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Arme, unselige Erste Republik!

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ABENDDÄMMERUNG EINER DEMOKRATIE. Mussolini, Gömbüs und dl Belmwehr. Von Lajos K e r e k e s. Europa-Verlag, Wien-Frank rurt-MUnchen. SB Selten. S 108.—. — ÖSTERREICH 1918-1888. Staat ohne Nation — Republik ohne Republikaner. Von Ernst Hoor. Österreichischer Bundesverlag, Wien. 161 Seiten. S 128.—.

Die Arbeiten des ungarischen Historikers Lajos Kerekes (Jahrgang 1927), der die Innen- und Außenpolitik der Ersten österreichischen Republik zum bevorzugten Gegenstand seiner Forschungen macht, haben seit geraumer Zeit schon wegen ihrer Sachkenntnis und weitgehend durchgehaltenen Leidenschaftslosigkeit mit Recht die Aufmerksamkeit seiner österreichischen Kollegen gefunden. Mit der vorliegenden Übersetzung einer seiner Arbeiten stellt sich Kerekes, der übrigens seit kurzem mit der Leitung des ungarischen Kulturinstituts in Wien betraut wurde, einer breiteren österreichischen Öffentlichkeit vor. Lajos Kerekes hat gegenüber jenen Österreichern, die sich der Erforschung der bewegten Jahre zwischen den beiden großen Kriegen zuwenden, einen Vorsprung. Während bei uns die Archivsperre die Zeithistoriker oft nur aus sekundären Quellen oder bestenfalls privaten Nachlässen schöpfen läßt, konnte Kerekes das Aktenmaterial des ehemalig königlich-ungarischen Außenministeriums sichten. Dabei stieß er auf eine Reihe von Memoranden, Geheimbriefen, Lageberichten, aber auch Abrechnungen, die alle die schon mehrmals aufgestellten Thesen über massive ausländische Einflüsse auf die Innenpolitik der unseligen Ersten österreichischen Republik schwarz auf weiß belegen.

Der Verfasser geht aus von einer bisher unbeachtet gewesenen Reise, die zu Ostern 1928 der damalige ungarische Ministerpräsident Graf Bethlen incognito nach Mailand unternahm, um sich dort mit Mussolini zu treffen. Zweck dieser geheimgehaltenen Begegnung war kein anderer als den Duce für eine ideelle vor allem aber auch materielle — Geld und Waffen — Unterstützung der seit dem Wiener Justizpalastbrand 1927 politisch interessant gewordenen Heimwehrbewegung zu gewinnen, damit diese einen Staatsstreich gegen die parlamentarische Demokratie unternehmen könne. Grund für dieses massive ungarische Engagement war nicht zuletzt ein Mißtrauen der revisionistisch gesinnten führenden politischen Kreise Ungarns, Bundeskanzler Sei-pel könnte auf die Linie der „Kleinen Entente“ einschwenken.

Von diesem Besuch ab leitet der Verfasser, immer belegt durch einwandfreie Dokumentationen, jenes Netz, das immer dichter zwischen Budapest und Rom, zuletzt auch Berlin, gesponnen wurde, um die österreichische „Anfangsdemokratie“ (Newman) zu ersticken. Zu viel Haß war damals im Land. Und Haß macht bekanntlich blind. So lechzte man unter dem Heimwehrhuit, aber auch in vielen bürgerlichen und selbst katholischen Kreisen nur nach der großen Abrechnung mit „links“.

Aber dieser Haß war nicht nur auf der Rechten zu Hause. Es stimmt schon, wenn Kerekes behauptet, das österreichische Bürgertum glaubte vielfach, „Jakobiner mit der roten Mütze dort zu sehen, wo in Wirklichkeit viel eher Girondisten standen“ (S. 183). Aber diese Girondisten gefielen sich oft darin, als Jakobiner aufzutreten. Ihre „Politik der radikalen Phrasen“, verbunden mit der Negierung aller wirklichen, mit der Monarchie nicht ins Grab gesunkenen Werte österreichischer Tradition — davon später —, war geeignet, in einem immer mehr präfaschistische Züge annehmenden Mitteleuropa dem, was sich später als „Austrofaschismus“ formieren sollte, nicht wenige Gefolgsleute direkt zuzutreiben.

Aus der mitunter direkt atemberaubend zu nennenden Dokumentation Kerekes' jener von Putschgerüchten und Staatsstreichplänen erfüllten dreißiger Jahre verdient ein bisher unbekanntes Komplott besondere Aufmerksamkeit. Am 24. Juni 1932 fand nachts in Wien eine Konferenz statt, an der nicht nur führende Männer der Heimwehr, unter ihnen auch Mitglieder des Kabinetts Dollfuß, sondern auch der italienische Geschäftsträger und ein Sekretär der ungarischen Gesandtschaft teilnahmen und wo sehr konkrete Gewaltmaßnahmen für den Fall beraten wurden, daß, wie man hier befürchtete, Kanzler Dollfuß nach seiner Rückkehr aus Lausanne eine schwarz-rote Koalition bilden würde (S. 108). Herr Rintelen, der zwei Jahre später zu trauriger Berühmtheit gelangen sollte, war natürlich auch schon mit von der Partie... Dollfuß' Spielraum war tatsächlich innen- und außenpolitisch sehr eingeengt. Er war — das wird gerade durch die hier vorgelegten Akten wieder einmal bestätigt — viel eher der Getriebene als der Treibende auf dem Weg zum unseligen Februar 1934. Er wollte Österreichs Unabhängigkeit erhalten, glaubte dies aber nur mit Mussolinis Unterstützung — Kerekes nennt dies Dollfuß' „Fixierung“, obwohl er die „nicht genügende Aufmerksamkeit“ der Westmächte zugibt (S. 162) — tun zu können. Mussolini aber forderte immer dringlicher und kategorischer gegenüber dem zögernden Kanzler die Ausschaltung der Sozialdemokratie. Hier schließt sich ein Teufelskreis. Er wäre, vielleicht, nur zu durchbrechen gewesen, durch einen kühnen Schritt, der der Tatsache Rechnung getragen hätte, daß auch auf der österreichischen Linken zu diesem Zeitpunkt bereits Patrioten zu finden waren, die im Sinne der von Dollfuß bewußt geförderten „Entwicklung eines österreichischen Nationalbewußtseins“ (siehe Brief an Mussolini, S. 152) entschlossen waren, der gemeinsamen Gefahr die Stirn zu bieten. Es besteht Grund zur Annahme, daß der niederösterreichische Bauernpolitiker Dollfuß früher oder später alle in- und ausländischen Verstrickungen abgestreift und diesen befreienden Schritt getan hätte — aber gerade deshalb mußte er fallen.

*

Widmet Kerekes der außenpoliti-tischen Misere der Ersten Republik, die zum Spielhall und zuletzt zum Aufmarschgebiet der Interessen ihrer Nachbarn wurde, seine Aufmerksamkeit, so konzentriert sich Ernst Hoor auf den Kern des Elends der jungen Donau- und Alpenrepublik, die in den Jahren 1918 bis 1933 oft wirklich einzig und allein als ein „Rest“ — Rest des alten Vielvölkerstaates — empfunden wurde. Diese Wurzel des Übels ist in der mangelnden Identifizierung der damaligen Generation mit ihrem Staat zu suchen. Mit anderen Worten, Österreich war damals tatsächlich ein „Staat ohne Nation, eine Republik ohne Republikaner“. Während man in konservativen Kreisen gerne nur nach rückwärts schaute, von einer Restauration der Monarchie träumte, wurde außer in dem damals noch respektablen bürgerlich-liberalen Lager, das sich in der Großdeutschen Volkspartei — der Name sagt alles — sammelte, nicht zuletzt von den intellektuellen Führern des österreichischen Sozialismus eifrig die Anschlußtrommel gerührt. Hier fühlte man sich als Erben der Frankfurter Linken von 1848. Österreich war nur ein „verhaßter Name“ (Otto Bauer). Hoor hält dieser Fehlhaltung österreichischer Sozialisten in der Ersten Republik einen unbarmherzigen Spiegel vor. Auf der anderen Seite widerlegt er auch in dem überall durch zahlreiche in- und ausländische Zitate dokumentierten Buch die von bestimmter Seite aufgestellte, aber auch mitunter durch Unwissenheit bis heute nachgeplapperte These von dem Anschlußwillen der Massen der österreichischen Bevölkerung 1918. Der Verfasser macht eine breitere Öffentlichkeit darauf aufmerksam, daß die Tatsache, daß heute die österreichische Jugend immer selbstverständlicher von einer österreichischen Nation spricht, nicht etwa eine „kommunistische Erfindung“ ist — so im trauten Verein die „Deutsche National- und Soldatenzeitung“ und das Organ der FPÖ, „Neue Front“ —, sondern auf der geistigen Pionierarbeit jener katholischen Intelligenz fußt, die sich 1927 in der „österreichischen Aktion“ ein Forum gab. Auf politischer Ebene kam dieser Prozeß der Identifizierung der Österreicher mit ihrem Staat, der erst in der Zweiter Republik zur vollen Entfaltung kommen sollte, das erstemal unter Dollfuß zum Durchbruch. Später jedoch erfolgte ein Rückschlag durch die Annahme der unglückseligen These des „Volkes in zwei Staaten“. Die Linke schwenkte erstmals am Vorabend der Okkupation 1938, später im Widerstand, auf die Linie eines „österreichischen Österreich“ ein, zu dem sich heute in steigender Zahl Patrioten aller Lager mit der bedauerlichen Ausnahme der im kornblumenblauen Schmollwinkel verharrenden Freiheitlichen bekennen.

Hoors Arbeit, die bisher wie keine Veröffentlichung die Entwicklung des österreichischen Staats- und Nationalbewußtseins in ihren Mittelpunkt stellt, ist dankeswert. Sie hat nur einen Fehler. Sie zeigt allein die „dürren Jahre“. Sie bricht 1938 ab und sagt in ein paar summarischen Sätzen, daß sich seither vieles zum Besseren gewandelt hat. Will der Verfasser mit seinem Buch nicht der deutschnationalen Agitation einen neuen Zitatensteinbruch zur Verfügung stellen, aus dem dann bei

Bier und Met oder nach der Hocke über das Pferd irgendein Fuchsmajor oder Dietwart seinen unkritischen Zuhörern referieren kann, was der oder jener Politiker 1918 bis 1933 für ein Bekenntnis abgab, so sollte in einem zweiten Band der Gesinnungswandel, der sich in den letzten 30 bis 40 Jahren Bahn brach und der mit der Ausrufung des österreichischen Nationalfeiertages öffentlich auch Ausdruck fand, aulgezeigt werden. Da und dort noch bestehende Unsicherheiten und terminologische Schwierigkeiten sollen nicht verschwiegen werden. Politische Zaghaftigkeit braucht auch keine Schonung.

Niemand anderer als Emst Hoor wäre am besten geeignet, das einmal begonnene Werk durch einen zweiten Band zu ergänzen und dadurch erst zur vollen Wirksamkeit zu bringen.

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