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Aufgehobene Generalabrechnung

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Wer nicht wüßte, daß einst unter anderem Sozialisten das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht in Österreich durchgesetzt haben, glaubte es nicht, wenn er im Zwiegespräch mit einem prominenten SPÖ-Parlamentarier erfahren muß, der SPÖ läge nicht an dramatischen Effekten in diesem Wahlkampf, weil dadurch wieder eine hohe, die ÖVP begünstigende Wahlbeteiligung zustande kommen würde.

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Wer nicht wüßte, daß einst unter anderem Sozialisten das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht in Österreich durchgesetzt haben, glaubte es nicht, wenn er im Zwiegespräch mit einem prominenten SPÖ-Parlamentarier erfahren muß, der SPÖ läge nicht an dramatischen Effekten in diesem Wahlkampf, weil dadurch wieder eine hohe, die ÖVP begünstigende Wahlbeteiligung zustande kommen würde.

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Ist es dieser Umstand, der die parlamentarische Plenardebatte des Budgets für das Jahr 1970 eintönig ablaufen läßt? Unter dem Strich der noch vor einigen Wochen angekündigten „Generalabrechnung“ der SPÖ mit der Bundesregierung steht: Stille, Ruhe, Unauffälligkeit. Dabei hatten es die Sozialisten nicht immer leicht, Ruhe zu bewahren. Immerhin warfen ihnen VP-Hinterbänkler vor, in der Schublade einen „Dreietappenplan zum Ruin Österreichs“ verwahrt zu haben; immerhin wurde ihnen unterstellt, sowohl das Bün- desheer als auch den österreichischen Bauernstand „demontieren“ zu wollen und immerhin mußte sich SPÖ- Vorsitzender Dr. Kreisky harte Vorwürfe gefallen lassen. Aber die sozialistische Schweigemauer stand fest. Nur gelegentlich, etwa beim Sozialkapitel, gingen die SPÖ-Sprecher ein wenig aus der Reserve, nannten das Sozialbudget „unerfreulich“ und vom kapitalistischen Geist diktiert. Hingegen kassiert die SPÖ-Parlaments- fraktion die permanenten Vorwürfe der Mehrheitspartei, ihre „Programmsintflut“ sei unrealisierbar, weil unbezahlbar, ohne auch nur mit der Schulter zu zucken.

Auf ÖVP-Seite ist man über diesen Verlauf der Budgetdebatte eher bedrückt. Freute man sich noch, als im vergangenen Monat die einzelnen Budgetkapitel die parlamentarischen Ausschüsse mehr oder weniger unbehindert von der sozialistischen Opposition passierten, so ärgert man sich nun gründlich darüber, das „Wahlbudget“ ohne größeren wahlkampftaktischen

Pomp über die parlamentarische Bühne zu bringen. Wie es heißt, soll es den ÖVP-Fraktionsführer Doktor Withalm schon öfters gejuckt haben, aus der ersten Sitzreihe ans Rednerpult zu treten, um die sozialistische Fraktion mit verbalen Angriffen zu offensiver Kritik zu zwingen. Eine Situation, die bei der Behandlung der letzten vier Budgets der ÖVP- Bundesregierung unvorstellbar gewesen wäre.

Süßes „SPÖ-Geheimnis"

Vielleicht spielt beim aktuellen Oifensivdrang der ÖVP-Fraktion ein wenig das Wissen mit, daß der sozialistische Parteivorsitzende Doktor Kreisky derzeit abgekämpft aussieht. Selbst aus seinem engsten Parteifreundeskreis hört man, daß ihn der sozialistische Rückfall in der demoskopisch errechneten Wählergunst ebenso wie die ständigen Auseinandersetzungen mit seinem politischen Rivalen Dr. Pittermann zermürbt hätten. Man ist darüber voi allem deshalb bestürzt, weil Doktoi Kreisky nicht der Mann ist, der aus

Rückfällen Kraft für neue Siege schöpft, sondern allein von Erfolgen beflügelt wird.

Und ein weiteres läßt um Kreisky fürchten: Unter dem Druck der öffentlichen Meinung glitt er in jüngster Zeit schon einmal aus, als er ein sozialistisches Finanzierungskonzept veröffentlichen ließ. Nun soll er, wie es in sozialistischen Kreisen heißt, ein zweites Mal „in den Fehler verfallen“, noch vor dem Wahltag ein „süßeS SPÖ-Gefteim- nis“ zu enthüllen: das.;Schattenkabi- nėtt. Erst jüngst ließ er auTDrängen im Rahmen der Diskussionsveran- •staltung der katholischen Studentenverbindung „Austria“ durchblicken, daß er sich Otto Probst ganz gut in einer sozialistischen Alleinregierung als Innenminister, Dr. Broda als Justizminister, Dr. Staribacher als Landwirtschaftsminister, Dr. Androsch als Finanzminister und die ziemlich unbeschriebenen sozialistischen Parlamentarier Frühbauer und Moser als Verkehrs- beziehungsweise Bautenminister vorstellen könne. Eine solche Schattenkabinettsliste zu veröffentlichen, wäre sicherlich eine arge Wahlkampfbürde für die SPÖ. Dazu kommt, daß Dr. Kreisky schon wiederholt erklärte, warum er offiziell kein Schattenkabinett aufstellt. Tut er es jetzt, wird ihm dies sicherlich als neue Kehrtwendung ausgelegt werden.

Allein die Minifraktion der FPÖ scheint gewillt, der unikoloren Bundesregierung im Parlament das Leben schwer zu machen. Zeillingers Krach mit Verteidigungsminister Dr. Prader soll ihm, wie es heißt, eine scharfe Rüge seines Parteiobmannes Peter eingetragen haben.

Der mit jeder Partei koalitionswillige FPÖ-Peter will am Image der FPÖ als einer regierungswilligen Partei nicht kratzen lassen. Freilich, in Gesprächen mit ÖVP-Mandataren erfährt man immer wieder, sie würden sofort ihr Mandat zurücklegen und aus der Partei austreten, sollte die ÖVP nach dem 1. März 1970 gar eine Koalitionsehe mit den Freiheitlichen schließen.

„Dann lieber große Opposition“, heißt es unverbindlich. Auch ein Salzburger FPÖ-Blatt rät der Parteispitze (in Form der Bekanntgabe einer Leserbefragung), lieber auch nach dem 1. März in Opposition zu bleiben. Zuletzt erst meinte der volkswirtschaftliche Referent des ÖGB, Dr. Lachs, daß für ihn eine blau-rote Koalition der Austrittsgrund aus der SPÖ wäre. In einer Pressekonferenz vertrat er die Auffassung, daß ähnlich wie er die meisten sozialistischen und ÖAAB-Ge- werkschafter dächten.

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