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ASVG — einmal nicht kritisch

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Solange, die Regierungsvorlage zum Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz noch nicht Gesetz geworden war, war Kritik sehr wohl am Platz. Nun, da das Gesetz am 1. Jänner 1956 in Kraft tritt, seien einmal auch die Vorzüge hervorgehoben, und zwar jene, die in weiteren Kreisen noch unbekannt geblieben, aber doch von allgemeinem Interesse sind.

Beginnen wir beim Leistungsteil: Sämtliche Rentner, auch die Altrentner, sind in Hinkunft von der Zahlung einer Z u s t e 1-Iuagsgebühr für die Rente befreit; sie wird nunmehr vom Pensionsversicherungs-träger selbst beglichen.

Während bisher nur die Bezieher ungekürzter Renten den Anspruch auf die Auszahlung einer 13. Rente besaßen, wird in Hinkunft jeder Rentner, auch wenn ihm wegen Nebeneinkommens oder Pension die Rente um monatlich 239 oder 147 S gekürzt wird, im Oktober jedes Jahres seine 13. Rente in der Höhe beziehen, in der ihm die Rente im September ausbezahlt wurde.

Neu ist,, daß nunmehr auch die geschiedene Gattiji nach dem Tode ihres früheren, Ehemannes einen Rechtsanspruch auf eine Witwenrente besitzt, insolange sie natürlich nicht selbst eine neue Ehe geschlossen hat und wenn sie; vom Versicherten zur Zeit seines Todes alimentiert wurde. Diese Rente darf jedoch, im Gegensatz zur normalen Witwenrente, die 50 Prozent der Rente des verstorbenen Versicherten beträgt, den Unterhaltsanspruch der geschiedenen Ehegattin gegenüber dem Versicherten nicht übersteigen. Im Gesetzist nichts enthalten, was der Auffassung widersprechen würde, daß nicht auch mehrere geschiedene Ehegattinnen unter den gleichen angeführten Voraussetzungen Anspruch auf eine Witwenrente hätten. Das ASVG gibt überdies der geschiedenen Ehegattin das Recht, die Krankenversicherung ihres Mannes freiwillig fortzusetzen.

Die bisherige Mindestrente von 4-11 S monatlich wird durch die neue soziale Aus-, gleichszulage auf 460 S monatlich er-; höht. Hierzu kommt noch die Wohnungsbeihilfe in der Höhe von 30 S und für die Ehegattin und jedes versorgungsberechtigte Kind ein weiterer Zuschlag von je 50 S. Die soziale Ausgleichszulage erhält allerdings nur derjenige Rentner, der über kein anderweitiges Einkommen verfügt und dem keine unterhaltsverpfiich- teten Familienangehörigen zur Seite stehen. Ist dies der Fall, dann kann allerdings in seltenen Fällen die bisherige Mindestrente auch unterschritten werden.

Der gleichfalls neueirigeführte Hilflosigkeitszuschuß erhöht Rentnern, die ständig fremder Hilfe, Wartung und Pflege bedürfen, ihre Rente um“ die Hälfte, mindestens aber um 300 S, höchstens um 600 S monatlich.

Waisenrenten und Kinderzusch ü s se werden nicht mehr wie bisher nur bis zum vollendeten 18., sondern bis zum vollendeten 24. Lebensjahr gewährt, solange das Kind noch in Schul- oder Berufsausbildung steht oder wegen geistiger oder körperlicher Gebrechen außerstande ist, sich den Unterhalt selbst zu beschaffen.

Ueber die Abfertigung der Witwenrente mit dem fünffachen Jahresbetrage der Rente im Falle der Wiederverehelichung der Witwe und das Wiederaufleben der Rente nach Ablauf von fünf Jahren, soferne die neue Ehe ohne gleichwertige Versorgung wieder aufgelöst wurde, ist schon viel diskutiert worden, niemandem aber ist bisher aufgefallen, wie sehr das ASVG hier die Witwe privilegiert hat. Die weibliche -Versicherte selbst nämlich, die eine Ehe eingeht, und innerhalb von zwei Jahren nach der Eheschließung um den — gleichfalls neueingeführten — Ausstattungsbeitrag ansucht (sie erhält für jeden Beitragsmonat vier Prozent der Bemessungsgrundlage, das ist des Monatsbezuges), verliert demgegenüber nach der Auszahlung desselben ihre gesamten bis dahin erworbenen Anwartschaften.

Immer wieder' verdient auch hervorgehoben zu werden, daß der Alt-Altersrentner, das ist derjenige, dem seine Rente bereits vor

dem 31. Dezember zugesprochen wurde, auch in Hinkunft seiner Beschäftigung weiter nachgehen und, soferne er versichert ist, zu Jahresbeginn jeweils den Antrag auf Erhöhung seiner Rente um die im Vohrjahr neu erworbenen Steigerungsbeträge stellen kann, während der Neu-Altersrentner, der um die Rente erst nach dem 1. Jänner 1956 ansucht, erst den Austritt aus seiner versicherungspflichtigen Stellung nachweisen muß, um überhaupt in den Rentenbezug treten zu können.

Neuland betritt das ASVG mit der Bestimmung, daß dem Versicherten bei der Festsetzung ihrer Rente, soferne sie nach dem 1. Jänner 1956 erfolgt, auch Schul- und Studienzeiten angerechnet werden, und zwar 12 Monate von der Berufsschulzeit, 18 von der Mittelschulzeit und 24 Monate von der Hochschulzeit unter der einzigen Voraussetzung, daß der Betreffende innerhalb von drei Jahren nach Verlassen der Schule in die Pensionsversicherung eingetreten ist.

Ueber die leidigen Renten-Ruhensbestimmun-gen ist viel gesprochen worden. Zu begrüßen ist es nun jedenfalls, daß in der Renten-k r anken Versicherung, die in Hinkunft im wesentlichen die gleichen Leistungen gewähren wird wie die. Krankenversicherung der noch aktiven Arbeiter und Angestellten, das Sterbegeld in der Höhe der vollen monatlichen Rente zur Auszahlung gebracht werden wird, und zwar ohne Berücksichtigung etwaiger im kontreten Falle durchgeführter Kürzungsoder Rühttbestirnmungen. Die Altrentner sind hier überdies privilegiert, da ihnen auch weiterhin für ihre Versicherung nicht mehr als 4.40 S monatlich abgezogen werden darf. Beim Neurentner hingegen bewegt sich der Abzug zwischen 1 bis 2,6 Prozent der Rente.

Der umstrittenen Medikamentengebühr steht im Teile „Krankenversicherung“ des Gesetzes die erfreuliche Neuerung gegenüber, daß ab dem

43. Tage einer mit Arbeitsunfähigkeit verbundenen Erkrankung das Krankengeld von bisher 50 auf 60 Prozent des Grundlohnes erhöht wird.

Nur am Rande bemerkt sei, daß der Versicherte, der mit der ihm von seiner Pensionsanstalt zugesprochenen Rente unzufrieden ist und sich deshalb mit einer Klage an das Schiedsgericht für Sozialversicherung gewandt hat, nunmehr das Urteil dieses Gerichtes mit einer an das Oberlandesgericht Wien als zweite Instanz gerichteten Berufung bekämpfen kann.

Kein Arbeiter oder Angestellter, möge er auch in einem Dienstverhältnis stehen, ist ferner versicherungspflichtig, wenn er weniger als 270 S monatlich verdient — eine Bestimmung, die allerdings auf Kurzarbeiter und Hausbesorger nicht Anwendung findet.

Neu ist, daß ab 1. Jänner 1956 eine Reihe von selbständig erwerbstätigen Personen in allen Sparten der Sozialversicherung für versicherungspflichtig erklärt werden, und zwar die bildenden Künstler (Bildhauer, Maler) und in einer anderen Gruppe die Gepäckträger, Berg- und Fremdenführer. Die Selbstver-sieherung wiederum ermöglicht es einzelnen Personengruppen, der Krankenversicherung beizutreten, und zwar ohne daß sie vorher pflichtversichert gewesen wären; so jedem selbständigen Unternehmer in Gewerbe, Handel und Industrie, soferne er nicht schon einer Meisterkrankenkasse angehört hat, und ebenso jedem selbständigen Landwirt.

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