6646548-1958_27_07.jpg
Digital In Arbeit

Auswanderungsziel Nr. 1

Werbung
Werbung
Werbung

Heute steht der fünfte Erdteil in der Rangliste der Einwanderungsländer an erster Stelle. Viele Menschen erwarten sich von ihm eine bessere Zukunft, die Aelteren erhoffen sich eine gesicherte Existenz, die Jüngeren denken an eine Heimkehr mit einer gefüllten Brieftasche. Jene, die sich die Reise nach Australien selbst bezahlen, haben, einmal angekommen, die gleichen Rechte wie die Einheimischen. Diejenigen aber, deren Reisekosten zum Großteil von der austra-lischen. Regierung„getragen werden, es sind d,c meisten, müssen sich verpflichten, zwei Jahre in Australien zu arbeiten und jeden Wohnungsund Arbeitsplatzwechsel binnen einer Woche den Behörden zu melden. Die Unterlassung ist mit Strafe bedroht.

Um den hohen Lebensstandard zu wahren, verfolgt Australien die „Australien-muß-weiß-Bleiben “-Politik. „Australiens Kinder sind Australiens beste Einwanderer“ ist ein bekanntes Sprichwort. Man kann ruhig sagen, daß Set durchschnittliche Australier keine Einwanderer will, und dieser Standpunkt erklärt auch die langsame Zunahme der Bevölkerung. Um den Kontinent englisch zu erhalten, hat sich die Regierung bisher an die Regel: 50 Prozent englische und 50 Prozent nichtenglische Einwanderer gehalten. Obwohl von australischer Seite die Werbetrommel ständig gerührt wird, sind die englischen Einwanderer im Laufe der letzten Jahre immer weniger geworden. Entweder wird in der nahen Zukunft der Soll-Prozentsatz der britischen Einwanderer heruntergesetzt oder es muß die Immigrationsquote als solche um Erhebliches gedrückt werden. Immerhin, das Nach-kriegseinwanderungsprogramm führte dem Lande innerhalb von zehn Jahren 1,250.000 Menschen zu. Die Hälfte davon waren Engländer, die anderen Einwanderer aus 26 Ländern Europas. Das Land, das zu Ende des zweiten Weltkrieges rund 7,5 Millionen Einwohner zählte, wird voraussichtlich zu Anfang des Jahres 1959 die Zehnmillionengrenze erreicht haben.

In dem Barackenlager, wo die Neuaustralier zunächst landen, ist auch eine Zweigstelle des Arbeitsamtes. Bis ein ganzer Auswanderertransport mit Arbeitsstellen versehen ist, vergehen zwei bis drei Wochen. Während dieser Zeit erhält jeder eine kleine wöchentliche Arbeitslosenunterstützung (zirka 30 S). Die ersten, für die Arbeitsplätze gefunden werden, sind qualifizierte Facharbeiter, besonders englisch sprechende. Vor der Ueberfahrt wird jedem Facharbeiter zwar versprochen, daß er in Australien in seinem Fach Arbeit finden werde, aber nicht jeder australische Unternehmer meldet seinen Arbeiterbedarf beim Arbeitsamt, und so kommt es vor, daß für einige Facharbeiter im Moment kein Bedarf ist. Nach der fünfwöchigen Ueberfahrt und dem zwei- bis dreiwöchigen Aufenthalt im Lager, wozu vielleicht noch Geldnot kommt, will jeder Einwanderer so rasch wie möglich Arbeit finden. Facharbeiter, die nun in ihrem Fach nicht unterkommen, ergreifen gewöhnlich die erstbeste schlechter bezahlte Gelegenheitsarbeit und werden meist mit ungelernten Arbeitern staatlichen Betrieben zugeteilt, der Eisenbahn, Straßenbahn oder den Stahlwerken.

Für ungelernte Arbeiter ist die Arbeitsuche schwierig, weil trotz der Größe des Landes und der aufstrebenden Industrie eine gewisse Sättigung in einigen Arbeitssparten zu bemerken ist. Dazu kommt noch, daß die vorteilhafteren Arbeitsstellen schon von Australiern überfüllt sind-od nur- die schlechteren j Jobs“ den Einwanderern Verbleiben, in denen man für weniger Geld mehr leisten muß. Auch in Australien gibt es Arbeitslose und im Winter geht ihre Zahl in die Tausende. Die Gewerkschaften sind in Australien sehr mächtig, , teilweise gibt es „Closed shops“. Sie sind für die Aufrechterhaltung des hohen Lebensstandards und daher gegen die Einwanderer.

Wer Arbeit gefunden hat, kommt in die Großstädte und bezieht Quartier im Hostel. Einzelstehende Frauen und Mädchen leben in einem Frauenasyl. Die Hostels sind Holzoder Wellblechbaracken, wo je zwei Personen eines der vielen kleinen Zimmerchen bewohnen. Die Trennungswände zwischen den Zimmern sind aus dickerem Papiermache und sehr hellhörig. Für eine wöchentliche Zahlung von 5 &A (australischen Pfund) kann eine Einzelperson, egal ob erwachsen oder unter 21 Jahren, im Hostel schlafen und drei Mahlzeiten im Tag einnehmen. In einem Hostel leben Menschen von vielen Nationen, vielen Berufen und verschiedenen Gesellschaftsklassen. Es gibt Leute, die jahrelang irri Hostel leben, weil sie keine Wohnung finden, nur mit ihren Landsleuten verkehren und nie die Sprache erlernen. Und so lange ein Einwanderer im Hostel lebt, wird er kaum Land und Leute kennenlernen.

Der australische Grundlohn (Lebensminimum) für einen männlichen Arbeiter wechselt ständig und beträgt momentan zirka 7 &A pro Woche. Arbeiter unter 21 Jahren müssen für den Grundlohn oder weniges darüber arbeiten, auch wenn die Leistung der eines Erwachsenen gleichkommt oder sogar übersteigt.' Frauen haben zirka 80 Prozent des Einkommens eines Mannes. Der australische Durchschnittslohn eines erwachsenen männlichen ungelernten Arbeiters beläuft sich auf 13 bis 15 £A. Das Mindestalter zur Auswanderung nach Australien beträgt 18 Jahre, und viele jugendliche Auswanderer sind sich meistens über ihre Verdienstmöglichkeiten in Australien nicht im klaren. Es ist sehr schwer, mit einem wöchentlichen Lohn von zirka 8 &A zu leben, und ein Sparen ist bei dieser geringen Löhnung nicht möglich. Die Erfahrung zeigte, daß nur einzelstehende, erwachsene Personen im Laufe einiger Jahre die Möglichkeit haben, ein kleines Kapital zu ersparen. Familien mit mehreren Kindern können sich, wenn nicht beide Elternteile arbeiten oder der Mann nicht Schwerverdiener ist, in den meisten* Fällen nur die Heimfahrt ersparen, für die „Luftschlösser“

reicht es nie. Wenn ein Neuaustralier das Hostel verläßt, so verteuern sich die Lebenskosten für ihn erheblich. , Es ist schwierig, ein gutes Zimmer aufzutreiben, obwohl schon ein kleines Einbettzimmer 2,5 bis 4 &A in der Woche kostet und der Preis mit eventueller Einrichtung, Geräumigkeit und günstiger Lage entsprechend steigt. Familien, die das Glück haben, Wohnungen zu finden, müssen 4 bis 7 &A wöchentlich bezahlen, wozu der Vermieter noch manchmal beträchtliche Summen als ungesetzliches Schlüsselgeld fordert.

Der Automarkt Australiens ist sehr lebhaft (jeder vierte Australier besitzt ein Auto), aber neben jedem neuen Auto fährt ein „übertragener Wagen“, gekauft an einem der zahlreichen Althandelsplätze. — Die in Australien herrschende gesellschaftliche Eintönigkeit und die Tatsache, daß an Sonntagen alle Gasthäuser, Kinos, Theaters und Sportplätze geschlossen sind, verlangt ein ausgeglichenes Familienleben und ein gemütliches Heim. Dazu sind viele Anschaffungen notwendig, wie Radioapparat, Einrichtung, Kühlschrank usw., welche für lange)

Zeit die kleinen Ersparnisse der Einwanderer aufbrauchen. Viele Einwanderer: wis“seffinÄl5r. daß-es nSAuSt*alieh' nur freiwrllige-'KraiHkaa Versicherungen gibt. In jedem Chemist-Chop (Apotheke) oder direkt mit der Gesellschaft kann man jederzeit einen Versicherungsvertrag abschließen. Für jeden Auswanderer ist es von nötwendigster Wichtigkeit, die englische Sprache so schnell wie möglich zu erlernen. Schon auf dem Auswanderungsschiff beginnf'der kostenlose Englischunterricht, der dann im Hostel und überall in Australien bei einer Mindestzahl von acht Schülern in Abendklassen fortgesetzt wird. Die soziale Stellung des Neuaustraliers ist für die ersten Jahre isoliert, das heißt jedoch nicht, daß er einsam sein muß. Australien ist ein Rummelplatz der Nationen, und in jeder größeren Stadt gibt es Klubs oder Lokale, die ein Treffpunkt von Leuten einer bestimmten Nation sind. In Sydney, Melbourne und Adelaide gibt es einige deutsche Klubs, wo .man abends zusammenkommt, sich unterhält und Erfahrungen austauscht. Sogar eine deutsche Einwandererzeitung, in Australien gedruckt, bekommt man bei Zeitungsverkäufern.

Das Theater- und Opernwesen ist in Australien noch immer in den Kinderschuhen. Erst vor einigen Monaten wurde der Grundstein zu der einzigen Sydneyer Oper gelegt. Kinos sind zahlreich, und manchmal sieht man Kulturfilme über Oesterreich. Es ist erstaunlich, daß sogar manch intelligenter Australier überzeugt ist, daß man in Wien ständig in den Straßen tanze. Australien ist sehr jung, ebenso seine Kunst. In den Großstädten gibt es wohl Museen, Bildergalerien und Musikknservatorien, doch auf dem Land kann man nur dem Radio und dem klagenden Geheul der Dingos zuhören. Das Sydneyer Symphonieorchester gibt manchmal in öffentlichen Parkanlagen kostenlose Konzerte, und böse Zungen behaupten, daß man es nur tue, um überhaupt Zuhörer zu haben.

Der Entschluß zur Auswanderung muß gut überlegt werden; Australien ist ein hartes Land und man muß dort auf vieles verzichten, was man in der Heimat als selbstverständlich hinnimmt. Vor der Ueberfahrt sollte man sich im klaren sein, was man von diesem Land zu erwarten hat, das jedem Einwanderer alles abfordert, das aber auch dem, der Intelligenz, Arbeitskraft, Initiative und Geduld besitzt, den Erfolg nicht versagt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung