Aristokraten gegen Hitler

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Gudula Walterskirchen schließt eine Zeitgeschichtslücke.

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Gudula Walterskirchen schließt eine Zeitgeschichtslücke.

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Es gab noch eine Lücke in der Flut zeitgeschichtlicher Bücher, die zu schließen einfach der Anstand gebot: Gudula Walterskirchen hat sich den Widerstand des österreichischen Adels gegen Hitler vorgenommen. Warum so spät? Eine Anekdote, die sie von einem Mitglied der Widerstandsgruppe 05, Johannes Eidlitz, erfuhr, mag ein Schlüssel dazu sein. Als Sowjetoffiziere in deren "Hauptquartier" im Wiener Palais Auersperg kamen, wurde vorgestellt: "Prinz Thurn und Taxis, Baron Maasburg, Baron Gredler, Johannes von Eidlitz" - lauter Adelige. Darauf meinte der russische Oberst: "Das ist nicht der Widerstand, den wir gesucht haben!"

Und wenn bis dahin "die seltene Allianz zwischen Aristokraten, Sozialdemokraten und Kommunisten", die sich schon in Dachau und anderen Lagern gebildet hatte, erfolgreich gewesen war, setzte nun bald die Geschichtsfälschung ein. Der Widerstand musste überwiegend von der Linken geleistet worden sein, mit ein paar Katholiken als Garnierung. Überdies war der Adel schon mit der Gründung der Republik Österreich abgeschafft worden, im Gegensatz zum Deutschen Reich. Als nach der Okkupation die Gesetze des Reiches auch in der "Ostmark" gültig wurden, blieb der österreichische Adel tabu. Noch in der DDR durften Blaublütige ein "von" vor ihren Nachnamen setzen. In Österreich wurde bis heute nur der Künstlername Herbert von Karajan geduldet.

Hitler misstraute dem deutschen Adel. Noch viel mehr aber dem österreichischen, weil dieser viel internationaler geprägt war. Alle "überstaatlichen Mächte", ob Katholische Kirche, Kommunistische Internationale, Freimaurer oder Judentum, waren verdächtig. Aber auch der Ständestaat hatte den Adel nicht in alte Rechte eingesetzt. Er hatte überdies die (anfangs überwiegend großdeutsch eingestellten) Sozialdemokraten ebenso vor den Kopf gestoßen wie die evangelischen Christen. Schließlich fiel auch der Mentor des Ständestaates, Mussolini, als Helfer Österreichs gegen den Nationalsozialismus aus. Seit 1933 Hitler an die Macht gekommen war, fühlte sich der österreichische Adel verstärkt der eigenen Tradition verpflichtet. Zwar waren nicht alle Legitimisten, also auf die Wiederherstellung der Monarchie aus, zwar ließen sich Einzelne von der Hitler-Begeisterung mitreißen. Andere gerieten mit sich selbst oder mit ihrer Familie in Widerspruch. Aber die Mehrheit fühlte, wie die Autorin an vielen Beispielen belegt, österreichisch-patriotisch.

Das Buch kann nicht auf Vollständigkeit bedacht sein wie der Gotha. Aber die Fülle der Schicksale, Biographien und einzelnen Belege ergibt doch ein überzeugendes Bild. Ob sie als Warner und Propagandisten im Ständestaat in Erscheinung traten, ob sie internationale Beziehungen nutzten und ausbauten, ob sie dann nach dem "Anschluss" zunächst durch mehr oder weniger demonstratives Nicht-Mitmachen ihre Gesinnung bekannten oder sich bei der "Hilfsstelle für nichtarische Katholiken" engagierten: Es gab viele Möglichkeiten, Haltung zu zeigen. Auch im Exil, erst recht in Gefangenschaft. Ein Kommunist schilderte ihre Haltung in Dachau: "Den Grafen musste die Dachauer Pritsche doppelt weh tun, und wie sie's ertrugen, war auffallend ... Ihr Beispiel, die Dornenkrone der Dachauer Schmach zu tragen, war bewunderungswürdig. Sie blieben Meister darin, Haltung zu wahren, und diese Haltung konnte in Dachau nicht nur Fassade sein. Die Lumpen an ihrem Körper scherten sie nicht."

Solche Erinnerungen sind natürlich schwer zu finden, Tagebucheintragungen noch weniger, weil man gut daran tat, nichts aufzuschreiben. Doch sie beleben das Buch ungemein. Ein besonders glücklicher Fund sind die Aufzeichnungen der Gräfin Strachwitz, deren Mann immer wieder eingesperrt und verfolgt wurde und dem schließlich die Flucht ins Exil gelang. Seine Frau hatte nicht nur die Sorge für Kinder und Besitz. Sie war auch ständig unterwegs, um für ihren Mann zu intervenieren: "Auch für eine Frau, die ihren Mann liebt, ist es schwer, ihr Leben mit echten Risiken seiner politischen Existenz in Einklang zu bringen, und wird es wohl immer bleiben." Freunde grüßten sie nicht mehr; andere bewährten sich besser, als sie erwartet hatte.

Der Adel, dessen "arische Abstammung" wenigstens lückenlos stimmte, konnte auf vielerlei Beziehungen setzen. Selbst Standesgenossen oder Offiziere im "anderen Lager" bewiesen oft Kameradschaft und Menschlichkeit. Wenn auch nur wenige so viel Glück hatten wie Fürst Paul Metternich, der als "Grande von Spanien" mit zwei Staatsbürgerschaften und Diplomatenpass über viele Grenzen reisen konnte.

Andererseits fiel es bei der allgemeinen Verpflichtung zum Schweigen schwer, Abenteurer, Überlebenskünstler und Spitzel von echten Widerständlern zu unterscheiden. Die Moskauer Deklaration vom 1. November 1943 machte Österreichs Nachkriegs-Schicksal davon abhängig, wieviel es selbst zu seiner Befreiung beitragen würde. Doch nachdem der Putsch vom 20. Juli 1944 verlustreich gescheitert war, konnte es für den aktiven Widerstand nur noch darum gehen, größere Zerstörungen zu verhindern und den Alliierten nach Kräften die Wege zu ebnen Die Brutalität der Sowjet-Truppen war erschreckend. Man fühlte sich aber auch von einigen Punkten des Staatsvertrages von 1955 benachteiligt. Manche, die seit 1938 Haltung gezeigt hatten, weigerten sich nun, als aktive Widerstandskämpfer bezeichnet zu werden. So der ehemalige Bundesjugendführer des Ständestaates, Dr. Georg Graf Thurn-Valsassina: "Ich habe zwar aus meinem Patriotismus niemals ein Hehl gemacht und meine Ansichten auch seinerzeit sehr massgebenden Persönlichkeiten des Nationalsozialismus gegenüber vertreten. Es wäre aber eine Anmaßung, wollte ich mich zu den Widerstandskämpfern rechnen ... Ich halte es nämlich für unrichtig, wenn jeder Österreicher, der wegen seiner patriotischen Einstellung kürzer oder länger in den verschiedenen Polizei- und Gestapogefängnissen inhaftiert war, als Widerstandskämpfer gilt".

Das Buch ist mit Spürsinn und Sachkenntnis lebendig geschrieben und sollte zu weiterer Forschung anregen. Die junge Adelshistorikerin konnte noch erstaunlich viele Zeitzeugen befragen. Oft war es freilich zu spät: "Ja, wenn Sie vor dreißig Jahren gekommen wären..."

Schade nur, dass die Autorin das bekannte Benes-Zitat "Lieber Hitler als Habsburg" nicht weiter kommentiert. Was wäre gewesen, wenn Schuschnigg 1938 das Angebot Otto von Habsburgs angenommen hätte, eine führende Position in Österreich zu übernehmen? Konnte man in Prag, Belgrad, Budapest schon abschätzen, wo die größere Gefahr drohte? Aber Historiker sollen ja bekanntlich nicht spekulieren.

Blaues Blut für Österreich - Adelige im Widerstand gegen den Nationalsozialismus.

Von Gudula Walterskirchen. Amalthea Verlag, Wien 2000. 336 Seiten, Bilder, geb., öS 291,-/e 21,15

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