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Atombomben in der Wüste?

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Aber auch die anderen arabischen Länder, die an Israel grenzen, sind schon Gefangene der Terroristen und deren Sympathie im Volk. König Hussein von Jordanien mußte bereits zweimal militärisch gegen die Männer des El-Fatah vorgehen — und zweimal fielen in Amman, der Hauptstadt von Rest Jordanien, Schüsse zwischen den Beduimensol-daten des Königs und den vornehmlich aus Flüchtlingen zusammengesetzten Freischärlern. Aber noch einen zweiten Horizont hat das chinesische Engagement in Nahost. Seit das Gerücht auftauchte, Israel besitze Anlagen, in denen Atombomben produziert werden können, ist die Unruhe unter den Arabern ständig gewachsen. Man glaubt zu wissen, daß Israel in Dimona, zwischen Beersheba und der Südspitze des Toten Meeres, mitten dn der Wüste bereits Atombomben lagert und jederzeit in der Lage ist, mit seinen „Skyhawks“-Jets jede arabische Hauptstadt zu beschießen. Nun fürchten die Sowjets nichts so sehr wie das Verlangen der Araber nach den atomaren Waffen — und werden sie den unsicheren Partnern nicht eine Sekunde vertrauen wollen. So steht die Atomwaffenmacht China im Hintergrund — und Mao weiß, was Araber wünschen: wenn Israel Atomwaffen hat, „werden wir sie uns auch verschaffen, was immer es kostet...“, meinte Präsident Nasser in einer TV-Aufnahme.

So hütet Israel auch sein Wüstengeheimnis gut. Ängstlich wehrt es sich, eine Kontrolle etwa der Atomenergiekommission in Wien zu akzeptieren — und will auch nicht den Atomsperrvertrag unterzeichnen. Aber das offizielle Jerusalem dementiert energisch die Meldungen von den Bomben in Dimona. Es weiß um das russische Dilemma und fürchtet die Chinesen am Roten und Toten Meer.

Keine Furcht freilich zeigt Jerusalem vor den Anschlägen der El-Fatah. Zwar trifft man überall im Land Sicherheitsvorkehrungen gegen den Terror, vor allem an den Grenzen. Die Wehrdörfer und Kibuzze entlang des Jordan schützen sich mit Laufgräben und Bunkern, die Traktoristen tragen ebenso Waffen wie die Lehrer, die mit ihren Kindern einen Schuilausflug machen. In ganz Israel finden unzählige Autokontrollen statt: Doch wird man den Eindruck nicht los, daß das Primärziel dieser Maßnahmen das Bestreben der Regierung ist, die eigene Bevölkerung zu beruhigen. Man hat alle Maßnahmen getroffen, um den Terroristen das Handwerk zu legen, wenn es gegen jüdisches Leben und Eigentum gerichtet ist. Und tatsächlich ist es der El-Fatah in den letzten Monaten nicht gelungen, den Terror in Israelische Wohngebiete zu tragen. Dazu kommt, daß die arabischen Freischärler bei den Arabern in den besetzten Gebieten wenig bis keine Unterstützung finden. Der Großteil der Araber sieht ein, daß eine Kollaboration mit den Guerillas nur Schwierigkeiten mit dem Besatzungsregime bedeutet — und daß die arabische Propaganda ein „Papiertiger“ ist.

Doch diese relative Ruhe, die den besetzten Arabern wesentliche WirtschaftsvorteÜe bringt, hat ihre Grenzen. Die Angst vor der Zukunft sitzt unter den Turbanein und Schleiern. Viele Araber fürchten sich ebenso vor einer Rückkehr unter eine arabische Regierung wie vor der totalen Eingliederung in Israel.

Sie wissen heute, daß ihnen die arabische Propaganda Dinge eingeredet hat, die nicht stimmen — und daß die Israeli bis auf weiteres militärisch überlegen sind —, aber sie sehen sich auch täglich herausgefordert von der Wesensart und Mentalität der Juden aus dem Land Davids.

Der Albtraum der Araber und der Urgrund für den Konflikt ist die Maxime Israels, durch weitere Einwanderung den Judenstaat zu festigen, weiter zu expandieren und ihnen jede Chance auf eine Rückkehr in die „verlorene Heimat“ Palästina zu nehmen. Die jüdische Immigration bleibt nach wie vor das erklärte Hauptziel der Regierung in Jerusalem; und der Zionismus „nationale“ Weltanschauung Israels. Der Zionismus aber behauptet sinngemäß, daß

• alle Juden in allen Staaten der Erde eine „Nation“ bilden,

• daß Israel heute jenes Gebiet ist, das als Heimat für alle Juden geschaffen wurde. Irgendwann würden auch alle Juden nach Israel kommen, weil der Antisemitismus nicht enden wird;

• und daß die „Einsammlung“ der Juden die absolut wichtigste Aufgabe des Staates sei, der alle anderen Ziele unterzuordnen sind.

So bleiben auf lange Sicht nur wenige Alternativen bestehen:

1. Gliedert sich Israel die arabischen Besatzungsgebiete ein, muß es zur Uberkonfessionalität, Übernationalität und ethnischen Toleranz übergehen. Der Zionismus müßte ein Ende haben und das Land ein laizistischer Nationalstaat werden, in dem religiöse Vorschriften weder Familien- noch Zivilrecht, weder Straf- noch Gewohnheitsrecht des täglichen Lebens beherrscht. Bürger Israels müßte jederzeit jeder werden können — nicht nur ein Jude im konfessionellen Sinn.

2. Bleibt es beim Status quo, daß die Araber in den besetzten Gebieten eine sehr weite Selbstverwaltung besitzen, . daß, das Besatzungsregime, weiter aufrecht, bleibt und daß. die Juden sich auf Sicherfielt un<F Fou-zeigewalt beschränken, werden die arabischen Länder nicht aufhören, diese „natürlichen“ arabischen Gebiete zurückzufordern und werden Terroristen versuchen, die Heimat zurückzuerobern.

3. Gibt aber Israel die besetzten Gebiete zurück, braucht es mehr als nur ein Papier, das sich als Friedensvertrag bezeichnet — es braucht stabile und garantierte Sicherheiten, die seine Grenzen stabilisieren. Der Friedensvertrag ist in weiter Sicht; die Araber werden auch dann noch unsichere Partner bleiben, wenn ein Friedensschluß (freiwillig oder diktiert) die alten Grenzen wiederherstellen sollte. • Was immer aber Israel als Preis für den letzten Krieg fordert, was immer Israel als strategisches Mindestprogramm ansieht — sowohl Jerusalem als auch die Golanhöhen oder der Suezkanal werden Stacheln im Fleisch der Araber bleiben. So zeichnet eich als Lösungsversuch nur der erste Weg ab, von dem auch junge Israeli meinen, daß er der einzig mögliche sei. Israel muß mit den Arabern leben — mit Arabern innerhalb seiner Grenzen und Arabern auf den Bergen, in den Wüsten und Tälern ringsum. So sagt auch der israelische Knesseth-Abgeordnete Uri Avnery:

„Israel steht an einem Kreuzweg. Seine militärische Phase mag vorübergehend sein, seine militärischen Tugenden können normale Bestandteile eines ausgewogenen nationalen Bewußtseins bleiben. Es kann aber auch zu einem wahren Preußen des Orients werden, zu einem militaristischen Staat, der all seine Nachbarn unterdrückt... man kann sich auch totsiegen.“

Was für das Morgen bleibt, liegt in der Hand der Juden ebenso wie der Araber. Die tägliche Herausforderung der Juden durch die Araber erfolgt nicht nur auf militärischem Gebiet: es ist die Tüchtigkeit der Israelis, die totale Westorientierung, das „Europa am Jordan“, die Emanzipation der jüdischen Frau, die schneidende Kälte der Überlegenheit. So ist die nationale Psychologie zur wahren Atombombe des Nahen Ostens geworden. Israel wird nur dann den erwünschten Frieden erhalten, wenn es den Weg des Normalfalls eines Pionierlandes geht: den Weg zum Laizismus, den Weg zur systematischen Gleichberechtigung der arabischen Siedler aus früherer und heutigen Zeit. Oder sollte Israel nicht auch ein Land sein können, in dem es mehrere Religionen gibt, die tatsächlich — täglich und spürbar — gleichberechtigt sind, in dem mehrere Sprachen gesprochen werden und es mehrere Völkerschaften gibt? Und in dem das KLima des Herren- und Dienervolkes erst gar nicht entsteht?

Die Bombe tickt. Die Psychologie der Araber ist schwer zu ergründen, der Krieg kann morgen wieder beginnen. Denn die Araber sind nicht mit den Gesetzen europäischer Logik zu messen. Die Propaganda kann sie in gleichem Maße nach vorne treiben wie der Einfluß der Terrorverbände. Der nächste Krieg kann wieder ein Blitzkrieg sein, aber auch zum Stellungskrieg eskalieren.

Israel fürchtet sich nicht — und mufl sich nicht fürchten. Mosche Dayan und sein Team haben die Zeit genützt. Die Israeli aus ihren Bunkern am Suezkanal zu vertreiben, ist ebenso schwierig wie Angriffe auf die Wehrdörfer am Jordan. Doch niemand weiß, ob nicht trotzdem Prestige und Stolz die Araber ins neue Abenteuer treiben. Die Spezialisten für arabische Psychologie im israelischen Generalstab haben jetzt täglich zu tun. Noch mehr als die Strategen der Wüste.

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