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Aufmarsch der Kandidaten

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„Der König ist tot, es lebe der König!“ Dieser Ruf hat in einer Republik keine Gültigkeit. Wenn die Österreicher nun vom Begräbnis Dr. Schärfs heimgekehrt sind, so gilt ihre bange Frage der Zukunft. Wer wird als nächstes Staatsoberhaupt in die Präsidentschaftskanzlei einziehen? Die Parteien sind — warum es verschweigen — innerlich für Präsidentenwahlen in diesem Jahr nicht gerüstet. Auch ist mit der Etablierung der totalen Konsumgesellschaft in Österreich ein bedauerlicher Schwund an markanten Persönlichkeiten für das hohe Amt verbunden.

Bezeichnend für die Situation ist, daß die Sozialisten aller Voraussicht nach den Bürgermeister von Wien, Franz Jonas, auf den Schild heben werden. Jonas hat in der Partei von der Pike auf gedient. Er ist ohne Zweifel ein redlicher Mann. Ihm mangelt aber jene Ausstrahlung und „persönliche Handschrift“, die die Österreicher eben von ihrem Staatsoberhaupt erwarten. Der auch genannte zweite Präsident des Nationalrats und ehemalige Verkehrsminister, Ing. Karl Wald-brunner, . zeigt ohne Zweifel ein schärferes Profil. Hat sich doch gerade dieser Mann, der lange in dem Ruf stand, weit links zu stehen, in kritischen Tagen als ein beharrlicher Vorkämpfer für die Zusammenarbeit ÖVP—SPÖ ausgewiesen. Auch wäre die Führung der SPÖ gut beraten, wenn sie bei der Auswahl ihres Präsidentschaftskandidaten auf die seit der „Affäre Fussach“ gegenwärtig besonders sensiblen westlichen Bundesländer einigermaßen Rücksicht nehmen würde. Ein Kräftemessen zwischen „Alpen“-und „Donauösterreichern“: das wäre wohl das letzte, was dieses Land im großen Gedenkjahr der zwanzigsten Wiederkehr seiner Befreiung brauchen könnte.

„Entspannung“ könnte hier ohne Zweifel eine Kandidatur des ehemaligen Linzer Bürgermeisters, Doktor Ernst Koref, bringen. Gegen eine Kandidatur Korefs wird sein Alter ins Treffen geführt. Doch Karl Renner zählte bereits ein Jahr mehr, als er 1945 in das hohe Amt berufen wurde. Neben Rücksicht auf die Stimmung der Länder sollte sich die SPÖ auch überlegen, ob sie es den Katholiken Österreichs zumuten kann, nochmals einen Kandidaten, der sich zu keiner christlichen Religionsgemeinschaft bekennt, zu favorisieren. Daran zu erinnern, ist gerade unser Blatt berechtigt, das es nicht verabsäumt hat, an der Bahre Dr. Schärfs einen publizistischen Kranz niederzulegen.

Auch die Volkspartei hat einige Sorgen. Und diese sind nicht geringer. Im Gegenteil. Nachdem sie aus drei Präsidentschaftswahlen als „zweiter Sieger“ hervorgegangen ist, ist ein gewisser Realismus verständlich. Auch fiel es unter diesen Auspizien gar nicht leicht, einen profilierten Mann zur Übernahme der Kandidatur zu bewegen. Es war anzunehmen, daß sowohl der Präsident des Nationalrates, Dr. Alfred Maleta, wie auch Unterrichtsminister a. D. Vizebürgermeister Dr. Heinrich Drimmel, allen Angeboten mit Zurückhaltung gegenüberstanden. Und der von Anfang an am plausibelsten erscheinende Plan, Bundeskanzler a. D. Dr. Alfons Gorbach, auf den Schild zu heben, hat — das sollte man nicht unterschätzen — gewisse psychologische Schranken zu überwinden. Hat doch niemand anderer als die ÖVP selbst erst vor Jahresfrist etwas brüsk Dr. Gorbachs Kanzlertätigkeit vor der Zeit beendet. Und Leopold Figl — legenden- und sagenumworbener Bundeskanzler der ersten Stunde? Sein Name drängte sich auf. Doch ach, auch Figls eiserne Konstitution, die den Leiden der NS-Haft wie den Strapazen im Umgang mit den Besatzungsmächten getrotzt hatte, mußte dem Gang der Jahre schwere Tribute zollen. Ihre Belastung mit einem Wahlkampf wäre nur schwer zu verantworten. Außerdem: Niemand nimmt das Risiko, „Zählkandidat“ zu sein, gerne in Kauf.

Zwar ist die gegenwärtige Kondition der SPÖ wahrhaftig nicht die beste, aber darf die Volkspartei auf einen Durchbruchssieg, der das auch vom Wähler immer wieder bestätigte Gleichgewicht — „schwarzer“ Kanzler, „roter“ Bundespräsident — ernstlich hoffen? Ja, es gibt sogar Auguren, denen der möglicherweise zu zahlende1 Preis für die Eroberung der Bundespräsidentschaft durch die ÖVP als zu hoch erschiene. Könnte es doch bei den nächsten Nationalratswahlen zu einem „Gegenschlag“ jener Wähler kommen, die mit scheelen Augen eine Zusammenballung von zuviel Macht in einer Waagschale verfolgen.

In einer solchen Situation waren jene Stimmen verständlich, die der Meinung Ausdruck gaben, die Volkspartei sollte sich nicht erneut der Gefahr, ein unnötiges Refus zu erleiden, aussetzen. Sie sollte lieber einen gewissen Einfluß auf die Wahl des sozialistischen Kandidaten ausüben und diesem ihre Approbation nicht versagen. Manche gingen sogar so weit, und unter ihnen befanden sich auch beschworene Verteidiger des Rechtes des Bundesvolkes auf die direkte Wahl des Staatsoberhauptes, einer einmaligen Verlegung der Wahl in die Bundesversammlung das Wort zu reden.

Wenn man die Situation nüchtern prüft, wird man solche Erwägungen nicht achtlos beiseite schieben. Alle diese Überlegungen sind freilich im Augenblick, da diese Zeilen zum Satz gehen, durch die einstimmige Nominierung Dr. Alfons Gorbachs als Präsidentschaftskandidat der ÖVP in die Sphäre grundsätzlicher Überlegungen gerückt.

Ob wir es wollen oder nicht: ein erneutes Messen der Kräfte steht uns bevor. Die schönen Worte der Eintracht bei den Befreiungsfeiern werden kaum verhallt sein, da werden sich die Festredner mit fliegenden Rockschößen in die große Schlacht um den Bundespräsidenten stürzen. Eine Schlacht, die niemand zu diesem Zeitpunkt erwartet und gewollt hat.

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