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Aufmarsch in Niederösterreich

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Am 13. und 14. Juni kommen die Sozialisten des Landes unter der Enns zu ihrem Landesparteitag in St. Pölten zusammen. Der wichtigste Punkt der Tagesordnung: die Neuwahl eines Landesparteiobmannes. Nach Äußerungen sozialistischer Mandatare gibt es für die Wahl des neuen Landesparteiobmannes zwei Kandidaten: den bisherigen Chef der SPÖ Niederösterreich, den eher bescheidenen Abgeordneten zum Nationalrat Ernst Winkler (65 Jahre), und den energischen Innenminister Olah. Da der Obmann bei der SPÖ nicht vom „Parteivolk“ (von einer größeren Anzahl kleinerer Funktionäre, wie das bei der ÖVP der Fall ist) gewählt wird, sondern von den 23 Mitgliedern des Vorstandes, kommt es nun darauf an, wer von den beiden Kandidaten die meisten „Wahlmänner“ auf seiner Seite hat. Der Grund, warum Franz Olah wahrscheinlich diesmal noch nicht zum Landesparteiobmann gewählt werden wird, ist die Landtagswahl Im kommenden Herbst. Sorgenvoll bemerkte ein Freund Winklers: „Olah als Landesparteiobmann und Anwärter für den Landeshauptmann, das wäre der beste Wahlschlager für die ÖVP.“

Ruhe vor dem Sturm

Die überstürzten Aktionen des Innenministers, vor allem die Beamtenversetzungen zu Neujahr und die darauf folgende, äußerst scharfe Reaktion der Volkspartei haben in Niederösterreich ein sehr rauhes politisches Klima geschaffen. In erster Linie wurde der ÖAAB, assistiert von seinem Kampfblatt „Volkspresse“, zum Verfechter der Anti-Olah-Kampagne. Im Augenblick wird mit der politischen Munition gespart, aber es ist nur die Ruhe vor dem Sturm, der mit dem Wahlkampf im Herbst einsetzen wird.

Die Volkspartei befindet sich in Niedei-österreich heute nicht in der besten Ausgangsposition, und das Ergebnis der Landtagswahlen im Burgenland und in Salzburg wurde mit einiger Besorgnis aufgenommen. Die gegenwärtig recht starke Mehrheit der Volkspartei im Landtag (31 Mandate, SPÖ 25 Mandate — FPÖ und KPÖ sind im Regionalparlament nicht vertreten) kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die ÖVP-Hochburg Niederösterreich auch einige Risse und Sprünge aufweist.

„Trend zur SPÖ“ ist keine 9 Entschuldigung

Selbst in ÖVP-Kreisen vertritt man die Ansicht, daß die soziologische Umschichtung, die im letzten Jahrzehnt eine starke Abnahme der bäuerlichen Bevölkerung und eine nicht unbedeutende regionale Abwanderung zur Folge hatte, die SPÖ begünstigt. (Gerade die jüngste Volkszählung hat gezeigt, daß in Niederösterreich einige stark bäuerliche Bezirke unter der Abwanderung zu leiden hatten, während die Bevölkerung in den Industriezentren zunahm.) Man darf vor der Tatsache nicht die Augen verschließen, daß viele Bauernsöhne und -töchter, die in andere Berufe abwandern, der Volkspartei die Gefolgschaft kündigen. Nicht von ungefähr hat Bauern-bunddirektor Minister a. D. Ferdinand Graf erst dieser Tage eine enge Zusammenarbeit zwischen Bauernbund und ÖAAB gefordert,

Der Grund, warum so manche Bauernsöhne mit der Scholle auch die ÖVP verlassen, dürfte in erster Linie darin zu suchen sein, daß sich ihnen die Volfcspartei bisher nur im Steireranzug und mit der grünen Bauernbundfahne zeigte. Sie nehmen vielleicht noch einen sterilen Anti-sozialismus mit auf ihren neuen Arbeitsplatz, aber dieser verlor seine Zugkraft, als die Vertreter der Linken plötzlich mehr versprachen als die andern. Nur jene Bauernkinder bleiben der Volkspartei treu, für die die Volkspartei mehr ist als eine bloße Interessenvertretung. Die innerparteiliche Erziehungsarbeit der Volkspartei hat gerade in Niederösterreich noch ein weites Feld vor sich.

Der soziologische Umschichtungsprozeß ist auch ein Alarmzeichen dafür, daß man dem ÖAAB noch

mehr Beachtung als bisher zuwenden muß. In Niederösterreich hat der ÖAAB zwar in der Angestelltenschaft der Newag (landeseigene Elektrizitätsgesellschaft) und innerhalb der Landesbediensteten starke Bollwerke gebildet, in so manchen Industriebetrieben führt er aber noch ein Diasporadasein.

Trotz einiger Differenzen, die es im Spitzengremium der SPÖ von Niederösterreich um die neue Führung geben mag, haben die Sozialisten ein sehr einheitliches Ziel vor Augen, das sie mit großer Konsequenz seit Monaten verfolgen: die Beseitigung der ÖVP-Mehrheit im

niederösterreichischen Landtag. Auf dieser Marschroute liegt die große große Werbeaktion (über 14.000 neue SPÖ-Mitglieder!), liegt die in den Gemeinden abgehaltene parteiliche „Volksbefragung“ („Wo drückt Sie der Schuh?“), liegen die immer wiederkehrenden Angriffe gegen die „schwarze Personalpolitik“ im Lande unter der Enns, ganz nach dem Motto: steter Tropfen höhlt den Stein. Sogar der Vizekanzler schaltete sich kürzlich bei seiner Rundfunkansprache in die Vorwahlpropaganda ein („In Niederösterreich werden die Sozialisten als Freiwild behandelt“).

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