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Auftakt zu neuer Musica Sacra

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Im Vortragssaale der Abteilung für Kirchen- und Schulmusik der Staatsakademie für Musik ist nun die Vereinigung für katholische Kirchenmusik in Wien gegründet worden. Damit kam ein Gedanke zur Verwirklichung, der schon seit dem Ende des ersten Weltkrieges lebendig war. Der neue Verein will für die Förderung der katholischen Kirchenmusik im Geiste der Liturgie und nach den Weisungen der kirchlichen Behörden arbeiten. Sein wichtigstes Ziel ist die Erfassung und Aktivierung aller Fachleute und Laien für eine lebendige Pflege der Kirchenmusik als Gemeinschaftskunst.

Diesem Zwecke dienen auch die im Rahmen des Verbandes aufgestellten Arbeitsgemeinschaften für Chordirektoren, für Organisten, für Sänger, für Komponisten und die wissenschaftliche Sektion. Die Arbeit soll sich zunächst durch Referate, musikalische Vorträge, Mitarbeit an der Fachzeitschrift „Musica divina“ auf innerfachliche Probleme erstrecken; ferner ist an Aufführungen großen Stils gedacht, die einem Gesamt-chor der Wiener Kirchenchöre übertragen würden. Dieser Großchor wäre jedenfalls berufen, in das Wiener Musikleben eine eigene Note zu bringen. Falls sich die wirtschaftlichen Verhältnisse bessern, wird man darangehen, Werke alter und neuer österreichischer Kirchenkomponisten zu edieren, um auch auf diesem Weg einen Beitrag zur Förderung der Kirchenmusik zu leisten. Die Vereinigung tritt mit großem Eifer und kühnem Konzept auf den Plan, ihr Vorstand, Chordirektor Krieg, ist ein Bürge dafür, daß die eingeschlagene Richtung auch eingehalten wird.

Die neue Organisation will mit der Abteilung für Kirchen- und Schulmusik Hand in Hand arbeiten. Die Abteilung, die seit dem Jahre 1910 besteht, ist seither der Sammelpunkt der Wiener Kirchenmusik, der „ruhende Pol in der Erscheinungen Flucht“ geworden. Durch den Zusammenhang mit der noch vor dem ersten Weltkrieg gegründeten „S c h o 1 a austriaca“ wurde jene bemerkenswerte Verbindung aufgenommen, die in vielen Perioden der Musikgeschichte Name und Art der Musikübung wesentlich beeinflußten: aus der „Schule“ im engeren Sinn wurde eine „Schule“ im Sinne jener geistigen Beeinflussung, die ganze Gruppen von Komponisten durch die Zusammengehörigkeit, Geistes- und Wesensverwandtschaft mit Gleichgesinnten erfahren haben. Das bedeutet jedoch nicht eine stilistische Uniformierung, sondern einen freiwilligen Zusammenschluß im Zeichen der Unio mystica der katholischen Kirche. Daß das, seit Ende des ersten Weltkrieges nur mehr schwach verbundene, seit 1938 gänzlich gelöste Zusammengehörigkeitsgefühl geweckt und gefaßt werden konnte, ist das größte kirchenmusikalische Ereignis im neuen Österreich. Mit ihrem Weiterbestehen und mit ihrem Ausbau verbinden sich die Hoffnungen aller kirchenmusikalisch interessierten Kreise und das Bewußtsein, daß die „österreichische Schule“ wieder erstehen soll, daß es durch gemeinsame Arbeit möglich werden könnte, der kirchenmusikalischen Welt durch ein stolzes „Austria docet“ das zu geben, was es vom Musikland Österreich erwartet.

Stadtrat Dr. Matejka unterstrich in seiner namens der Stadt Wien gesprochenen Begrüßung die kulturelle Bedeutung der Kirchcnmusikpflege. Die im Anschluß an die Eröffnungsversammlung abgehaltene Kirchenmusiktagung dokumentierte, daß nicht die Organisation für sich, sondern in erster Linie die künstlerisch-liturgische Tat entscheidend ist.

Der „theoretische Teil“ brachte drei Referate. Professor Dr. Lecbthale- sprach über die „V o r g e s c h i c h t e der Vereinigung“ und gab ein historisch fesselndes Bild der Organisationstendenzen, von der Wiener Nicolaibrüderschaft 1288 über die Cäcilienkongregation des 18. und die sich zum Teil überschneidenden Richtungen des 19. Jahrhunderts bis zur gegenwärtigen Lage. Ideelle und materielle Forderungen müssen dabei auseinandergehalten werden; für letztere sind die sozialen Gewerkschaften da, für erstere die Fachvereinigungen. Landesinspektionsrat K. B. Jindracek sprach über „Kirchenmusik und Volksbild u n g“. Die Kirchenmusik sei nicht nur vom künstlerischen Standpunkt aus zu betrachten, sei also keine rein intellektuell-esoterische Angelegenheit der Fachleute, vielmehr mit sozialen und pädagogischen Problemen eng verquickt. Mit Betonung sagte der Referent: „Die Kirche ist heute der einzige Ort, in welchem noch ein richtiger , Volksgesang' gepflegt wird. Deshalb kommt der Kirchenmusik auch im Rahmen der allgemeinen Volksbildung eine besondere Bedeutung zu.“ Professor Dr. Ernst T i 11 e 1 behandelte in seinem Referat „Die gegenwärtige Lage der Kirchenmusik in Wien“ die kirchenmusikalischen Zeitverhältnisse unserer Stadt, der zweitgrößten katholischen Stadt der Welt. Er wies schonungslos die Schwierigkeiten von heute auf, unterstrich den Opfersinn und den Idealismus der Wiener Kirchenmusiker und zeigte die großen Aufgaben, die der Kirchenmusik heute harren: Wiederaufbau der Kirchenchöre, Auffüllung der leeren Archive, Forderung nach Ausgestaltung der „Geistlichen Stunde“ der Ravag Wien, das schwierige Wiener Orgelproblem usw. In der Synthese von liturgischem Empfinden und künstlerischem Gewissen liegt die Zukunft der Kirchenmusik, wobei eine Verschmelzung des bewährten Alten mit dem forschenden Neuen für die Kirchenmusik zu fordern wäre. Chordirektor Krieg faßte in seinem Schlußwort nochmals die Aufgaben und Ziele des Verbandes zusammen und unterstrich die Rolle, welche die zeitgenössische Musik dabei zu spielen hat. Albertus *

Der Döblinger Kirchenchor brachte unter der Leitung von Franz Krieg die 1931 preisgekrönte Missa „G audens gau-d e b o“ von Josef Lech thaler, umrahmt von musterhaft vorgetragenen Gesängen der Akademie-Choralschola unter Professor Dr. K o s c h zur Aufführung. Das ganz im gregorianischen Choral fußende Werk für vierstimmig gemischten A-cappella-Chor ist nach Haltung und Gestaltung kompromißlos und in diesem Sinne keine „Gebrauchsmusik“. Jede Stimme entwickelt sich in choralischer Weise nach eigenen Gesetzen, dabei doch den „sozialen Zusammenhang“ wahrend. Der klangliche Eindruck ist ungewöhnlich und neu. Deshalb stellte der Chor das Werk nach Jahren wieder einmal zur Diskussion. Die technischen Schwierigkeiten der Messe sind so ungewöhnlich groß, daß das Werk bisher in Wien nur einmal aufgeführt wurde. Die Leistung des Leiters und der kleinen Sängerschar verdient volle Anerkennung.

Im zweiten Konzert wurde zeitgenössische geistliche Kirchenmusik von etwa zehn verschiedenen Autoren dargeboten. Der Bogen spannte sich von den Vertretern der älteren Generation, die die Tradition der österreichischen Musica Sacra würdig fortsetzen, bis zu den Jüngsten, die in Neuland vorstoßen. Da von jedem Komponisten nur ein Werk oder Zyklus aufgeführt wurde, muß sich das Urteil auf dies eine dargebotene Werk beschränken und will nicht verallgemeinernd über die Qualitäten des betreffenden Komponisten aussagen.

Hindemiths meisterliche Orgelsonate (I. Satz) wird mehr dem Stil des Instruments als dem Geiste der Kirchenmusik gerecht. Franz Brenni Kyrie aus einer Chormesse ließ aufhorchen durch die farbige Harmonik und die eigenwilligen Akzente, welche die Spannung erhöhen und den Ausdruck steigern. Die Carmina laure-taniae von Franz Krieg sind gute, neue Kirchenmusik und haben Eigenart und Stil. Die etwas spröde Begleitung durch Blasinstrumente will nicht ganz zu den Texten und dem äußeren Rahmen passen, so daß im ganzen der Eindruck einer etwas allzu objektiven, distanzierten Musik entsteht. Anton H e i 11 e r behandelt in seinem Sanctus-Benedictus die Singstimmen durchaus Instrumental. Ob er keine ungebrochenen Linien will oder gestalten kann, vermochte man nach dieser Probe nicht zu beurteilen. Von Max Haagers drei geistlichen Kanons ist vor allem der letzte kompositorisch interessant. Der Chorsatz von Friedrich W i 1 d g a n s nach einem Text von Abraham a Sancta Clara hat eine einheitliche, sehr intensive Stimmung, die ergreift. Er mag dem Hörer leichter zugänglich sein, als den Ausführenden. Ernst T i 11 e 1 s mystisches Tryptichon, eine inhaltsreiche und interessante Komposition, streift mit dem zweiten Teil die Grenzen des weltlichen Konzertliedes (wozu der expressive Text Rilkes verführt haben mag). Joseph M e ß n e r s Ave verum für A-cappella-Chor, fast ein wenig konventionell, klingt gut und singt sich wohl noch besser. Interessanter war Weißenbäcks „Vor der Wandlung“ in einer sehr geschickten, materialgerechten achtstimmigen Bearbeitung von Reinhold Schmid.

Besonders hervorzuheben ist die Leistung des Akademiechors, verstärkt durch den Schulchor der Abteilung, der im Laufe einer kurzen Stunde so verschiedenen Stilen und Künstlerpersönlichkeiten gerecht werden mußte. Rein intonierend, beweglich, rhythmisch exakt und vor allem auch auf die Wiedergabe dynamischer Feinheiten bedacht, legte er ein schönes Zeugnis für die gründliche künstlerische und stimmbildnerische Arbeit seines Leiters, Professor Doktor Schmid, und der Staatsakademie ab.

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