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Auf Vorposten in gärender Zeit

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Als WilhelmMiklas ins politische Leben eintrat und aktiv an der Willensgestaltung des Staates teilnahm, war Österreich eine Großmacht; der Staat, an dessen Gesetzgebung er sich zu beteiligen berufen fühlte, eine der Monarchien mit den größten und erhabensten Traditionen; und die Partei, der er sich zur Verfügung stellte, im Zenit ihrer Entwicklung. Ihr Gründer und Wegbereiter, Dr. Lueger, war Bürgermeister von Wien und Landmarschall von Niederösterreich und die Christlichsoziale Partei eine tragende Staatspartei, deren Wirken von echt patriotischen Motiven geleitet war. Wilhelm Miklas, geboren am 15. Oktober 1872 in Krems, war damals Gymnasialdirektor, Mitglied des Landesschulrates von Niederöstereich und nahm auf die Gestaltung des österreichischen Schulwesens nicht unerheblichen Einfluß.

Sicherlich auch seine außerordentliche Rednergabe, vor allem aber seine- klare weltanschauliche Haltung uhd sein Charakter bewogen im Jahre 1907 die Christlichsoziale Partei, Wilhelm Miklas in den Reichsrat und ein Jahr darauf in den nie- deröstereichischen Landtag zu entsenden. Ein stürmischer Wahlkampf, der blutig verlief und Miklas selbst wiederholte tätliche Angriffe und Verletzungen eintrug, entschied für ihn. Von dieser Zeit an blieb er auf der politischen Laufbahn stets der Vertreter des Rechtes, des Glaubens und der Voranstellung der Staatsinteressen vor den Parteiinteressen. Ein aufrechter Demokrat, der vor niemandem zurückschreckte, das zu vertreten, was er für wahr und richtig hielt, trug er das Bewußtsein in sich, daß kein Staat auf die Dauer bestehen und sich gesund entfalten könne, der nicht auch ein gewisses Maß autoritärer Führung in seiner Verfassung verankert.

Nach dem unglückseligen Ausgang des ersten Weltkrieges fiel es Wilhelm Miklas besonders schwer, die überlieferte Staatsform preiszugeben: seine war eine der wenigen Stimmen im chtistlichsozialefi Klub, die sich gegen die Einführung der republikanischen Verfassung aussprach.

Erwies Wilhelm Miklas damit seine Treue zur überlieferten Staatsform und zum angestammten Fürstenhaus, so war er doch Realpolitiker genug, um die gegebenen Tatsachen anzuerkennen und sich der jungen, schwer ringenden Republik rückhaltlos zur Verfügung zu stellen. In Würdigung dieser Einstellung und seiner Kenntnisse, entsandte ihn die provisorische Nationalversammlung in den Jahren 1918 und 1919 in den Staatsrat und übertrug ihm in der Regierung Renner II und III das Amt eines Unterstaatssekretärs für Kultus im .Staatsamt für Unterricht, das er auch in der Regierung Mayr I beibehielt. Miklas brachte für dieses Amt schon aus seiner beruflichen Tätigkeit Wissen und Erfahrung mit. Obwohl auf so exponiertem Posten, erwarb er sich bei allen Parteien der Volksvertretung Wertschätzung und Vertrauen. Im Jahre 1923 wurde er vom Nationalrat zu seinem Präsidenten gewählt und enttäuschte auch dieses Vertrauen nicht. Nach dem Rücktritt des ersten Bundespräsidenten der Republik, Michael Harnisch, dessen Wahl periode am 9. Dezember 1928 abgelaufen war, griff die Christlichsoziale Partei auf Wilhelm Miklas als Präsidentschaftskandidaten. Diese Berufung war für Wilhelm Miklas in hohem Maße auszeichnend, denn es standen Kandidaten von Rang und Namen, darunter auch Ignaz Seipel, zur Erwägung. Am 10. Dezember 1928 leistete er vor der Bundesversammlung die Angelobung als Staatsoberhaupt und blieb es, bis ihn am 13. März 1938 fremde Gewalt aus seiner Stellung beseitigte, in der ihn im Jahre 1935 die Bundesversammlung, als seine erste Amtsperiode abgelaufen war, bestätigt hatte.

Die Zeit der Präsidentschaft Wilhelm Miklas ist reich an großen politischen Entscheidungen. Zur ersten hatte er selbst den Anstoß gegeben. Noch als Abgeordneter zum Nationalrat hatte er beantragt, die Bundesverfassung so abzuändern, daß dem Bundespräsidenten größere Rechte eingeräumt werden, so daß Österreich aufhörte, eine rein parlamentarische Demokratie darzustellen und, wenn auch, noch lange keine Präsidentschaftsrepublik, so doch ein Staatswesen wurde, in dem das Staatsoberhaupt der Volksvertretung gegenüber in hohem Maße unabhängig und in der Lage ist, auf die Gestaltung der politischen Entwicklung aktiven Einfluß zu nehmen. Der Bundespräsident erhielt unter anderem das Recht der Auflösung des Parlaments und der Ernennung der Bundesregierung. Bundeskanzler Schober war es, der diese Reform der österreichischen Verfassung im Jahre 1929 bewirkte und ihr die Gestalt gab, in der sie heute noch in Kraft ist.

In die Zeit der Amtstätigkeit Wilhelm Miklas’ fiel aber auch die tragische innenpolitische Auseinandersetzung, die durch den Gegensatz Heimwehrbewegung—Republikanischer Schutzbund charakterisiert war und die, mit dem Zerbrechen der parlamentarischen Republik endete. An ihre Stelle trat der autoritäre Ständestaat, der zwar zunächst unter dem Druck der Heimwehr zeitweise im faschistischen Fahrwasser segelte, dessen Verfassung aber wertvolle Ansatzpunkte enthielt, aus der ein neues demokratisches Leben hätte erwachsen können. Daß Wilhelm Miklas nur widerstrebend unter dem übermächtigen Druck der Verhältnisse sich bereit fand, als Staatsoberhaupt der Veränderung der Regierungsform seine verfassungsmäßige Zustimmung zu gewähren, ist für niemanden eine Frage, der ihn näher kennt und der die internen Vorgänge überblickt, die sich in der Zeit der Umgestaltung der Verfassung abspielten. Ihm war hiefür, wie ihren Urhebern, das gleiche Motiv maßgebend; Aufrechterhaltung der Selbständigkeit Österreichs, Bewahrung unseres Staates und unseres Volkes vor der Überfremdung und vor dem nationalsozialistischen Gedankengut. Weder seine Kanzler Dollfuß und Schuschnigg noch Miklas selbst strebten nach Macht oder Geltung. Gerade der Bundespräsident war es, der sich weitestgehende Zurückhaltung auferlegte und sich einer Bescheidenheit befleißigte, die von den großen Reden und rauschenden Aufmärschen dieser Tage wohltuend abstach.

Noch versteht es ein Teil seiner Zeitgenossen nicht, seine Haltung und sein Wirken gerecht zu beurteilen. Eine spätere Generation und eine Geschichtsschreibung, die die letzten Hintergründe der Erschütterung der Demokratie im ganzen mitteleuropäischen Raum aufklären kann, werden ein gerechtes Urteil über Wilhelm Miklas fällen. Dieses Urteil wird auch über die Tage des März 1938 so ausfallen, daß Wilhelm Miklas, der in diesen Tagen seinen 80, Geburtstag feiert, getreu seiner beschworenen Pflicht und mit jener Charakterfestigkeit gehandelt hat, die der vornehmste Zug seines Wesens ist.

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