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Ausgleich ohne Klärung

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Am 13. März 1867 vereidigte Kaiser Franz Joseph das erste ungarische Ministerium unter dem Vorsitz des späteren Außenministers Graf Julius Andrässy; am 8. Juni ließ er sich, nicht in der alten Krönungsstadt Preßburg, sondern in Budapest, krönen. Damit war jener ungewöhnliche Staatsakt, den die Geschichte als „Ausgleich mit Ungarn“ kennt, nach zweijährigen oder, wenn man will, nach siebenjährigen Erörterungen endgültig zum Abschluß gelangt — wie es schien.

Ehe wir diese letzte Form, die der habsburgisch-österreichische Reichsund Raumgedanke annahm, in ihrer Bedeutung und ihren Wirkungen beurteilen könnein, müssen wir diesen Ausgleich zuerst geschichtlich verstehen. Vor allem drängt sich die Erkenntnis auf, daß der Ausgleich nur als Konzession an das liberal-nationalistische Staatsdenken des 19. Jahrhunderts zu verstehen ist. Alle begreiflichen Versuche, dieser Politik gewissermaßen eine höhere geschichtliche Weihe zu geben, indem man sie mit der früheren ungarischen Sonderstellung verglich, leiden an einem grundlegenden Irrtum: die österreichische Staatlichkeit vor 1848 war nicht auf Grund ednes Verfassungsrechtes, sondern auf Grund eines Verwaltungsrechtes organisiert und besaß daher soviel Geschmeidigkeit, jenen Ländern, in denen die Macht des ständischen Adels nicht gebrochen werden konnte, eine ausreichende Autonomie ziu geben. Die letzte Prägung des fürstlich-ständischen Altösterreich wurde von Maria Theresia geformt. Die böhmisch-österreichischen Länder, seit 1772 und 1775 mit Einschluß Galiziens und der Bukowina, wurden fast absolutistisch regiert und bildeten den festen Kern des Gesamtreiches, umgeben von noch im wesentlichen aristokratisch-ständisch bestimmten Außengebieten: von Ungarn, von seinen damals weitgehend selbständigen Nebeniändem Kroatien-Slawonien und Siebenbürgen, von Belgien und dem Herzogtum Mailand. Alle diese Gebiete teilten mdit dem Gesamtstaat lediglich den Herrscher und die Kompetenzen der Außenpolitik und des Heerwesens. In allen anderen Belangen waren sie völlig autonom und regierten sich selbst. Von einer „Fremdherrschaft“, wie sie etwa von der nationalistischen ungarischen Geschichtsschreibung behauptet wird, konnte keine Rede sein.

Das Jahr 1848

Die Revolution von 1848 bedeutete hierin eine entscheidende Wende. Die aus selbständigen Ländern bestehende, von fürstlichen Verwaltungsbehörden zusammengehaltene Monarchie sah sich dem liberalnationalen Programm gegenüber, das zugleich parlamentarische Einrichtungen und politische Geltung für die Sprachnationen forderte. Den teils länder- teils nationalföderali-stischen Strömungen im Westen des Reiches, die jedoch, abgesehen von Lombardo-Venezien, keinen staatsfeindlichen Charakter hatten, stand der fast völlige Abfall Ungarn, die ProMamierung eines auch die Nebenländer umfassenden, liberal-parlamentarisch regierten magyarischen Nationalstaates gegenüber. Die ungarische Verfassung vom 11. April 1848 beanspruchte für Ungarn auch einen eigenen Kriegs-, Außen- und Finanzminister und sollte mit Österreich nichts als die Person dies Monarchen gemeinsam haben. Diese Forderungen mußten bei der augenblicklichen Notlage der Dynastie bewilligt werden, konnten aber nicht aufrecht bleiben, wenn der Gesamtstaat nicht zu existieren aufhören sollte und wenn die Wiener Regierung die ungarischen Nicht-magyären, zusammen die Hälfte der großumgariischen Bevölkerung, bei ihrem verzweifelten Widerstand gegen die Magyärisierungspolitik der vom revolutionären Kleinadel beherrschten Budapester Regierung nicht im Stiche lassen wollte. Bereits im Sommer 1848 begannen innerhalb des Karpathenbogens die Waffen zu sprechen, aber es bedurfte eines regelrechten Krieges und russischer Unterstützung, um Umgarn wieder zu unterwerfen.

Der Weg zum Ausgleich

Es folgte die von 1849 bis 1860 reichende Epoche des „Neuabsolutismus.“ Obgleich im März 1849 eine Gesamtreichsverfassung oktroyiert worden war und die ungarische Verfassung darin als Landesverfassung anerkannt war, weigerten sich die Magyaren mit einer in der Geschichte beispiellosen Konsequenz, die neuen Verhältnisse anzuerkennen und trugen gerade dadurch erheblich dazu bei, daß die Reichsverfassung aufgehoben und die Monarchie ein Jahrzehnt lang absolut regiert wurde. Auch über diese Epoche gibt es hartnäckige Legenden, die berichtigt werden sollten. Der harte Polizeidruck auf Ungarn wie auf den andern Ländern war gewiß Tatsache, aber es ist nicht wahr, daß Ungarn damals völlig von Fremden regiert oder daß seine Eigenart bekämpft worden wäre. Wohl wurde die Verwaltung österreichischen Normen teilweise angeglichen, das Land in fünf große Distrikte geteilt und den Komitatsbehörden die Funktionen österreichischer Kreisregierumgen gegeben. Aber die große Mehrzahl der Beamten waren Ungarn, freilich nicht mehr ausschließlich Magyaren, und die Rechte der einzelnen Nationalitäten wurden von der Regierung so peinlich genau geachtet wie niemals vorher oder nachher, ganz abigesehen davon, daß die ungarischen Länder reichen Anteil an den Erfolgen einer sauberen Verwaltung und eines erheblichen wirtschaftlichen Aufschwunges hatten.

Die liberale Bewegung blieb jedoch in der ganzen Monarchie lebendig, und eine unglückliche außenpolitische Ereignisreihe, vor allem der verlorene Krieg gegen Frankreich und Sardinien von 1859, zwang zur Rückkehr zum Konstitutionalismus. Kaiser Franz Joseph, der die Entwicklung in der Hand zu behalten wünschte, gelangte zunächst zu einer „Reichsrat“ genannten Versammlung von Ernannten und Vertretern der Landtage, die sich im Sinne eines konservativen Föderalismus auf die Budgetbewilligung und die Beteiligung an der allgemeinen Gesetzgebung beschränken sollte. Schon vor der Verkündung dieses „Oktoberdiploms“ vom 20. Oktober 1860 war die alte ungarische Verfassung wieder in Kraft gesetzt worden. Dennoch brachte der geschlossene Widerstand der Magyaren, welche der am Oktoberdiplom beteiligten altkonservativen Partei eine vernichtende Niederlage bereiteten, diese skizzenhafte Verfassung ebenso zu Fall, wie ihre liberale Erweiterung zum Zweikammerparlament mit voller Gesetzgebung und Miweiser Beteiligung der ungarischen Abgeordneten im „Februarpatent“ von 1861.

Die Verfassung von 1861 konnte nur in den österreichischen Ländern wirksam werden, in Ungarn kam es zum organisierten Widerstand gegen die Staatsgewalt und zu einem weitreichenden Steuerstreik. Da sich die in diesen entscheidungsvollen Jahren tätigen Gesamtstaatsregierungen — das liberale Kabinett Schmerling und das konservative Kabinett Bel-oredii — nicht entschließen konnten, den ungarischen Nichtmagyären eigene Länder einzurichten und Kroatien die geforderte Sonderstellung zu geben, vermochte man den ungarischen Widerstand nicht zu brechen. Wieder unter außenpolitischem Druck — der Zusammenstoß mit Preußen kündigte sich an — näherte sich der Kaiser den Magyaren. Das Kabinett BSlcredi siatierte die Februarverfassung bis zum Ausgleich mit Ungarn (20. September 1865), nachdem es bereits vorher Siebenbürgen den Ungarn überlassen hatte. Der Kaiser selbst begann Verhandlungen mit den von

Franz Deäk und Graf Julius Andrässy geführten ungarischen Liberalen, kam jedoch zunächst nicht weiter, weil die Ungarn völlige Anerkennung der Aprilverfassung von 1848, also reine Personalunion, forderten, was der Monarch unbedingt ablehnte. Es war sicher ein Verdienst Deäks, daß er durch seine barühmten „Osterartikel“ im „Pesti Näplo“ das Vorhandensein gemeinsamer Angelegenheiten anerkannte und so die Verhandlungen wieder in Bewegung brachte. Freilich war seine pathetische Aufforderung an den Monarchen, Ungarn freigebiges Vertrauen entgegenzubringen, ein schwer erfüllbarer Wunsch, denn als der Kaiser im Dezember 1865, nach Eröffnung des ungarischen Reichstages, das Oktoberddplom und das Februarpatent zur Genehmigung vorlegte, wurden beide Urkunden als „Vernichtung der Selbständigkeit Ungarns“ abgelehnt und neuerlich die bedingungslose Annahme der Verfassung von 1848 gefordert.

Vertrag zwischen Krone und Ungarn

Der Kaiser, wie immer ein zäher und gewandter Verhandlungspartner, betonte daraufhin, er könne weder einen Palatin, also einen Statthalter mit allen königlichen Rechten, noch eine parlamentarisch gewählte Regierung annehmen. Dadurch erreichte er die Bildung eines Verhandlungsausschusses von 67 Mitgliedern beider Häuser, der selbst wieder ein Arbeitskomitee aus seiner Mitte wählte. Dieses legte dem Kaiser am 25. Juni 1866, drei Tage nachdem die ersten Preußen die böhmische Grenze überschritten hatten, seinen Vertragsentwurf vor. Sein Sachinhalt ist nahezu derselbe wie in der schließlichen Vereinbarung. Es handelt sich vor allem nicht um einen Vertrag zwischen Österreich und Ungarn, sondern zwischen der Krone und Ungarn. Österreich war als solches nicht vertreten, da seine Verfassung ja siistSert war. Es sollte zwei Regierungen und zwei Parlamente geben. Als gemeinsame Angelegenheiten galten nur Kriegswesen ohne Rekrutenbewilligung, Außenpolitik und gemeinsame Finanzen, ferner ein „Zoll- und

Ungarn im Vorteil

Lediglich eine etwas bessere Fassung für die Befugnisse der gemeinsamen Minister war erreicht, als die Verhandlungen im Februar 1867 endeten. Das Ergebnis war ein Vertragsverhältnis, dessen juristische Definition stets Schwierigkeiten gemacht hat. Die Bezeichnungen „die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder“ und „die Länder der ungarischen Krone“ zeigen, daß man immer noch an einer ungarischen Ausnahmestellung innerhalb, nicht außerhalb eines österreichischen Gesamtstaates festhielt. Aber es war nur Sachgemäß, wenn sich etwas später der Ausdruck „die beiden Staaten der Monarchie“ einbürgerte, Staaten, für die, wie Graf Crenmevüle 40 Jahre später schrieb, nicht die Politik selbst, sondern einige ihrer Mittel gemeinsam waren. Jedenfalls mußte ein faktischer Bundesstaat mit nur zwei Mitgliedern unter allen Umständen problematisch sein, besonders jedoch dann, wenn die Vorteile der Verbindung so sehr auf ungarischer Seite lagen, wie es hier der Fall war. Die Ungarn haben die Außenpolitik des

Handelshündmiis“ mit gemeinsamer Zollgrenze, aber getrennten Zolleinnahmen. Die gemeinsamen Angelegenheiten sollten durch vom Kaiser ernannte Minister vertreten werden und Delegationen der beiden Parlamente, je 20 aus den Oberhäusern, je 40 aus den Abgeordnetenhäusern, sollten in räumlich getrennten Sitzungen am gleichen Orte das gemeinsame Budget beraten und bewilligen. Die Gesetzgebung in gemeinsamen Angelegenheiten stand den Delegationen jedoch nicht zu, sie mußte durch gleichlautende Beschlüsse der beiden Parlamente durchgeführt werden. Dagegen war es Aufgabe der Delegationen, die sogenannte Quote, also die Beiträge der beiden Reichshälften zum gemeinsamen Budget, alle zehn Jahre neu festzusetzen. Vergeblich versuchten der Kaiser und sein neuer Außenminister, Graf Beust, ein gemeinsames Gesetzgebungsorgan durchzusetzen.

Gesamtstaaltes weitgehend beherrscht, jeden Versuch, die slawischen Nationalitäten Österreichs durch FöderaJlsierung zu befriedigen, durch juristisch formulierte Einsprüche verhindert, zugleich aber auch jeden Versuch Österreichs, ihre eigene Magyärisierungspolitik auch nur zu kritisieren, als ausländische Einmischung zurückgewiesen.

Kompetenzerweiterungen

Darüber hinaus aber benutzten die Magyaren jede Gelegenheit, ihre Kompetenzen noch zu erweitern, angefangen von der im Ausgleich gar nicht gedeckten Errichtung der Hon-ved, die keine Landwehr, sondern eine zweite Armee war, bis zum eigenen Zolltarif und zur Forderung, das gemeinsame Heer an die beiden Staaten aufzuteilen. Wenn daher am Beginn unseres Jahrhunderts die radikale Unabhängigkeitspartei die Rückkehr zur Aprilverfassung von 1848 forderte, so handelte es sich nur um ein übereiltes Tempo zur Erreichung eines Zieles, das im Grunde allen politischen Parteien Ungarns vorschwebte.

Hätte Erfolg haben können...

Freilich hat man die Wirkung des Ausgleiches auch überschätzt. Er selbst war nicht erst die Frucht der Niederlage von 1866, sondern eher das Ergebnis augenblicklicher Schwäche der Gesamtstaatsidee. Ebenso wie früher, hat es auch in den fünf Jahrzehnten, in denen der Ausgleich rechtens war, viele Ungarn gegeben, die an der Dynastie und am Gesamtstaat treu festhielten und dadurch wahrscheinlich noch größeres Unheil verhüteten. Der selbständige ungarische Adelsstaat hat die beispielgebende, vor allem von konservativen Kräfteh durchgeführte Sozialgesetzgebung in Österreich nicht verhindert und vermochte die hoffnungsvollen Anfänge des länderweisen nationalen Ausgleichs, wie er in Mähren, Galizien und der Bukowina gelang, nicht zu stören. Taktvoll angewandt, hätte der Ausgleich den Erfolg tatsächlich haben können, der ihm zu unrecht immer wieder bescheinigt worden ist. In Wirklichkeit aber stellte er vor allem eine Hoffnung und eineh Angriffspunkt für alle äußeren Feinde der Monarchie dar und hemmte, trotz aller Prachtbauten in Budapest, auch die innere Entwicklung Ungarns selbst. Im Herbst 1918 wurde dem magyarischen Nationalismus die furchtbare Quittung für seine Politik vorgelegt!

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