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Auf dem Weg zur panamerikanischen Wehrmacht

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Die eben vor sich gehende umfassende Neuordnung der amerikanischen Sicher-heitsfragen lenkt die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf die Art, wie augenblicklich die Weltmächte die wehrpolitische Lage betrachten. Zunächst sind es die Vereinigten Staaten von Nordamerika, die in ihre Sicherheitspolitik recht weitgehenden Einblick gewähren.

Bis 1914 besaßen die USA nur ein verhältnismäßig kleines Berufsheer, heben dem es eine teilweise ausgebildete Freiwilligen- ■ miliz und eine unausgebildete, auf allgemeiner Wehrpflicht beruhende Reservemiliz gab. Heer und Marine ergänzten sich durch Werbung. In dieser Organisation entsprachen die Landstreitkräfte wie die Marine allen gestellten Anforderungen und die Vereinigten Staaten gingen bis 1914 aus allen ihren kriegerischen Aktionen erfolgreich hervor. Am eigenen Festland, unangreifbar zwischen zwei mächtigen Ozeanen gelegen, waren sie militärisch führend und jedes Mehr an Rüstung hätte eine ungerechtfertigte Mehrbelastung der Bevölkerung bedeutet.

Anders wurde es im ersten Weltkriege, der die USA zum Eintritt in den europäischen Konflikt zwang und der plötzlich gesteigerte Rüstungen verlangte. Mit raschem Entschluß wurde im Mai 1917 die allgemeine Wehrpflicht eingeführt und im Herbst 1918 standen schon zwei Millionen Mann in Frankreich, um den Weltkrieg zugunsten der Alliierten zu entscheiden.

In den Jahren von 1,018 bis 1938 beschränkten sich die USA wieder im Wesen auf ihre Vorkriegsorganisation, nur die Marine blieb im ersten Treffen und wurde so stark wie die bisher stärkste Flotte der Welt, die britische. Der zweite Weltkrieg brachte eine Wiederholung der Ereignisse von 1914 bis 1918: Amerika hatte abermals dank seiner geographischen Lage eine zweijährige Anlaufzeit für die Aufrüstung zur Verfügung, es wurde neuerlich die allgemeine Wehrpflicht eingeführt, mit voller Kraftentfaltung wurde in den Krieg in Afrika, Europa und Asien eingegriffen und abermals der Krieg für die Alliierten mitentschieden.

Es ist ein uralter Grundsatz der Politik, daß man nach errungenem Siege nicht auf den Lorbeeren ausruhen darf. General Pappenheim prägte vor mehr als dreihundert Jahren (1631) das Wort: „ .. . dero-weegen wan man nach erlangter Victori an Statt der Sicherheit und abdanckhens Erst recht und sterckher alß nie werben wirdt.“ Und so kehren auch die USA nach dem Siege von 1945 nicht zur alten Friedensordnung zurück, dies um so weniger, als sich die Gesamdage gründlich geändert hat: Ihre geographische Isolierung hat zu bestehen aufgehört; Amerika ist nicht mehr unangreifbar und in einem neuen Kriege könnte es nicht mehr den Vorteil der Zeit in Anspruch nehmen, nämlich in Ruhe aufzurüsten und den Eintritt in den Krieg zeitlich selbst zu bestimmen; die modernen Fernwaffen stellen die Landesverteidigung auf andere Grundlagen; die USA tragen die Lasten einer vieljährigen Länderbesatzung in Europa und Asien; sie müssen für die UNO Kontingente stellen und für diesen ganzen großen Apparat — den ein Berufsheer allein nicht mehr bestreiten könnte — die erforderlichen personellen und materiellen Mittel laufend verfügbar machen. Als mitverantwortliche Weltmacht mußte daher Amerika seine gesamte Sicherheitsfrage einer Revision unterziehen, es müßte aus der in der rergangenheit nur ausnahmsweise unter-rochenen Anpassung der Rüstung an kontinentale Verhältnisse zur Anpassung an die große Weltpolitik übergehen, aus der es nicht mehr gelöst werden kann.

Schon im September 1945 ersuchte Präsident T r u m a n den Kongreß um die Einführung der* allgemeinen Wehrpflicht und begründete sie mit der Durchsetzung der Friedensbedingungen, den militärischen Erfordernissen als UNO-

Mitglied, dem Schutz der Unabhängigkeit der westlichen Hemisphäre und der unmittelbaren Landesverteidigung der USA. Am 9. November 1945 ermächtigte der Senat den Präsidenten der Vereinigten Staaten, mit dem Kongreß — im Notfalle auch ohne diesen — die Bereitstellung eines Kontingentes für die Aufgaben der UNO durchzuführen. Ein weiterer Schritt des Präsidenten bestand im Vorschlag an den Kongreß, auf Grund der Kriegserfahrungen Heer, Marine und Luftstreitkräfte unter selbständigen Kommandanten einem e i n-heitlichen Landesverteidi-

g u n g s m i n i s t e r i u m zu unterstellen, das von einem Zivilisten zu führen wäre.

Die staatsrechtliche Seite der amerikanischen Neuordnung der nationalen Sicherheit wird vornehmlich durch zwei Fragen berührt: durch die Besetzung des Postens des Landesverteidi-gungsministers und die A b 1 ö s u n g des Berufsheeres dutch ein Wehrpflichtheer. Außenminister Byrnes hat zu diesen beiden Fragen ausführlich Stellung genommen und sich für eine Zivilperson als Minister und für das Wehrpflichtheer ausgesprochen. Der zivile, Verteidigungsminister soll das Symbol der Unterordnung der militärischen unter die zivile Gewalt, mit anderen Worten der militärischen unter die politische Kriegführung sein. Damit erscheint neuerlich ein altes Postulat erfüllt, das heute bereits als Gemeingut der Staatspolitik gilt und das nicht mehr bezweifelt wird. Das Wehrpflichtheer gilt Byrnes dem Berufsheer gegenüber als Sicherung gegen eine Bedrohung der zivilen Regierung.

Präsident T r u m a n wird in seinem Bestreben, Amerika stark zu machen sowohl von allen maßgebenden Männern der Union als auch von der- gesamten Presse einhellig unterstützt.

General Eisenhower — jetzt Chef des Generalstabes der USA — stellte am „Tag der Armee“ die'Forderung auf: „Wir müssen so lange, bis ein ständiger Friede gesichert ist, die noch unvollkommene Maschinerie unserer Sicherheit beibehalten und eine so starke Macht aufrechterhalten, wie diese vielleicht von der UNO von uns gefordert wird.“ Kurz darauf — am 27. April — sagte Eisenhower, derzeit müsse Amerika noch selbst für seinen nationalen Schutz Sorge tragen und er begleitete sein in.den gleichen Tagen bekannegegebenes Organisation s- tind Ausbil-dungsprogramm mit dem Beifügen,

ein nächster Krieg könne sich über den ganzen Erdball erstrecken, erfordere daher gleich für seinen Beginn eine starke Reserve. Die USA müßten ihr stehendes Heer, ihre Nationalgarde und ihre ausgebildeten Reserven „jederzeit einsatzfähig“ ausgestalten und besonderes Gewicht auf die Flugwaffe sowie auf „Luftlande- und Seeoperationen“ legen.

Kriegsminister Patter so n warnte in seiner Armeetagrede vor der „unglückseligen Neigung aller Demokratien, die Wehrmacht zu vergessen, sobald diese ihre Aufgaben erfüllt hat“ und forderte genügend

starke und gründlichst ausgebildete Streitkräfte zur Verteidigung Amerikas.

Neben der grundsätzlichen Neuordnung der Wehrverfässung blieb die Frage der Anwendung der Atomenergie zu regeln. Die diesbezügliche Erklärung der USA, Englands und Kanadas vom 16. November 1945 stellte sich auf den Standpunkt, daß die Atomwaffen nicht das Monopol einer einzigen Macht bleiben dürfen und daß die Nutzbarmachung der Atomenergie für friedliche Zwecke ausschließlich im

Wege einer der UNO angegliederten internationalen Atomkommission erfolgen solle. Präsident T r u m a n bemerkte • in diesem Zusammenhange: „Die Meinung, daß die neue Waffe alle Flotten, Heere und Luftstreitkräfte unmöglich gemacht habe, ist hundert Prozent falsch ... ohne eine entsprechende Armee, Marine und Luftwaffe ist die Atombombe nur von beschränktem Wert.“ — Die Atomwaffen sind somit nur als ein bisher ungekanntes Mittel der Kriegführung aufzufassen, nicht aber als ein Mittel, das alle derzeitigen Einrichtungen der Landesverteidigung überflüssig machen könnte. Jene Dreimächteerklärung über die Atomenergie weist noch darauf hin, daß es heute keine „gleichwertige militärische Verteidigung“ gegen Atomwaffen gebe. Diejenigen Staaten, die im Besitze der Atomwaffen sind.- haben daher vorläufig einen R'üstungsvorsprung allen anderen Staaten gegenüber.

Die Krönung des wehrpolitischen Programms der USA bildet aber der dem Kongreß von Präsident T r u m a n am 7. Mai unterbreitete Gesetzentwurf, def die militärische Zusammenarbeit zwischen den USA und allen anderen amerikanischen Staaten sowie auch Kanadas vorsieht. Es sollen nach diesem Entwurf alle Wehrmächte Amerikas nach Organisation, Ausrüstung und . Ausbildung vereinheitlicht werden. Sollte dieses Ziel — die pan-a m e r i k-a n i s c h e Wehrmacht — erreicht werden, dann stünde die Welt in absehbarer Zeit vor der Tatsache eines militärisch vollkommen einheitlichen Erdteiles von über 250 Millionen Menschen, mit Rücksicht auf die geographische Geschlossenheit und wirtschaftliche Unabhängigkeit der westlichen Hemisphäre eines militärischen Machtapparates von solcher Schlagkraft, wie er für lange Zeit von keinem anderen Machtgebilde der Erde erreicht werden könnte. Hier zeichnen sich einschneidendste Rückwirkungen auf die ganze Weltpolitik der kommenden Jahrzehnte ab.

Die im Zusammenhange mit der Rüstungspolitik der USA bekanntgewordenen Wehrbudget - Summen —7.246,335.2,00 Dollar für 1947 — geben an sich keinen Schlüssel zur richtigen Erfassung der Wehrausgaben, denn es finanzieren auch die einzelnen Unionsstaaten Wehrausgaben im eigenen Bereiche: man kennt auch noch nicht die Gesamtstaatsausgaben der Union und 1947 kann auch — mit Rücksicht auf die Überseebesatzungen — noch nicht als Friedensjahr gelten.

Übereinstimmend heben alle maßgebenden Faktoren der amerikanischen Politik hervor, daß sich die Wehrpolitik der USA stets strenge in den Rahmen der UNO einpassen werde und daß die allgemeine Ab-r ü s t u ng das unverrückbare Ziel der amerikanischen Politik bleibe. Es ergebe sich aber zwischen dem Heute der Nachkriegszeit und dem Übermorgen der allgemeinen Abrüstung ein Zwischenstadium („Periode der Neuordnung“), das mit seinen noch nicht durchwegs beseitigten Ungewißheiten nur durch eine starke militärische Bereitschaft der für den Weltfrieden haftenden Mächte überbrückt werden könne.

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