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Ausbürgerungen aufgehoben

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Als sich die Verhältnisse einigermaßen konsolidiert hatten, setzten Nachforschungen und Suchaktionen nach Verwandten und Angehörigen ein. In vielen Fällen stellte sich heraus, daß nahe Angehörige in den Oststaaten zurückgeblieben waren. Nun setzten Bemühungen ein, diesen Personen die Auswanderung im Weg der Familienzusammenführung zu ermöglichen. Das gelang aber nur zum Teil, denn inzwischen hatten die Oststaaten die Kollektivausbürgerungen aufgehoben und die verbliebenen Deutschen wieder zu Staatsbürgern erklärt. Daher gab und gibt es für die Bundesrepublik Deutschland oder für die österreichischen Diplomaten keine Interventionsmöglichkeifen. Wollten alte Leute aüswan- dem, wurde die Zustimmung erteilt. Handelte es sich bei den Auswanderungsbewerbern um jüngere Men- sthen, gab es keine Genehmigung, auch wenn es sich um Familienzusammenführung im engsten Sinn des Wortes handelte.

Tschechischer Frühling auch für Rückwanderer

Es gab allerdings auch andere Fälle. Wollte und will jemand aus einem Oststaat auswandern, wird zunächst ein Ersatz der Berufsausbildungskosten gefordert, die dem Staat erwachsen sind. Die Beträge sind nicht gerade klein. Zum anderen verlangt man eine sehr hohe Gebühr für die Entlassung aus dem Staatsverband, und außerdem müssen die betreffenden Personen auf alle erworbenen Rechte, etwa auf dem Gebiet der Sozialversicherung, verzichten. Hier will man offenbar t chon jetzt Vorbeugen, wenn es einmal zum Abschluß von Gegenseitigkeitsabkommen in Sozialversicherungsfragen kommen sollte, denn die verlangte und gegebene Verzichtserklärung würde nämlich dazu führen, daß die in den Oststaaten erworbenen Sozialversicherungszeiten später nicht anerkannt werden. Realbesitz darf nicht verkauft oder Verwandten übertragen werden, sondern verfällt zugunsten des Staates.

Die heute noch im Osten und Südosten lebenden Deutschen stehen daher unter einem erheblichen Druck. Sie möchten einerseits zu ihren im Westen lebenden Angehörigen auswandem, können aber andererseits in den meisten Fällen den geforderten Preis nicht aufbringen. Eine freie Entscheidung ist für sie aber auf keine Fall möglich, denn selbst wenn sie die Gebühren entrichten und die geforderten Verzichte leisten, hängt es immer noch vom guten Willen der örtlich zuständigen Behörden ab, ob ihnen schließlich die Auswanderungsgenehmigung erteilt wird.

Kürzlich kamen aus der CSSR interessante Nachrichten, wo noch rund 150.000 Sudetendeutsche leben, die nach Kriegsende im Land verbleiben durften. Als sie in den späteren Jahren auswandem wollten, war es zu spät, denn sie waren rechtlich wieder zu tschechoslowakisthen Staatsbürgern geworden. Ein maßgebender Mann der Prager Regierung erklärte, die CSSR sei an einer Familienzusammenführung interessiert, und im Ausland lebende Deutsche könnten zu ihren Familien zurückkehren. Man brauchte Arbeitskräfte für den Wiederaufbau und würde den Rückwanderern entsprechende Kredite zur Verfügung stellen. Eine weitere Passage in der erwähnten Rede ließ auf horchen: man könne die deutsche Staatsbürgerschaft beibehalten und sich deutsche Renten und Pensionen überweisen lassen. Sollte es dabei weniger um menschliche und soziale Maßnahmen, sondern in erster Linie um harte Devisen gehen?

Weitere Äußerungen zu diesem Thema und vor allem konkrete Maßnahmen hat es seither nicht gegeben. Vielleicht hat es sich also nur um einen Versuchsballon gehandelt, um die Reaktion der Betroffenen zu erkunden. Daß es keinen Enthusiasmus für die angebotene Rückkehrmöglichkeit gibt, muß man verstehen, denn die Unsicherheitsfaktoren sind zu groß. Auf keinen Fall aber wird es seitens der Regierungen der jetzigen Heimatländer einen Druck auf die Verfemten von gestern geben. Wer zu einem möglichen Zeitpunkt zurückkehren will, wird dies aus eigenem Entschluß tun müssen. Das ist der Unterschied zwischen den Auswanderungswilligen im Osten und den möglichen Rückwanderern im Westen.

Aber noch eine Tatsache darf nicht übersehen werden. Nach Kriegsende wurden im Osten und Südosten Kol- lektivurteile über ganze Volksgruppen gefällt, die man generell als „Volksfeinde“ und „Kriegsverbrecher“ geißelte. Soll es aber zu einer dauerhaften Verständigung und zu einer fruchtbaren Begegnung der Najhbarn von gestern kommen, dann ist eine Rehabilitierung der kollektiv Verfemten die erste Voraussetzung, denn Unholde und Missetäter hat es nicht nur auf einer Seite gegeben.

Die Rede des Prager Regierungsfunktionärs verdient Beachtung und Aufmerksamkeit. Sie kann ein Versuch zur Bewältigung der Vergangenheit sein, denn zwischen den Völkern stehen die Vertriebenen von 1945, die allerdings auch ihrerseits immer wieder erklärt haben, daß sie Haß und Rache ablehnen. Was gestern war, läßt sich nicht morgen im alten Zustand wiederherstellen. Wenn aber eine echte Gesprächsbereitschaft auf beiden Seiten vorhanden ist, werden sich Wunden heilen und Gegensätze überbrücken lassen. Das setzt aber voraus, daß beide Seiten den Mut zu einem ehrlichen nostra culpa haben, das stellvertretend für Väter und Großväter von der heutigen Generation gesprochen werden muß.

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