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Arzt oder Techniker?

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Es scheint vielleicht nur ein Randgebiet von bescheidenem Ausmaß zu sein, auf dem die Technik der Jetztzeit ihren Schatten auf die alten Wissenschaften wirft. Ein Nebenkriegsschauplatz, an dem sie sowohl mit den Repräsentanten und Forschern eines uralten Kulturzweiges wie auch darüber hinaus mit der Masse der leidenden Menschheit in Berührung kommt, ist die Medizin.

Da dieses Gebiet weite Kreise, ja praktisch jeden Menschen einmal zur Stellungnahme zwingt, dürfte ein Beitrag von ärztlicher Seite zur Diskussion über die moderne Technik Interesse finden. Eine Studienreise, die ich nach Schweden machen durfte, in jenes europäische Land, das der amerikanischen Technisierung auf allen Gebieten am intensivsten nachstrebt, regt zudem zu Vergleichen an.

Solche Vergleiche sind um so mehr am Platz, da die medizinische Wissenschaft in Österreich und die Hohe Schule Wiens ihre jahrzehntelange- Weltgeltung im letzten Dezennium beträchtlich geschmälert sieht. Nicht etwa, weil unsere Professoren und Forscher an ihre ausländischen Kollegen nicht mehr heranreichen, denn noch gibt es viele Österreicher unter den wissenschaftlichen Preisträgern der ganzen Welt. Auch fehlt es nicht an Fleiß, Ausdauer, Vorwissen und strebenden Eifer. Es scheint vielmehr daß unser Bekenntnis zur Wiener medizinischen Tradition, die an die Spitze des ärztlichen Könnens neben das erlernte Wissen das verstehende Mensch-Sein des Arztes stellt, die Ursache unserer geringeren Beachtung in der Welt ist. Wir sehen im Arzt zunächst einen Künstler, entsprechend den großen historischen Vorbildern unserer Fakultät; die „moderne”, „fortschrittlichere” Welt schätzt dagegen jenen mehr, der seine Technik und seine neuen Apparate vollendet beherrscht.

Dabei sei nicht vergessen, daß die leidige Geldknappheit der Gegenwart uns auf medizinisch-technischem Gebiet soweit hinter den führenden Ländern ließ, daß man verstehen lernt, warum deren Experten uns manchmal über die Schulter ansehen. Wir können der amerikanisch-englischen Fachliteratur entnehmen, daß dort und in jenen Ländern, die eine jüngere medizinische Tradition haben als Mitteleuropa, es nicht allein Mode, sondern methodisches Grundelement der Wissenschaft wurde, die medikotechni- schen Maschinen und Apparate immer mehr in den Mittelpunkt ärztlicher Kunst zu rücken und aus deren Registrierungen und Kurven, Messungen und Photogrammen, Zahlen und Faktoren, Rechnungen und Statistiken weitestgehende Schlußfolgerungen auch für die Tätigkeit am Krankenbett abzuleiten.

Während also dort der Techniker und Mathematiker in der Medizin das größere Ansehen genießt, galten uns als größte Ärzte immer jene, die phantasiebegabt die eigenen fachkünstlerischen Veranlagungen mit profundem Wissen zu verschmelzen wußten und die ihre oft zündenden Gedanken erfolgreich für die medizinische Forschung und Praxis nutzbar machten.

So lassen sich, extrem gesehen, vielleicht zwei einander gegenüberliegende Pole erkennen, der technisierte und der künstlerische Arzt, dazwischen gibt es selbstverständlich alle nur denkaren Mischformen und Übergänge. Vielleicht rücken diese Gegensätze noch einmal in den Brennpunkt der öffentlichen Interessen und vielleicht ist gerade Österreich auf diesem Gebiet einmal zu ejner großen geschichtlichen Aufgabe berufen. Männer der Wissenschaft und Technik, der Kultur und Wirtschaft werden wohl noch zeitgerecht ihre Meinung darüber äußern müssen. Es ginge über den Rahmen dieser Betrachtung hinaus, einen so schwierigen Fragenkomplex vollkommen umfassen zu wollen. Zugleich müßte aber die Untersuchung der Frage „Technik und Arzt” vom Standpunkt des Patienteri in Angriff genommen werden.

Unseren Kranken stehen Spitäler und Kliniken zur Verfügung, die den Stempel der Armut der abgelaufenen Jahre tragen. In den schwedischen Krankenpalästen sehen wir nun gut ausgestattete Räume, weitläufige Laboratorien, zahlreiche kostbare Instrumente und Apparate, zusammengefaßt in einer Organisation rationellster Arbeitsmethoden unter Ausnützung der jüngsten Erfahrungen moderner Technik. Während ich dort beobachten konnte, wie in raffinierter Vollendung alle technischen Hilfsmittel für den Arzt und die Krankenpflege bereitstehen und auch genützt werden, blieb mir doch immer das Gefühl und der leise Wunsch, gerade in diesem Krankenhaus, das vor meinen Augen als Triumph der Technik dastand, wenn möglich nicht als Patient liegen zu müssen. Wie sehr muß erst der kranke Laie dieses Gefühl bekommen, der fremd, mitunter furchtsam, den unbekannten Apparaturen und der unpersönlichen Organisation gegenübersteht; dem der in seiner Zeit gedrängte Arzt nicht alles erklären kann und dem die Krankenpflegerinnen. deren Konzentration auf die zu bedienenden Maschinen gerichtet ein muß, viel sachlicher, fremder, „technischer” entgegenkommen, als wir es hier gewohnt sind. Midi hat es nicht gewundert, daß einzelne deutschsprechende Patienten gesprächsweise mir gegenüber Klage führten, es stünden zwischen ihnen und den behandelnden Ärzten soviel Technik und Schablone, soviel Maschinen und Organisation, so daß der ersehnte menschlich-persönliche Kontakt nicht zustande kommt und sie den Eindruck gewinnen, nicht mehr Nutznießer, sondern Opfer der modernen Apparate zu sein!

Nicht zuletzt die seelische Belastung der letzten Jahre hat aber bei uns in Österreich gezeigt, wie wichtig der nahezu freundschaftliche Kontakt zwischen Patient und Arzt ist. Das Vertrauen des Kranken zum Arzt kann keine Maschine und keine Organisation ersetzen, wohl können diese jenes mitunter empfindlich beeinträchtigen. Mag sein, daß unser Denken durch die unserem Volke eigene Gefühlsbetonung in der Abwehr gegen alles Unpersönliche stärker beeinflußt wird, als es in anderen Ländern der Fall ist. Aber auch jene, die für technische und mechanische Methoden besonders aufgeschlossen sind, werden zugeben, daß sie im Erkrankungsfall in erster Linie vom Arzt und sekundär erst von dessen Maschinen Hilfe erhoffen. Würde man das einmal übersehen, dann würde der Arzt, der ein persönlicher Helfer und Freund des Kranken sein soll, leicht zum Sklaven der Maschinen und Formulare werden, der Kranke aber zu deren Opfer.

Sicherlich: Fortschritt und Technik müssen für die Diagnostik und Therapie in der Medizin nutzbar gemacht werden, im Mittelpunkt des Interesses aber muß der kranke und leidende Mensch stehen. Ärztliche Ethik aller Jahrhunderte hat es bis zum heutigen Tag abgelehnt, die Wünsche der Wissenschaft vor die Würde des Menschen einzureihen, sie wird auch der Technik diesen ersten Platz verweigern. So bleibt die Verpflichtung, alle neuen Errungenschaften und die in der Tagespresse oft zu Unrecht überlaut angepriesenen technischen Fortschritte dem nüchternen Urteil anerkannter Fachleute zu unterwerfen, schon im Interesse der Krankep immer bestehen.

Schade, daß Geld- und Materialmangel und leider oft mehr oder weniger ausgeprägte Verständnislosigkeit jener, die Ao- hilfe schaffen könnten, den österreichischen Ärzten die Hände binden und sie hindern, ebenbürtig und kritisch mit den ausländischen Kollegen zusammzuarbeiten!

Wir hoffen trotzdem, vielleicht bereits in wenigen Jahren das Versäumte nachzuholen und den Ausgleich zum Weltniveau, das auf technischem Gebiet für uns noch sehr hoch liegt, herzustellen. Nicht allein als Trost sei es gesagt, daß wir in dieser Zeitspanne unseren Patienten wahrscheinlich auch manches Unnötige ersparen …

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