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Auf dem Stockgeleise

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Das neue Jahr stellt die österreichisdien Großgemeinden vor schwerste Aufgaben. Sie sind fast alle von bedeutenden Kriegsschäden betroffen. In diesem Jahre muß nach einer Periode der Improvisationen und lobenswerten Einzelunternehmungen die Großplanung des Wiederaufbaues, die zielbewußte kommunale Wohnungsbeschaffungs-politik ans Werk schreiten. Das Jahr 1947 wird ein Jahr der Bewährung werden. Wohnbaupolitik heißt soziale, hygienische, bevölkerungspolitische und sittliche Fürsorge, sie wird zu alles überragender Verpflichtung, wo qualvolle Notstände wie heute im Wohnungswesen cjer schwer kriegsversehrten Gemeinwesen drängen.

Es j wäre ungerecht und demagogisch, leugnfen zu wollen, wie hart die gesetzte Aufgabe ist. Schon die Baumittelbeschaffung begegnet in einer stark angeschlagenen Wirtschaft, erheblichen Hindernissen. Aber nicht hier, vielmehr in den grundsätzlichen wirtschaftlichen Entscheidungen liegt das Problem, und man kann sich hier zu sehr weittragenden und gefährlichen Lösungen verirren. Der erforderliche Geldaufwand ist sehr groß — wer ist imstande und am berufensten, ihn auf seine Schultern zu nehmen? In Wien sind 3464 Häuser vollkommen zerstört, 8517 beschädigt, mehr als zwölf Prozent des gesamten Häuserbestandes der Stadt also havariert oder ganz umgelegt. In dem unglücklichen Wiener Neustadt ist das 'Verhältnis der zerstörten und schwer betroffenen Häuser zu den erhalten gebliebenen fast umgekehrt. Nicht viel anders in verschiedenen Industrieorten Niederösterreichs und Steierirwks.

Es liegt nahe, die kommunale Wohnbautätigkeit aufzurufen. Nur wenige werden dazu aus eigenen Mitteln imstande sein, und selbst eine Stadt, die noch vor zwei Jahrzehnten ein sehr reiches Gemeinwesen war, wie die an Grundbesitz und ertragkräftigen Unternehmungen begüterte Gemeinde Wien, wird |cünftig nur zu Teillösungen fähig sein. Auch lihr Eigentum wurde im Kriege schwer betroffen, ihre Einkommensquellen fließen heute laus dürrgewordenem Boden. Eine ihrer besteh früheren Einnahmsquellen, die Hauszinssteuer, ist schon vor dem letzten Kriege versiegt, da man nicht wagte, ein neues Lohnsystem mit einer Reform des Mietenrechtes in Einklang zu bringen. Die energische Wohnbautätigkeit der Gemeinde konnte, bei aller Bedeutung der Leistung, bei weitem den Wohnbedarf nicht decken, aber sie verzehrte nicht nur eine Milliarde Steuereingänge ohne ausreichenden budgetären Gegenwert und übergab tausende der konservativsten und zuverlässigsten Steuerträger, der kleinen Hausbesitzer, der Verarmung. Sie erhielten dafür eine Katalog-numnier Ln der Kapitalistenklasse, also unter jenen Leuten, die nach herkömmlichen Versicherungen mit übereinandergeschlagenen Beinen in Klubfauteuils sitzen und ihre Zeit damit hinbringen, Importen zu rauchen, Kupofis abzusch neiden und Schädlinge ihrer arbeitenden Mitmenschen zu sein.

Ob man die Ursachen loben oder als folgenschweren Irrtum beklagen mag — die nicht 'zu verbergende Tatsache ist, daß auch die Gemeinde Wien sich nicht mehr imstande sieht, allein die Aufgabe zu meistern, die heute — ob es uns gefällt oder nicht — den Königsgedanken einer großstädtischen Politik darstellt, die nicht zwischen den Trümmerhaufen unserer Häuserruinen sich begraben lassen will.

Erörterungen des Themas, jetzt von berufener Seite in der sozialistischen Tagespresse begonnen, haben den Vorzug, offen und frei von Schönfärberei zu sein. Es fällt gewiß den Führern eines stolzen Gemeinwesens von der historischen Vergangenheit, Größe und Leistung der Stadt Wien nicht

leicht, ernsthaft in Erwägung zu stellen, daß der Staat die finanzielle Obsorge für Funktionen, die so typisch städtische sind, wie die des städtischen Wohnhausbaues und seiner Finanzierung, auf seine Schultern nehmen solle. Man vernimmt soeben mit Erstaunen die Betrachtung, wie es denn wäre, wenn der Staat für den Bau von Wohnungen Anleihen aufnehmen würde, die zur allgemeinen Staatsschuld hinzugeschlagen würden „und für deren Rückzahlung keine Vorsorge getroffen werden muß“. — Da es aber doch fraglich ist, ob auch bei einer solchen Finanzierung nicht Mietzinse entstehen würden, die jenen der mieterscliutz-pflichtigen Wohnungen allzu sehr widersprechen und letztere unhaltbar machen würden, setzt sich jene Betrachtung in den Gedanken fort, es könne der Staat ja über die Finanzierung des städtischen Wohnungsbaues durch eine schwebende Staatsschuld noch hinausgehen und die Mietzinse in den aus dieser Staatsanleihe hergestellten Häusern „unter jenem Betrag festsetzen, der notwendig ist, um die Zinsen der Anleihe zu bezahlen und die Differenz aus den allgemeinen Staatseingängen zu decken. Das würde bedeuten“ — der Verfasser sagt es ohne Umschweife — „daß der Staat die Miete an gewissen Häusern subventioniert“. — An „gewissen“? An tausenden in Wien. Und da Wien nicht ein alleiniges Anrecht auf die Mittel aus - jener Staatsanleihe beanspruchen • könnte, sondern alle kriegsversehrten Gemeinden dasselbe Anrecht geltend machen würden — auch Subventionierung der Mieten an vielen tausenden anderen Häusern in ganz Österreich. Als Beispiel für eine solche Subventionspolitik — eine Politik der wahllos auch an Wohlhabende und Reiche verabreichten Geschenke — wird uns zur Begründung dieses Vorschlages die Subventionierung der wichtigsten Lebensmittelabgaben an die Bevölkerung vor Augen gestellt, eine Maßregel, die selbstverständlich überall nur eine für Notzeiten und vorübergehende sein kann und, sobald sie diese Grenzen überschreitet, längst als höchst gefährlich für eine geordnete Staatswirtschaft erkannt worden ist. Völlig ausgeschlossen muß es sein, einen Finanzplan auf lange Sicht, gar die Lastendeckung für eine Dauerschuld, mit einer solchen Defizitwirtschaft zu verbinden.

Die nachdenkliche Untersuchung in dem leitenden Blatte der Wiener Rathausmehrheit erwägt — vermutlich in der Erkenntnis, welch schwere Bedenken einer in volkswirtschaftlichem Sinne unproduktiven Staatsanleihe entgegenstehen würden — ein anderes Auskunftsmittel, die Deckung des städtischen Wiederaufbaues einfach durch die Notenpresse, denn „solange es unausgenützte wirtschaftliche Hilfsquellen, Rohstoffe, Produktionsmittel und Arbeitslose gebe, könne der Staat direkt oder durch die Banken Geld in Umlauf setzen, das zur Ausnützung dieser wirtschaftlichen Kräfte und zur Produktion neuer, zusätzlicher Güter verwendet wird“.

Das ist bedingt richtig, solange es sich um Güter handelt, die aus sich wieder neue Werte hervorbringen. Sonst kommt man zu den Maximen der Finanzpolitik des Dritten Reiches und ihrer Bankrottwirtschaft. Banknotenumlauf für Wohnbauten, deren Kosten nicht aus ihrem Ertrag gedeckt würden, bedeutet Inflation mit allen ihren Folgen. Und es handelt sich um einen Aufwand von mehreren Milliarden, der unsere Währungs- und Kreditwirtschaft unfehlbar belasten würde.

Man. muß fragen, ob wir Österreicher wirklich in einer so verzweifelten Lage sind. . daß heute schon so halsbrecherische Pläne umgewälzt werden müssen. Es ist nicht so. Im Grunde sind diese Anwandlungen, zu unmöglichen Rettungsmitteln die Zuflucht

zu nehmen, das Ergebnis schmerzlicher Einsichten, daß die bisherigen Methoden der Wiener Wohripolitik auf ein totes Geleise geführt haben. Nun flüchtet man zum Staate. Er soll der Retter sein und dafür in die staatliche Interessensphäre jenen Raum einbeziehen, der Lebensbedingung und Symbol der menschlichen Freiheit ist, die Heimstätte des Staatsbürgers. Diese Flucht aber nur deshalb, weil man nicht mit seinem Geständnis begangener Irrtümer so weit gehen will, um zu. sagen, daß der Wiederaufbau das Zusammenwirken der öffentlichen Hand mit den verfügbaren Kräften unseres Volkes, mit seinen Sparmitteln und mit seiner privaten, auf seinem Schaffen beruhenden Kreditfähigkeit verlangt. Gewiß, auch das Sparvermögen, das der privaten Initiative dienen soll, ist heute geschmälert. Doch die Erfahrungen des vergangenen Jahres haben gezeigt, in welch starkem Maße die private Initiative den Wiederaufbau fördern kann. Sie dem großen Plane einzuordnen und sozial dienstbar zu machen, wäre die Aufgabe. Schon einmal — in den

Jahrzehnten um die Jahrhundertwende, da die Bevölkerungsbewegung in Wien einen sprunghaften Anstieg nahm und dadurch die Wohnungsnot krisenhaften Charakter anzunehmen drohte — wurde die Gefahr in ihrer Hauptsache nicht von der öffentlichen, sondern der privaten Hand bewältigt. Als von 1890 bis 1920 die Bevölkerung der Stadt von 1,36 auf 1,8 Millionen wuchs; vermochte private Bautätigkeit die Zahl der: Wohnungen von 286.759 auf 519.169 zu: vermehren. Man wird diese Leistungskraft auch künftig nicht entbehren können. Ihr Einbau in die Wohnungspolitik demokratischer und sozial gerichteter Gemeinwesen und die Ausrichtung dieses Einbaues nach sozialen Grundsätzen kann keinen ernst ztt -nehmenden Schwierigkeiten begegnen. Esv wäre denn, daß ihm ideologische Einwendungen entgegenstehen. ' Sollte es sich verlohnen, wegen einer Ideologie einen kostspieligen, der Volkswohlfahrt abträgliehen Irrtum festzuhalten, obwohl er erkennbar auf das Stockgeleise geführt hat? i

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