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Aussöhnung in Sicht?

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Bei vertraulichen Gesprächen in Hauptstädten der Freien Welt wird oftmals versucht, das deutsche Drängen auf Unterstützung von Wiedervereinigungsinitiativen abzufangen mit der Frage, was wir denn räumlich unter dem wiedervereinigten Deutschland verstünden und wie es mit der östlichen Grenze dieses Gesamtdeutschland bestellt sei: Ohne Klarheit insoweit könne man doch nicht wirklich initiativ werden. Man müsse das Endziel vorher kennen, und es sei doch wohl nicht zuzumuten, ein Gespräch mit Moskau über Deutschland zu beginnen, bei dem es keine Antworten für die zweite Gesprächsrunde gäbe. Es komme hinzu, daß man doch in den Konferenzen zu Kriegsende verbindlich die Absicht auf eine Veränderung der deutschen Ostgrenzen gegenüber 1937 erklärt habe.

Die Erörterung dieses Komplexes ist sete geeignet, deutlich zu machen, in welchem Geist das deutsche Volk seine Zukunft gestaltet wissen

will. Die Rechtslage ist klar: Die USA, Großbritannien und die Sowjetunion einigten sich im Potsdamer Abkommen vom Sommer 1945 auf das „Fortbestehen Deutschlands in den Grenzen von 1937“. Sie bekräftigten die Auffassung, daß „die endgültige Festlegung der Westgrenze Polens bis zur Friedenskonferenz zurückgestellt werden solle“. Sie stimmten darin überein, daß die deutschen Gebiete jenseits von Oder und Neiße — etwa ein Viertel des Reichsgebiets — „unter die Verwaltung des polnischen Staates kommen und in dieser Hinsicht nicht als Teil der sowjetischen Besatzungszone in Deutschland betrachtet werden sollen“. Frankreich trat dem Potsdamer Abkommen noch im August 1945 bei. Die Sowjetunion hat das Abkommen nie gekündigt, hat oft dagegen verstoßen, sich zugleich aber offiziell auf seine fortwährende Gültigkeit berufen.

Im Deutschlandvertrag haben sich die Westmächte gemeinsam mit der

Bundesrepublik Deutschland wie folgt verpflichtet: Artikel 7 des Vertrages lautet:

1. Die Unterzeichnerstaaten sind darüber einig, daß ein wesentliches Ziel ihrer gemeinsamen Politik eine zwischen Deutschland und seinen ehemaligen Gegnern frei vereinbarte friedensvertragliche Regelung

für ganz Deutschland ist, welche die Grundlage für einen dauerhaften Frieden bilden soll. Sie sind weiterhin darüber einig, daß die endgültige Festlegung der Grenzen Deutschlands bis zu dieser Regelung aufgeschoben werden muß.

2. Bis zum Abschluß der friedensvertraglichen Regelung werden die Unterzeichnerstaaten Zusammenwirken, um mit friedlichen Mitteln ihr gemeinsames Ziel zu verwirklichen: Ein wiedervereinigtes Deutschland, das eine freiheitlich-demokratische Verfassung, ähnlich wie die Bundesrepublik, besitzt und in die europäische Gemeinschaft integriert ist.

3. (gestrichen).

4. Die drei Mächte werden die Bundesrepublik in allen Angelegenheiten konsultieren, welche die Ausübung ihrer Rechte in bezug auf Deutschland als Ganzes berühren.

Ganz unabhängig davon, wie diejenigen über eine endgültige rechtliche Regelung denken, deren Wort bei einer Friedenskonferenz Gewicht hat, gilt der Grundsatz des Potsdamer Abkommens: Regelung in einem Friedensvertrag. Wie ist nun das Drängen nach einer sofortigen Anerkennung der Oder-Neiße-Linie durch die Bundesrepublik zu sehen?

Die Regierung der Bundesrepublik Deutschland kann eine rechtlich gültige'Anerkennung dieser Grenzlinie gar nicht aussprechen. Dies kann nur der deutsche Partner, der mit den übrigen Beteiligten seine Unterschrift unter einen Friedensvertrag mit Deutschland setzt.

Erstaunlich ist vor allem, daß gerade diejenigen, die von uns die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie strikt fordern, die „DDR“ als einen souveränen deutschen Staat anerkannt haben,, so daß die Bundesrepublik nicht zur Anerkennung eigener Grenzen, sondern derjenigen zwischen zwei anderen Staaten aufgefordert wird. An diesem Wider- Spruch wird deutlich, worum es bei dieser Forderung eigentlich geht: Im rechtlich unerlaubten Vorgriff auf die Erfüllung des Potsdamer Abkommens sollen jene Teile des Abkommens politisch-faktisch konsumiert werden, die der einen Seite bei einer Friedenskonferenz den Beweis der Kompromißbereitschaft abverlangen könnten, um schließlich mit einem solchermaßen „bereinigten“ Restbestand der Potsdamer Vereinbarungen die übrigen Teilnehmer ungeniert zur Kasse bitten zu können.

Die deutschen Kommunisten haben in dieser Frage Kür und Pflicht bereits hinter sich: Nachdem ihr Führer Pieck noch 1946 öffentlich eine Revision der Oder-Neiße-Linie forderte, schloß Ost-Berlin 1950, kaum nach Ausrufung der „DDR“, ein Abkommen mit Warschau über die Endgültigkeit dieser „Friedensgrenze“ ab.

Die politisch verantwortlichen Kräfte der Bundesrepublik, die Parteien, der Deutsche Bundestag, die Bundesregierung, nicht zuletzt die Vertriebenen haben sich in ihren Stellungnahmen von anderem, besserem Geiste leiten lassen. Was von deutscher Seite aus zum Oder-Neiße- Problem gesagt worden ist, läßt sich folgendermaßen zusammenfassen: Wir halten am Heimatrecht der Vertriebenen und an der notwendigen Regelung in einem Friedensvertrag fest. Der Weg der Gewalt zur Lösung dieses Problems scheidet aus. Wir wissen, daß unser Verhältnis zu Polen historisch belastet ist durch Hitlers Krieg. Wir wollen mit allen Kräften die Aussöhnung mit unserem östlichen Nachbarn Polen, wie wir den Unsinn der „Erbfeindschaft" zu Frankreich in einer vom ganzen Volk bejahten Freundschaft überwunden haben.

Hinsichtlich einer künftigen Regelung mit Polen sind wir uns darüber klar, daß das Unrecht der Austreibung nicht durch neues Unrecht ersetzt werden kann und darf. Soweit wir befugt sind, im Hinblick auf endgültige Regelungen Absichten zu äußern;1 häböfi'Wir 'erklärtF'nür LÖUO sungen anzustreben, die von Polen und Deutschen bejaht werden." R(Rr"

Wir sind bereit, in Neuland vorzustoßen. Friedlicher Ausgleich — und um den geht es — ist nur im Wege des Rechtes möglich. Es gilt, miteinander neues Recht zu schaffen. Auf diesem Wege müssen wir an den geltenden Normen festhalten und auch deren politische Erosion abwehren. Dais Kriterium des Rechtes ist -nicht sein „Verkauflswert“, sondern seine Ordnungsfunktion. Recht bedeutet und ermöglicht Ordnung ohne Gewalt. Es entsteht für Demokratien nur durch mehrheitliche Zustimmung der Beteiligten. Der Weg zur Friedensordnung beginnt mit dem gegenseitigen Verzicht auf Gewalt, und er hat sein Ziel in einer Ordnung, die durch neues Recht mit Zustimmung der Beteiligten einen Frieden garantiert, den alle als dauerhaft und gerecht empfinden.

Dieser sehr gerafft dargestellten deutschen Auffassung wird kein gerecht Denkender seinen Respekt versagen. Diese erstaunlich disziplinierte Gesinnung und politische Leistung der Bundesrepublik Deutschland, vor allem aber der Vertriebenen darf als ein europäisches Ereignis von geschichtlichem Rang angesehen werden. 13 Millionen Menschen, die ohne persönliche Schuld ihre Heimat verloren haben, wählen nicht den Weg in Radikalisierung, Revanche und Haß.

Wir wollen nicht die Zementierung des Gegensatzes, wir wollen das Ja zu einer einvernehmlichen Regelung, ein Ja, das die Versöhnung besiegelt. Die erzwungene Lösung soll Feindschaft zum Nutzen derjenigen festigen, die auch künftig von europäischen Gegensätzen zu profitieren gedenken. Muß es nicht alle Gutwilligen hellhörig machen, wenn erklärt wird, die Anerkennung der Oder- Neiße-Linie durch die Bundesrepublik Deutschland sei wertlos, wenn wir nicht gleichzeitig das Regime in Ost-Berln als zweiten deutschen Staat 'anerkennen?

Wer die Teilung und den innerdeutschen Zwist als Preis für eine Aussöhnung fordert, offenbart, daß ihm an Aussöhnung nichts, am Gegensatz alles gelegen ist.

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