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Bagdads Kurden

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Mustafa Mulla El-Barsani, seil 50 Jahren Anführer des Kurdenaufstandes gegen die Araber, wirc erster kurdischer Vizepräsident dei „Arabischen Republik Irak“. In Per-werdan, einem Dorf in der nordirakischen Provinz Suleimania, faßten die 400 Delegierten des Kongresses der „Kurdischen Demokratischen Partei“ kürzlich diesen Beschluß. Das neue Amt ist für den legendären Volkshelden, der vom Feudalistensohn zum Sozialisten, vom Handschuhmacher zum Sowjetgeneral und vom Moskauer Satrapen zum kurdischen Nationalisten wurde, ein zweifelhafter Höhepunkt seiner zwielichtigen Karriere. Entweder bringt der greise Haudegen seinen Landsleuten, als Ersatz für den heiß-ersehnten eigenen Staat, jetzt endlich wenigstens die Autonomie — oder...

Die Kurden sind ein streitbarer Menschenschlag, und Iraks gegenwärtige Zwingherren machen, wie das Schicksal zahlreicher unschuldig hingerichteter „Spione“ bewies, mit unbotmäßigen Gegnern nicht viel Federlesens. El-Barsani folgte schon mehrmals — unvorsichtigerweise — „Einladungen“ nach Bagdad, entzog sich jedoch immer — vorsichtigerweise — gerade noch rechtzeitig der drohenden Festnahme. Diesmal wird er nicht allein sein. Der Parteikongreß wählte, neben einem neuen Politbüro mit den allerdings (vorwiegend) alten Gesichtern, auch die Kandidaten für die den Kurden reservierten Ministerposten in der neuen irakischen Regierung.

Iraks Araber und Kurden haben nun die vielleicht nie mehr wiederkerende Chance eines Kriegsendes ohne Sieger und Besiegte, eines neuen Anfangs nach 51jährigem Bürgerkrieg. Diese Gelegenheit hat freilich einen Prüfstein, die für Oktober dieses Jahres vorgesehene Volkszählung. Ihrer Vorbereitung diente auch der Parteikongreß. Die „Arabisch-Kurdische Republik“ ist aber bis jetzt noch nicht Wirklichkeit. Das Amt eines Vizepräsidenten hat in Bagdad nur dekorativen Wert. Kurdenführer El-Barsani wird nur einer von drei sein. Die beiden anderen sind Araber: Hardan Et-Takriti und Salach Machdi El-Ammasch. Staatschef bleibt Judenmörder Achmed Hassan El-Bakr.

Für die Kurden ist die Ernennung El-Barsanis zum ersten Stellvertreter des Diktators gewiß von großer psychologischer Bedeutung. Doch weder für den General noch für seine Landsleute ist sie ein zuverlässiger Wechsel auf eine bessere Zukunft im irakischen Staatsverband. Erster Schritt dazu ist die erwähnte Volkszählung.

Gegenwärtig leben die Kurden noch immer in ihren schwer zugänglichen Bergverstecken, und die arabischen Truppen besetzen die kurdischen Städte und größeren Siedlungen. Ein Zensus gäbe, sofern er korrekt durchgeführt wird, nicht nur endlich genauen Aufschluß über die zahlenmäßige Größe des kurdischen Bevölkerungsanteiles. Er müßte auch, wenn er eine echte Aussöhnung nach sich ziehen soll, mit der Wiederherstellung des gesamten kurdischen Siedlungsgebietes einhergehen. Hier stoßen sich jedoch die zweifellos vorhandenen guten Absichten auf beiden Seiten mit der harten wirtschaftlichen Realität: Die Kurden behaupten, ihnen gehöre auch das Erdölgebiet um Kiokuk, bisher die wichtigste nationale Einkommensquelle des Irak.

Das Bagdader Gewaltregime braucht dringend politischen Rückhalt in dem von ihm unterdrückten Land. Hierin liegt auch der Grund für seinen überraschenden Waffenstillstand mit den Kurden. Die Volkszählung im Herbst wird zeigen, ob es wirklich zu wählen versteht zwischen wirtschaftlichen Vorteilen und dem nackten Überleben. Diktator El-Bakr scheint dazu entschlossen zu sein, sich künftig vor allem auf den kurdischen Bevölkerungsteil zu stützen und dafür lieber finanzielle Nachteile in Kauf zu nehmen.

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