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Arzt und Recht

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Die Medizin befindet sich in den letzten Jahrzehnten in einer tiefgreifenden Umwandlung, deren Abschluß noch nicht vorauszusehen ist. Diese Umstellung wird durch verschiedene Faktoren bewirkt, die einerseits durch die medizinische Wissenschaft selbst, anderseits durch die Entwicklung der Sozialpolitik der Kulturvölker und durch die technischen Errungenschaften unseres Zeitalters gegeben sind.

Die Fortschritte in der Heilkunde haben unserem Jahrhundert eine große Anzahl neuer Heilmittel, neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden gebracht. Die Therapie ist, um aus der Fülle des Neuen nur etwas herauszugreifen, durch die Einführung der Sulfonamide, der modernen Antibiotica, der neuen Formen der Anästhesie, des elektrischen Schocks, des Höhenflugs bei Keuchhusten ungemein bereichert worden. Dazu hat viel die Verwendung von Isotopen in Diagnostik und Therapie beigetragen. In der Prophylaxe sind neue Wege gefunden worden, wie die Impfung gegen Scharlach, DiphtHerle, Tuberkulose, Tetanus, Poliomyelitis u. a. m. Daraus ergeben sich größere Möglichkeiten für kollektiv-präventive Maßnahmen, die sich über Länder hinaus auf ganze Erdteile erstrecken können.

Auch im Verhältnis des Arztes zum Patienten sind bedeutende Wandlungen eingetreten. Es gibt kaum mehr den alten Hausarzt, den medizinischen Freund und Berater des einzelnen und der Familie. Die Sozialversicherung hat den Kassenarzt geschaffen. Sie ist unleugbar eine Großtat der sozialen Medizin, die aus einem Kulturstaat nicht mehr wegzudenken ist. Doch durch sie sind die Fragen um Gesundheit und Krankheit des Menschen in einer Weise aus dem privaten in den öffentlichen Bereich gezogen worden, daß sich daraus Schwierigkeiten für den Arzt und für den Kranken ergeben.

Dazu kommen für den Arzt Probleme, welche die moderne Kriegführung mit sich bringt. Der Mediziner muß Stellung nehmen zu den neuen Mitteln der Massenvernichtung im biologischen und chemischen Krieg und zur Verwendung von Atomwaffen, die Militär und Zivilbevölkerung in gleichem Maße gefährlich werden.

Der Arzt von heute befindet sich in einer Situation, die sich mit der vor 20 oder 30 Jahren nicht mehr vergleichen läßt. Der Arzt ist berufen, den Kranken zu helfen, sie nach Möglichkeit zu heilen und den Krankheiten vorzubeugen. Die Grundpfeiler seiner Tätigkeit sind Gerechtigkeit und Liebe. Er verpflichtet sich zu seinem Aufgabenkreis durch das Gelöbnis, das er bei der Promotion ablegt. Die Sponsions-formeln der medizinischen Fakultäten an den Universitäten lehnen sich mehr oder weniger an den alten Eid des Hippokrates an. Dieses Versprechen, welches der junge Mediziner gibt, ehe er seine Berufsarbeit aufnimmt, bestärkt ihn, sich bei seiner Tätigkeit an die allgemein verpflichtenden Normen des Sittengesetzes zu halten. Doch damit allein können die neuartigen Probleme, vor welchen der moderne Arzt steht, nicht gelöst werden.

Während die Mehrzahl der Errungenschaften der modernen Medizin von der Gesamtheit der Aerzte der Welt angenommen wird, verbleibt ein Rest, den ein Großteil der Mediziner aus guten Gründen aufs schärfste ablehnt. Dazu gehören die sogenannte künstliche Befruchtung, die Methoden der „planned parenthood“, der künstliche Winterschlaf, gewisse Arten des medizinischen Experimentes am Menschen und anderes mehr. Es handelt sich dabei um Praktiken, die gegen die allgemein gültigen Normen des Naturrechtes verstoßen, die Würde und Freiheit des Menschen mißachten und so die Integrität der menschlichen Person gefährden. Eine ähnliche Bedrohung, wenn auch auf andere Weise, erwächst den Menschen durch Fehlentwicklungen in der Sozialversicherung. Sie haben zur Mißachtung des ärztlichen Berufsgeheimnisses, Einschränkung der freien Arztwahl u. a. geführt. Dadurch sind die persönlichen Beziehungen zwischen Arzt und Patienten vielfach so gestört worden, daß es zu einer Vertrauenskrise hat kommen können. Eine weitere Gefährdung des Menschen des 20. Jahrhunderts bedeutet die Möglichkeit eines Krieges, in welchem die neuesten Mitteln der Massenvernichtung angewendet werden. Der Mensch bedroht den Menschen und es gilt, den Menschen vor dem Menschen zu schützen.

Der Arzt ist der Berufene, den Menschen vor körperlichen und seelischen Schäden zu bewahren, sein Leben und seine Gesundheit zu erhalten. Um im gegebenen Fall wirksam vergehen zu können, müssen dem Arzt und den Menschen, seien es Gesunde oder Kranke, die er zu betreuen hat, durch entsprechende staatliche und zwischenstaatliche Regelungen die ihnen gebührenden Rechte und Pflichten zugestanden und gewahrt werden. Die Schaffung eines nationalen und darüber hinaus internationalen Aerzte-rechtes ist zu einem dringenden Erfordernis unserer Zeit geworden.

Groß sind die Beziehungen zwischen der ärztlichen Tätigkeit, dem privaten und dem öffentlichen Recht. Es ergibt sich daraus eine Fülle von Problemen, die nicht nur den Arzt und den Juristen angehen, sondern nach der dargestellten Sachlage für jeden einzelnen von Bedeutung und größtem Interesse sind.

Unter einem Aerzterecht versteht man die Gesamtheit der Gesetze in einem Staate, welche die Person und die Tätigkeit des Arztes und seine Beziehungen zu den Kranken betreffen. Diese Gesetze unterscheiden sich wesentlich von den Sanitätsgesetzen, die sich bloß auf das Gesundheitswesen beziehen. Grundlagen eines Aerzterechtes müssen die allgemein gültigen Prinzipien des Naturrechtes sein. Aerzt-liches Recht ist nicht zu verwechseln mit ärztlicher Moral, denn Recht und Moral decken sich nicht. Doch sie gehören zusammen, und es wäre gefährlich, sie zu trennen. Das ärztliche Recht muß sich der ärztlichen Moral unterordnen und muß von der ärztlichen Ethik informiert werden. Es ist Sache der Aerzte, die Materie für ein Aerzterecht bereitzustellen, und es ist Aufgabe der Juristen, nach Beratung mit Soziologen und Moralisten die Kodifizie-rung zu besorgen.

Die Aktualität und Dringlichkeit dieser Probleme veranlaßte die katholischen Aerzte, auf ihrem 7. internationalen Kongreß in Holland auf besonderen Wunsch des HI. Vaters als Thema ihrer Beratungen „Arzt und Recht“ zu wählen. Sie waren sich bewußt, in diesen wenigen Tagen intensiver Arbeit nicht mehr als eine Pionierarbeit leisten zu können. Doch dieser kommt als Basis für die Fortsetzung der Arbeit in den einzelnen Ländern große Bedeutung zu. Vor allem gilt es zu sammeln, was in jedem Staat an positivem Recht in der Beziehung schon vorhanden ist und darnach zusammenzustellen, welche Probleme des Arztes, durch die heutige Situation geschaffen, einer gesetzlichen Regelung bedürfen. Die richtige Lösung der zahlreichen Fragen, die zwischen Arzt und Recht bestehen, ist von größter Wichtigkeit. Der katholische Arzt, der sich seiner Weltanschauung entsprechend an die Forderungen des Naturrechtes und die Gebote des Dekaloges hält, hat daher bei allen diesbezüglichen Beratungen und Entscheidungen eine schwer wiegende Stimme in die Waagschale zu werfen.

Alle Kulturstaaten haben in ihren Gesetzen Bestimmungen, die einem ärztlichen Recht entsprechen. Es fehlen aber meistens die übersichtliche Zusammenfassung und die nötige Ergänzung auf den heutigen Stand. In Oesterreich gilt das Aerztegesetz vom 30. März 1949. Es enthält Bestimmungen über die Ausübung der ärztlichen Praxis und über die Organisation des Aerztestandes. Die Rechtsnormen für das berufsethische Handeln des Arztes sind aber noch zersplittert und zerstreut in verschiedenen anderen Gesetzen, wie dem Strafgesetz, dem Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch und dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz. Bahnbrechend und am weitesten vorgeschritten auf diesem Gebiet ist Frankreich. Die ärztlichen Berufspflichten haben im „Code de deontologie medicale“ ihren Niederschlag gefunden. Diese Kodifizierung wurde 1947 als Gesetz anerkannt. Damit wurde ein einmaliges Werk geschaffen, das in zwei Abschnitten die allgemeinen Pflichten des Arztes und die speziellen Pflichten des Arztes gegenüber Kranken behandelt. Zu bemängeln ist in diesem großartigen Werk nur die Tatsache, daß es zu sehr auf Einzelheiten eingeht, die einer gesetzlichen Verankerung nicht bedürfen. Es ist unzweckmäßig, ein Gesetz mit Unnötigem zu belasten. Von dieser Klei-

Aus kulturellen Vereinigungen

Knlturwerk Wien (Tel. B 110 5O). 1. XI.: Auf Mozarts Spuren. Zusammenkunft: Eingang St.-Marxer Friedhof, XI, Leberstraße 6 (15 Uhr). — 3. XI.: Historisches Museum. Treffpunkt: Rathauseingang, Lichtenfelsgasse (15.30 Uhr). — 4. XI.: Autobusfahrt nach Kreuzenstein und Tulln. Abfahrt der Angemeldeten vor Canisiuskirche, IX, Lustkandlgasse 34 (7 Uhr). 23 S. — Besichtigung des Staatsarchivs. Zusammenkunft: I, Minoritenplatz 1 (10 Uhr). — 5. XI.: Friedrich Schmidt und die Neogotik. VII, Kenyongasse 8 (19 Uhr). — 6. XI.: Ungarn und die Pußta. IX, Achamergasse 5 (19 Uhr). — “. XI.: Alt-Wiener Höfe. VII, Kenyongasse 8 (19 Uhr). — „Menschen, nicht Statuen.“ VII, Neustiftgasse 111 (19.30 Uhr).

Kralik-Gesellschaft. 6. XI., 18 Uhr, VI, Amerling-straße 6: ..Der Sinn der Romantik.“ Eintritt frei.

Der Kreis. 6. XI., 19.30 Uhr, Wiener Konzerthausl „Hexenküche der Musik.“

Wiener Katholische Akademie. 5. XI., 17 Uhr: Professor Espiau de La Maestre: „Antoine de Saint Exupery.“ — 18 Uhr: Prof. Peter: „Das Bildungsproblem, und Schule der Gegenwart.“ — Prof. Jellouschek: „Einführung in die dogmatische Theologie.“ — 19 Uhr: Dok. tor Selzer: „Religiöse Erziehung aus christlicher Existenz.“ — Prof. Koch: „Fundamentaltheologie.“ — Prof. Lechner: „Die Errichtung des Herzogtums Oesterreich 1156.“ — 8. XI., 17 Uhr: Prof. Perl: „Die Weisheit des heiligen Augustinus.“ — 18 Uhr: Prof. Grillt „Die Apokryphen im Alten Testament.“ — Dr. Granich-staed'ten-Czerva: „Die subjektiven öffentlichen Rechte.“ — 19 Uhr: Dr. Ringel: „Pastoralmedizinische Kasuistik.“ —“-DDr. Ginhart: „Kunst des 16. Jahrhunderts in Spanien.“ — Prof. Valters: „Staat und Recht in Osteuropa.“ — Professor Meister: „Geschichte und Lösung der didaktischen Methode.“ — 7. XL, 17 Uhr: Prof. Billicsich: „Philosophie des Altertums.“ — Dr. Hesse: „Das Lukas-Evangelium.“ — 18 Uhr: Dr. Schöndorfer: „Christliche Philosophie der Neuzeit.“ — Prof. Gindl, Dr. Moritz: „Erziehungsberatung und Schulpsychologie.“ —DDr. Egger: „Kunst im 15. Jahrhundert.“ — 19 Uhr: Dr. Schubert-Soldern: „Geschichte der Philosophie des Lebendigen.“ — Dr. Buchowiecki: „Die Kunst der Hochrenaissance.“

Wiener Volksbildung. 1. XL, Urania: Führung: Der Mozart-Friedhof in St. Marx. Treffpunkt: Im Vorhof, 10 Uhr. — Wien-West: Besichtigung des Rennplatzes in der Freudenau. Zusammenkunft: Endstation Straßenbahnlinie 181, Kassenschalter 13, 13.30 Uhr. — Urlaub in Wien: Besichtigung des Parlaments. Zusammenkunft: Parlamentsrampe, Ecke Stadiongasse, 10 Uhr. — 2. XL, Urania: Führung durch den Zentralfriedhof. Treffpunkt: 1. Tor, 10 Uhr. — Dr. Strelka: „Hermann Broch.“ Zum 70. Geburtstag. 19.30 Uhr. — Wien-West: Urlaub in Wien: Besichtigung der Ehrengräber auf dem Zentralfriedhof. Zusammenkunft: 2. Tor, 15 Uhr. — 3. XL, Urania: Ehrenabend für die niederösterreichischen Dichter Karl Frim f, Lois Schiferl und Theodor Vogel. 19.30 Uhr. — Prof. Tagliapietra: „Große italienische Filmrevue.“ 19.30 Uhr. — Wien-West im Vogelsangheim: Nora Hiltl: ..Oesterreichische Barockmusik.“ 19 Uhr. — Flakturm Esterhazypark: Hermann Mucke: „Der Mars.“ 20. Uhr. — Urlaub in Wien: Besichtigung der Hofburg. Zusammenkunft: Burgtor am Ring. 15 Uhr. — Besichtigung des Hietzinger Friedhofs. Zusammenkunft: Eingang, 15 Uhr. — 4. XL, Urania: Ganztägige Führung zum Friedhof der Namenlosen. Treffpunkt: Endstation der Straßenbahnlinie 73, 10 Uhr. — Fred Hennings: „Wiedererstandenes Wien.“ 11 Uhr. — Margareten: Besuch der Künstlergräber des Zentralfriedhofs. Treffpunkt: Lueger-Gedächtniskirche, 10 Uhr. — Wien-West: Urlaub in Wien: Besichtigung des Parlaments. Zusammenkunft: Parlamentsrampe. Ecke Stadiongasse, 10 Uhr. — Besichtigung des Schikaneder-Schlössels mit Lehar-Schauräumen. Zusammenkunft: Nußdorfer Platz, 15.30 Uhr. — Besichtigung des Trabrennnlatzes in Krieau. Zusammenkunft: Eingang, Kassa 14,111. Platz, 13.45 Uhr. — Aisergrund: Dr. Lorenz: Opernstudie „Madame Butterfly“ (konzertante Aufführung). 19 Uhr.

nigkeit abgesehen, ist der französische Kodex beispielgebend für alle anderen Länder.

Mit der Aufstellung eines internationalen Rechtes hat der Weltärztebund begonnen. Es ist ein ziemlich weit gefaßter, doch noch nicht vollständig ausgearbeiteter Kodex vorhanden, der die Anerkennung von 45 Ländern erhalten hat. Darin kommt vor allem zum Ausdruck, daß das Recht des Arztes auf seiner Pflicht beruht und seine Pflicht in seiner Deontologie zusammengefaßt ist. Seine erste und vornehmste Aufgabe ist, das Leben des Menschen von der Zeugung an bis zum Tode zu behüten, die Würde und Freiheit der menschlichen Person zu achten. Das beinhaltet den ganzen Pflichtenkreis des Arztes, dem sich alles andere unterordnet. Nach den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte muß ein ärztliches Recht auch auf die Stellung des Arztes im Kriege näher eingehen. Es muß ihm die Freiheit der Berufsausübung und das Recht des Berufsgeheimnisses immer und überall, Freund und Feind gegenüber garantieren. Es sind Gesetze nötig, welche die Menschheit vor einer irregeleiteten Wissenschaft und einem unverantwortlichen Forschungstrieb bewahren; doch auch Gesetze zum Schutze des Arztes, falls ein totalitäres Staatssystem ihn zu Handlungen veranlassen wollte, die seinem ärztlichen Gewissen widersprechen.

In der heutigen Zeit, in welcher die Grenzen zwischen Ländern und Erdteilen immer lockerer werden und die Menschen in der ganzen Welt herumkommen, hat die Aerzteschaft ein dringendes Verlangen nach einer internationalen Studienregelung, woraus die gegenseitige Anerkennung der Doktordiplome in den einzelnen Ländern folgt. Von einer Reihe von Staaten ist als Bedingung dazu ein Unterricht in ärztlicher Ethik gefordert worden und es gehen Bestrebungen, die Sponsionsformeln der Mediziner bei der feierlichen Promotion einheitlich zu gestalten. Die Festlegung derartiger Bestimmungen gehören in ein internationales Aerzterecht.

Der ärztliche Beruf ist mit schwerster Verantwortung beladen. Ein Aerzterecht kann in großen Umrissen nur Leitlinien geben, die einem Mediziner, der aus innerer Berufung Arzt geworden ist, ganz selbstverständlich sind. Es vermag aber nie und nimmer, dem Arzt in den Wechselfällen des Lebens, in welche er durch seine tägliche Arbeit verstrickt wird, die Last der Entscheidungen abzunehmen. Letztlich steht er allein und muß in seinem Handeln immer seinem Gewissen folgen. Doch ein Aerzterecht, das auf den Prinzipien des Naturrechtes beruht, gibt ihm Sicherheit und bestärkt ihn, sich an die Normen der ärztlichen Ethik zu halten.

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