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Axt, gelegt an die Wurzel

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Aus mehr als einem Grunde muß die Stellung des Staates zu einem Kardinalgegenstand gesellschaftlicher Wohlfahrt, der Sozialethik und der Bevölkerungspolitik — seine Stellung zur Ehe und ihrem Schutze — die Öffentlichkeit und die gesetzgebenden Körperschaften beschäftigen. Mit der Erkenntnis der unab-weislichen Vordringlichkeit des Themas hängt es wohl auch zusammen, daß Vizekanzler Schärf in dem letzterschienenen Heft der Sozialistischen Monatsschrift für Politik und Kultur dieses Thema neuerlich anschlägt —, diesmal mit deutlich aufgesetzter Sordine und der erkennbaren Absicht, die weitere Debatte in einen sachlicheren Rahmen zu rücken. Er geht dabei von den Besprechungen aus, die schon in der ersten Zeit nach der Befreiung von führenden Vertretern des sozialistischen Lagers länderweise mit österreichischen Bischöfen aufgenommen wurden, augenscheinlich weil sie wußten, welche Bedeutung eine friedlich-einvernehmliche Gestaltung des Ehe- und auch des Schulrechtes für den gedeihlichen Neuaufbau des Staates haben würde. An erster Stelle notiert der Vizekanzler das Ergebnis einer Konferenz der Oberösterreicher, Dr. Koref, Ottenbacher und Doktor Oberhummer, mit Bischof Dr. Fließer, das zufolge einem von Dr. Oberhummer gemachten Erinnerungsvermerk die zustande gekommene Übereinstimmung in folgenden Punkten gezeigt habe:

„Die Führung der Matrikeln solle staatlich sein, such die Ehe sei als ein staatlicher Vertrag anzusehen, ,die Sozialdemokraten erkennen dabei den sakramentalen Charakter der Ehe an und haben gewiß nichts dagegen, wenn Brautleute das Bedürfnis haben, ihre Ehe vom zuständigen Pfarrer einsegnen zu lassen“; es solle keine Zahlungen des Staates an die Kirche zu Kultuszwecken geben; die Schule solle grundsätzlich staatlich sein, der Religionsunterricht in der Volksschule in den Schulräume erteilt werden; die Eltern des Kindes sollten das Recht haben, einmal zu entscheiden, ob es den Religionsunterricht besuche oder nicht; das der Kirdie von den Nationalsozialisten entzogene Gut solle zurückgestellt werden; gewisse, in der Zeit des Dritten Reiches unterdrückte katholische Unterrichtsanstalten sollten weitergeführt werden.

Gleichlaufende Besprechungen, die in Salzburg mit Fürsterzbischof Dr. Rohr-acher und in Innsbruck mit Bischof Doktor Rusch stattfanden, bewegten sich nach der vorliegenden Darstellung Vizekanzlers Schärf auf im wesentlichen ähnlichen Linien. — Wenn ihr Ergebnis heute richtig verstanden werden soll, muß man sich die für die Gesprächspartner 1945 gegebene Situation vergegenwärtigen. Die für die sozialistischen Besucher relevanten Fragen waren damals natürlicherweise: Verlangt die Kirche jetzt nach Beseitigung der Hitler-Herrschaft, die tief in die kirchliche und religiöse Rechtsphäre eingegriffen hatte, die Wiederherstellung des vorigen Rechtszustandes, Geltung der kanonischen eherechtlichen Bestimmungen für die kirchlich geschlossene katholische Ehe auch im staatlichen Bereich, also auch ihre zivilrechtliche Unauflösbarkeit, bei Zulassung der fakultativen Zivilehe, erstrebt die Kirche weiterhin die kirchliche Mafrikenführung und Ehegerichtsbarkeit? Im Räume des Schulwesens aber die Anerkennung des freien Elternrechts, die Wiederherstellung der 1938 geschlossenen katholischen Schulanstalten und des prinzipiellen Rechts, unter Beobachtung der staatlichen Unterrichtsvorschriften, die Neuerrichtung katholischer Schulanstalten anzusprechen und zu erhalten?

Während in bezug auf das Schulwesen unveränderliche Grundsätze nur eine Bejahung zuließen, lagen hinsichtlich der eherechtlichen Institutionen im rein weltlichen Sektor völlig veränderte Voraussetzungen vor: die Trennung von Kirche und Staat war vollzogen und angenommen; altüberlieferte Überschneidungen von kanonischem und weltlich-bürgerlichem Recht waren damit aus dem Gefüge gehoben. Wenn der Staat eine zivile Zeremonie bei Eheschließungen und deren staatliche Registrierung für notwendig hielt, wennschon er damit seinem Bürokratismus ungewohnte Obliegenheiten und höhere Kosten aufbürdete, so war dies seine Sache, über die er souverän bestimmen konnte. Deshalb ward von den berufenen Vertretern der Kirche hier kein Widerspruch laut; die Kirche fügte sich willig in die neugeschaffene Lage: die Trennung von Kirche und Staat. Man kann ihrer Haltung Großzügigkeit nicht absprechen.

Selbstverständlich verhieß die Trennung der Sphären auch Sicherheit gegen staatliche Eingriffe in den kircheneigenen Bereich. Unmöglich konnte in den damals geführten Besprechungen einer der Gesprächspartner zu der Meinung kommen, es sei dem Staate die Befugnis eingeräumt worden, seine katholischen Staatsbürger daran zu hindern, daß sie von dem verfassungsmäßigen Recht ihrer religiösen Freiheit Gebrauch machen und nach ihrer Zeitwahl eine kirchliche Ehe eingehen. Noch weniger konnte einem Beteiligten der abstruse Einfall kommen, daß Priester, die eine solche in freier Zeitwahl vor der staatlichen Zeremonie kirchlich geschlossene Ehe einsegnen, strafgerichtlich zu verfolgen seien. Derartige Gedankengänge waren in den damaligen Gesprächen unmöglich, in den von Vizekanzler Schärf wiedergegebenen Vermerken scheint auch nicht eine Spur davon auf. Diese Gespräche waren ein loyaler Meinungsaustausch, der auch heute bei der Interpretation den gleichen Geist der Gerechtigkeit und Billigkeit voraussetzen darf. Das heute geübte schwere Unrecht läßt eine Berufung auf jene Konferenzen nicht zu.

Aber wenn in den gegenwärtigen Auseinandersetzungen jemand vor geschehenem Widersinn und Unrecht die Augen verschließen und tun wollte, als fiele der Staatsautorität ein Stein aus der Krone, schlössen katholische Brautleute ihre Ehe vor dem Altare, bevor sie der gesetzlich standesamtlichen Zeremonie beiwohnen, so sollte sich doch jeder Freund des Volkes sagen, daß heute die Pfahlwurzel geordneter staatlicher Gesellschaft, die Ehe, nicht genug durch die stärksten moralischen Kräfte geschützt werden kann, um sie vor den sich immer mehr ausbreitenden gesellschaftlichen Morasterscheinungen zu sichern. Was in anderen Staaten bittere Erfahrung wurde, das hat auch Österreich zu kosten bekommen: im gleichen Maße, als das Eheband gelockert und gelöst wird, steigt die Zahl der leichtfertigen Eheschließungen und in der Folge die der Ehezerstörungen. Um die Jahrhundertwende zählte das alte Österreich bei einer Bevölkerung' von 26 Millionen aus allen Konfessionen zusammen jährlich nur rund tausend Ehelösungen; erst der Einfluß einer im Namen moderner Ethik eingeleiteten Propaganda ließ für alle Bekenntnisse zwischen 1901 und 1910 die Zahl der Ehelösungen jährlich auf das Doppelte bis zum Dreifachen hinaufschnellen. Aber auch diese bedenklichen Ziffern wurden von der weiteren Entwicklung nach dem ersten Weltkrieg in Klein-Österreich weit zurückgelassen. Bei einer Bevölkerung, die nur ein Viertel jener des früheren Österreich ausmacht, hat sich im Jahre 1939 die Gesamtzahl der Ehelösungen (8523) gegenüber jener vor dem ersten Weltkrieg (1910: 2811) im Verhältnis d.erBevölkerungverzwölf-facht. Seitdem netzt die steigende Flut zuerst über die Zehntausendergrenze, die 1946 mit 13.543 Ehelösungen überspült wird, und erreicht als letzte statistisch erfaßte Ziffer im Jahre 1948 die Höhe von 1 4.256 Ehelösungen. Das heißt, daß allein innerhalb der Jahre 19 39 bis 1948 der Ehe zerfall um.72 Prozent gestiegen ist und im Jahre 1948 den 69.757 geschlossenen Ehen ein Fünftel an zerbrochenen Ehen gegenüberstand.

Reden wir jetzt nicht von religiösen Bindungen. Wo immer einer stehe, der es redlich meint mit seinen Mitmenschen und der Gemeinschaft, in der er steht — er kann nicht die Augen verschließen vor dem Totentanz, der sich in unserer Mitte vollzieht: tausende zu Zellen der Gemeinschaft bestimmte menschliche Verbindungen zerfallen; Scharen verlassener Frauen, um ihr Lebensglück betrogener Menschen, des Familienhaltes, der geordneten Erziehung beraubter Kinder bezeichnen die breite Unglücksstraße, auf der unsere Gesellschaft wandelt.

Wenn es Vernunft gibt im öffentlichen Leben, so müßte jede Hand ergriffen werden, die diesem unter uns hausenden Unheil Einhalt zu bieten vermag. Gibt es eine stärkere sittliche Macht als die alte, weise Lehrerin der Menschheit, die Kirche, die Ehe und Familie mit ihrer liebevollen und, wo es not tut, mit ihrer strengen Obhut umfängt und beschützt? Ihr die Freiheit zu wehren, ihre heilige Funktion zu einer belanglosen Allfälligkeit degradieren zu wollen, ist nicht nur Unrecht, es ist Versündigung an dem Lebensbaum unseres Volkes. Denn an ihn ist heute die Axt gelegt.

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