Da das EFTA-Argument aus diesen Gründen immer mehr an Zugkraft verliert, versucht man es auf eine andere Tour. Man spricht von Maximal- und Minimallösungen, die angeblich mit einem Vertrag möglich wären, und übersieht geflissentlich, daß das, was Österreich anstrebt, an sich eben schon die Minimallösung ist. Um eine Teilnahme unseres Landes an der Entwicklung eines großen Wirtschaftsraumes sicherzustellen und die exportschädigende Diskriminierung zu beseitigen, strebt Österreich den Warenfreiver-kehr durch einen gemeinsamen Zollbereich an und wünscht dabei seine Osthandelsbeziehungen zu erhalten und organisch zu entwickeln. Das ist ein Minimalprogramm. Denn was gibt es weniger als die Herstellung eines Waren-freiverkehrs? Der berühmte Vorschlag, sich mit einem Handelsvertrag zu begnügen, geht vollkommen ins Leere. Handelsverträge gibt es bekanntlich zwischen Staaten, die die Importe hundertprozentig liiberaiisiert und den Zahlungsverkehr multilateralisiert haben, überhaupt nicht mehr. Handelsverträge gibt es nur noch dort, wo die wirtschaftlichen Beziehungen auf bilateraler Ebene geregelt sind, das heißt also, mit Staaten, mit denen der Warenverkehr nicht liberalisiert und der Zahlungsverkehr nicht im -freien Devisenverkehr abgewickelt wird. Es gibt für einen Handelsvertrag zwischen Österreich und der EWG keinen Inhalt!
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