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Aus Stalins Schule

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Am 20. August 1940 erschlug Jacques Mornard im Auftrage der NKWD Leo Trotzki, den nach Lenin bedeutendsten Führer der russischen Oktoberrevolution. Der Mord geschah in einer Villa in Mexiko, die Präsident Cardenas dem Flüchtling Trotzki zur Verfügung gestellt hatte. Er vollzog sich nach einem exakt vorbereiteten Plan und offenbart das weitverzweigte Netz des sowjetischen Geheimdienstes. Es gehört zwar zum guten Ton eines Teil der internationalen Intelligenz, bei solchen Erscheinungen, die Augen zu schließen oder sie überhaupt wegzudis-kutieren, doch sind die diktatorischen Heilsehren immanent. Weltrevolution, Weltverschwörung, politischer Mord und.Sabotage gehören zusammen.

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Am 20. August 1940 erschlug Jacques Mornard im Auftrage der NKWD Leo Trotzki, den nach Lenin bedeutendsten Führer der russischen Oktoberrevolution. Der Mord geschah in einer Villa in Mexiko, die Präsident Cardenas dem Flüchtling Trotzki zur Verfügung gestellt hatte. Er vollzog sich nach einem exakt vorbereiteten Plan und offenbart das weitverzweigte Netz des sowjetischen Geheimdienstes. Es gehört zwar zum guten Ton eines Teil der internationalen Intelligenz, bei solchen Erscheinungen, die Augen zu schließen oder sie überhaupt wegzudis-kutieren, doch sind die diktatorischen Heilsehren immanent. Weltrevolution, Weltverschwörung, politischer Mord und.Sabotage gehören zusammen.

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Isaac Don Levine bringt in seinem Buch auch das Ergebnis der Untersuchung, die an dem Mörder durch mexikanische Psychologen vorgenommen wurde. Obwohl es sich bei Mornard um einen Menschen von überdurchschnittlicher Intelligenz handelte, zeigte sich bei ihm mit erschütternder Deutlichkeit, wie sehr dieser Mann zum Werkzeug des sowjetischen Geheimdienstes geworden war und seine Persönlichkeit ausgelöscht hatte. Er wurde zu 20 Jahren Kerker verurteilt und verleugnete während dieser Zeit seine wahre Identität. Denn dieser Jacques Mornard, der sich als Belgier, Sohn eines Diplomaten und Jesuitenschüler ausgab, war in Wirklichkeit ein Spanier namens Ramon Mer-cader. Seine Mutter, Caridad Mer-cader, eine gebürtige Kubanerin, wurde nach ihrer Scheidung von Don Pablo Mercader eine leidenschaftliche Kommunistin. Aus Spanien ausgewiesen, betätigte sie sich in Frankreich und war dank ihrer geistigen Agilität und ihrer sexuellen Ausstrahlung die Freundin mehrerer französischer Kommunistenführer wie Maurice Thorez und Jacques Duclos.

Während des spanischen Bürgerkrieges kämpfte sie gegen Franco und ging ein Liebesverhältnis mit dem sowjetischen Spitzenagenten Leonid Eitingon ein, der sich in Spanien General Kutow nannte und einer der Hauptplaner des Mordes an Trotzki war. Caridad selbst erwies sich als eine der besten Agentinnen und trug auch die Hauptverantwortung dafür, daß ihr Sohn zum Mörder wurde. Später, als Ramon bereits verurteilt war, kam etwas wie Reue über sie, denn zu Enrique Castro Delgado, einem spanischen Kommunisten, der später mit der KP brach.

erklärte sie 1943 in Moskau: ...man hat uns getäuscht. Das ist nicht das Paradies, ... es ist die schlimmste Hölle.“

Ramon Mercader alias Jacques Mornard nahm gleichfalls am spanischen Bürgerkrieg gegen Franco teil und wurde politischer Kommissar im Range eines Leutnants. Anfang 1938 kam er nach Moskau und erhielt eine Spezialausbildung in Terroraktionen. Im Hauptquartier der NKWD, in der Dserschinski-Straße Nr. 2, hatte man schon die Pläne für den Mord an Trotzki vorbereitet, und Mercader mußte die umfangreichen Akten über Trotzki studieren, die sich mit dessen Lebensweise, Umgebung und Wachmannschaften befaßten. Trotzki befand sich im norwegischen Exil, als er am 24. August 1936 in einem Moskauer Schauprozeß in Abwesenheit zum Tod verurteilt wurde. Als auf Grund dieses Urteils der Botschafter des Kremls in Oslo die Ausweisung Trotzkis aus Norwegen forderte, erklärte sich der damalige norwegische Justizminister bereit, Stalins Wunsch nachzukommen. Dieser Justizminister hieß Trygve Lie, der zehn Jahre später der erste Generalsekretär der Vereinten Nationen wurde, nachdem der Sowjetdelegierte bei der UNO vorgeschlagen hatte, man möge Trygve Lie durch Akklamation zum Präsidenten der Generalversammlung wählen und damit die Forderung nach geheimer Wahl beiseiteschieben. Dem Norweger war Trotzki kein Fremder. Trygve Lie hatte 1921 Moskau besucht und nach Trotzkis Aussage mit den Komintern sympathisiert. Damals stand Trotzki an der Spitze der Roten Armee. Nun, da dieser von Stalin aus der Sowjetunion verbannt und von den Stalinschen Schergen verfolgt wurde, stand ihm Trygve Lie abweisend gegenüber und forderte Trotzki auf, eine Erklärung zu unterzeichnen, derzufolge seine Post zensuriert werden und er sich nicht über aktuelle Ereignisse äußern solle. Trotzkis Gegenvorschlag lautete, eine öffentliche Gerichtsverhandlung in Norwegen abzuhalten, damit er seine Unschuld beweisen und Stalins juristische Verschwörung aufdecken könne. Trygve Lie setzte daraufhin Trotzki und dessen Gattin in einer von 15 Polizisten bewachten Villa unter Hauarrest und erreichte damit, daß Trotzki selbst die Ausreise aus Norwegen wünschte. Mexiko wurde das letzte Asyl des Verfolgten.

Mit Trotzkis Name verband sich der Mythos der russischen Oktoberrevolution. Nach Lenin war Trotzki ohne Zweifel der wichtigste kommunistische Führer der zwanziger Jahre und bedeutete deshalb für Stalin eine Gefahr, solange er lebte. Eine ganze Abteilung im NKWD und eine ganze Gruppe von Agenten waren mit dem „Fall“ Trotzki und mit seiner Liquidierung beschäftigt Jahre hindurch wurden Trotzkis engste Mitarbeiter der Reihe nach ermordet, um den großen Revolutionsführer zu isolieren und in Panik zu versetzen. Trotzkis Villa in Mexiko glich einer Festung und war strengstens bewacht.

Deshalb kam es dem NKWD darauf an, einen Mann in Trotzkis Umgebung einzuschleusen, der das Vertrauen des Revolutionärs gewann. Mit unerhörter Gewissenhaftigkeit ging Ramon Mercader an diese Aufgabe heran. Deshalb nannte er sich Mornard, gab sich als Belgier aus und ging eine Liaison mit der Amerikanerin, Sylvia Ageloff, einer Trotzkistin, ein, die mit dem Revolutionsführer bestens bekannt war. Über sie gelang es Mornard, bei Trotzki Zutritt zu gewinnen, und so konnte er während einer Besprechung mit Trotzki diesem mit einem Eispickel den Schädel zertrümmern. Zum Glück für den Mörder begann während der gerichtlichen Untersuchungen der sowjetisch-deutsche Krieg. Aus Stalin, dem Mörder, wurde Stalin, der Befreier der Völker. Der Fall Trotzki war uninteressant geworden. Die Intelligenz, vor allem die amerikanische, nahm keine Notiz mehr davon und ließ schweigend Mornards Entschuldigung gelten, daß ihn Trotzki zum Mordanschlag gegen Stalin und zur Konterrevolution in der Sowjetunion verleiten wollte, was als blanker Unsinn gelten kann, was aber das politische Gewissen aller derer beruhigt, die an das „Ideal“ des Kommunismus glauben. Isaac Don Levine bezeichnete als das entscheidende Charakteristikum, das Mercader von den früher bekannten Typen politischer Mörder trennt, die Tatsache, daß „das Individuum in ihm total ausgelöscht und in einer riesigen Organisation, dem Sowjetstaat, aufgegangen ist. Er ist nicht das Produkt einer feurigen oder visionären geheimen Gesellschaft von Utopisten, sondern von Stalins harter Mörderschule, in der eine Generation von Soldaten für die kommende kommunistische Weltrevolution herangezogen wurde...

Den Schlüssel zu Mercader findet man in dem besonderen Charakter dieser Organisation, in die er auf Lebenszeit eingetreten ist. Die Sowjetmacht ist ein Amalgan aus weltlichem Staat und politscher Religion. Sie hat den Charakter eines militärischen Ordens, wo Regierungsbehörden und die Priesterschaft der kommunistischen Partei ein und dieselbe höchste Quelle des Glaubens und der Kraft darstellen. Mercader wurde zum Mörder, sowohl als Diener jener Regierung wie als Missionar seines kommunistischen Glaubens und brauchte daher keine Erlösung. Die Verhaltensnorm eines Kremlhörigen schreibt vor, daß Moral ein bürgerliches Vorurteil, Menschlichkeit gemäß der materialistischen Vorstellung vom Dasein ein abstrakter Begriff und Mord ein rein mechanischer Vorgang ist. Für ihn sind alle ewigen Fragen ein für allemal durch die Wissenschaft des Marxismus-Leninismus gelöst

Nach zwanzig Jahren, am 6. Mai 1960, wurde Mercarder aus dem Gefängnis entlassen und reiste mit einem diplomatischen Paß der Tschechoslowakei nach Prag. Hier entschwand er dem Blickpunkt der Öffentlichkeit. Der „infamste Mörder unseres Jahrhunderts“, wie ihn die New York Times nannte, geriet in Vergessenheit. Viktor Reimann

Von Isaac Don Levine: DIE PSYCHE DES MÖRDERS. Der Mann, der Trotzki tötete. Europa-Verlag, Wien—Frankfurt—Zürich 1970. S 148.—.

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