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Bambi, Piccolo, Paragraph

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EINE NACHRICHT GEHT durch die Tagespresse. „Das von allen Tierfreunden schon seit Jahren vergeblich geforderte bundeseinheitliche Tierschutzgesetz dürfte auf sich warten lassen …” Und bald darnach wird die Oeffent- lichkeit vertröstet, daß der Wiener Gemeinderat von sich aus mit aller Strenge … und so weiter, das hat man schon oft gehört. Kurz darnach die trockene statistische Lokalnachricht: „Vom 1. Juli bis 1. Oktober 1957 wurden in Wien 101 Fälle von Tierquälerei angezeigt, davon wurden bisher 59 Anzeigen behandelt.” Wir schauen auf den Kalender. Es ist Dezember und nicht der 1. April.

WIEN, SCHULHOF 6. Dorthin führt der Weg des Reporters zunächst. Im Haus ist der Sitz des Wiener h Tierschützvereiitff} -der durch ‘idne Unterschriftensammlung — 90.000 kamen zusammen — für die Schaffung eines einheitlichen Gesetzes gegen Tierquäler weithin von sich reden machte. Wir hören, daß dieses Gesetz auf sehr große Schwierigkeiten stößt. Zunächst die eine Tatsache: Tierschutz und was damit Zusammenhängt, ist, wie etwa das Kino, eine Landessache. Es sind Landesgesetze dafür hier. Ferner: Diese behandeln Verwaltungsangelegenheiten. In Wien walten Magistratische Bezirksämter, auf dem Lande die Bezirkshauptmannschaften ihres Spruches.. Die Urteile nun sind nach Bundesländern verschieden begrenzt. Wien, um mit den neun Landesgesetzen zu beginnen, sieht als Höchststrafe 3000 S oder sechs Wochen Arrest vor; desgleichen Oberösterreich und Burgenland. Kliederösterreich setzt 2000 S (drei Wochen); Kärnten 6000 S (sechs Wochen); Salzburg macht es billig mit 1000 S (drei Monate); auch Tirol strengt sich mit 1000 S (vier Wochen) ebensowenig an wie Vorarlberg mit -• 1000 S (sechs Wochen) — hier gibt es allerdings für besonders erschwerende Umstände die Möglichkeit, ein Strafverfahren einzuleiten. Am schwersten straft man in der Steiermark. 30.000 S oder drei Monate lautet dort der Satz. In allen Fällen, das ist zu bemerken, können beide Strafen, Geld,und Haft zugleich, verhängt werden. Njun, mehr oder weniger gut. sagen wir und wandern weiter zum Parlamentarier, um zu erfahren, wie es mit dem kommenden Gesetz aussehen wird. Papier und Paragraphen sind zwar, nicht alles, aber eben eine Unterlage. Sofern man sie überhaupt sucht.

DER PARAGRAPH GEGEN TIERQUÄLER - so versichert man in Kreisen der Strafrechts- Reformkommission — soll zuverlässig in das Gesamtgesetzwerk eingebaut werden. Sicherlich ist eine sorgfältige Ueberlegung und Prüfung hier besser als ein vorschnell verabschiedetes Gesetz. Was freilich das bundeseinheitliche Tierschutzgesetz angeht, dürfte man auf Stein beißen. Der Stein ist in diesem Fall der Länderföderalismus. Ein bundeseinheitliches Gesetz wäre gleichbedeutend mit einer Verfassungsänderung. „Na, und?” fragen wir. „Nicht zu rechnen damit!” läutet die kurze Antwort. Kurz und nüchtern gesagt: Es mag Bundesbürger geben, aber es gibt landeseigene Kettenhunde. Der Tierschutzverein hat monatelang auf die Erledigung eines Briefes an die einzelnen Landesregierungen warten müssen. Es wurde gebeten, ein Verbot der Kettenhundhaltung zu erlassen. Welch Absonderlichkeit! Man hört, daß sich einzelne Organisationen dagegen wandten. So beispielsweise die Jägerschaft. Warum? Wildfrevelnde Hunde werden im Revier ohnehin glattweg erschossen. Auch die Landwirte sind größtenteils gegen das Verbot der Kettenhunde. Nun, ohne zu verallgemeinern — aber unsere wackere Gendarmerie weiß um die Behandlung der Tiere im allgemeinen bei den Landwirten unerquickliche Dinge zu erzählen. Man braucht nur zwanzig Kilometer vor Wien von Posten zu Posten zu fahren. Man braucht nur mit Lehrern, Pfarrern und Aerzten zu sprechen auf die Motorisierung, die auch auf das Laad vordringt. Alle Symptome des Machtwahns, des Geltungs- und Herrschaftstriebes, die sich an den Maschinen austoben, sind bei denen, die noch nicht motorisiert (traktorisiert) sein können, eine angestaute Masse des Unmuts. Das Un- lebendige packt den Menschen heute mehr als das Lebendige. Er hört überpoetisch (oder unter- pöetisch) im Motor ein Herz schlagen, die Maschinen sind von Dichtern ja schon als das Herz der Zeit gepriesen worden. Lind die Ergebnisse wirken sich bei. den anfälligen Charakteren bereits aus. Eine Welt, wo ein Menschenleben nicht mehr allzuviel gilt, schätzt auch das eines Tieres gering. Letzthin müßte man zwischen Paragraphen und Nichtparagraphen, zwischen Gleichmut und Haß verzweifeln. Hier kommt der Erziehung große Bedeutung zu. Ein Lehrer hat uns auf die wirkungsvolle Arbeit des „Jugettdrotkreuzes” hingewiesen. Wertvoll ist auch die Zeitschrift „Kleiner Freund der Tiere”, ein illustriertes Heft für die Schuljugend, das während des Schuljahres monatlich erscheint und vom LInterrichtsministerium als Klassenlesestoff an Volks-, Haupt- und Mittelschulen zugelassen wurde. Auch der Tierschutzverein gibt eine Zeitschrift heraus, es ist ein’ Kalender da — wenn nur alle hineinsähen!

DIE VIEHTRANSPORTE geben immer wieder zu berechtigten Klagen Anlaß. Gerade, als ich in Altmannsdorf im Tierschutzhaus war, hörte ich wieder von einem Vorfall am Westbahnhof. Es ist dringend nötig, die Begleitpapiere transportierter Tiere, auch solcher durch Fluggesellschaften, richtig abzufassen. Es wäre Sache des Welttierschutzbundes, in dieser Angelegenheit ein überstaatliches Abkommen zu treffen — vorausgesetzt, die ‘Souveränität eines Landes fühlt sich nicht dadurch angegriffen. Die Tierhaltung in den Wiener Parkanlagen ist völlig sinnlos. Wer Tiere hinter Gittern oder im Freigehege sehen will, der gehe in den Tiergarten. Oeffent- liche Gärten geben immer wieder zu Beanstandungen Anlaß, weil die dort befindlichen Tiere nicht zweckmäßig untergebracht sind. Abgesehen davon; wir haben es ja schon erlebt, daß sie als Schußziel verwendet werden. Die Tauben: So paradox es klingt, unter Tierfreunden gibt es auch solche, die gegen die Tauben ein Einschreiten verlangen. Der Tierschutzverein ist jedenfalls gegen die Taubentötung; er kann nur bei großem Ueberhandnehmen der Tiervermehrung steuern, indem die nichtbebrüteten Taubeneier ausgenommen werden. Der Fang hat wiederholt Beispiele von abstoßender Grausamkeit gezeigt —sich einmal die Wirkung des Giftes ansėhen, wenn man dazu „Lust” hat.

TIERSCHUTZHAUS WIEN, Khleslplatz 6. Draußen in Altmannsdorf, einem Teil des 12. Bezirks. Peripherie. Holzpiätze, Planken, Dorfhäuser, Schrebergärten. Darüber grauer Winterhimmel, aus dem unablässig feiner Regen nieselt. Aber bei den Tieren ist’s warm. Die Oelfeuerung röhrt, und drüben, in den anderen Gebäuden, auf dem 14.000 Quadratmeter großen Gelände liegt satte Glut in den Oefen. Heizen? Im Vorjahre sind 500 kg Holz, 17.900 kg Koks, 12.000 kg Briketts, 27.700 kg Heizöl und 170 1 Dieselöl verbraucht worden. Der Leiter des Hauses, Dr. Adalbert Mikulicz, empfängt mich und führt mich durch alle Räume. Vorweg gleich: So umfangreich habe ich mir das Tierschutzhaus nicht vorgestellt. Es geht hier zu — nun, so etwa wie in einem Spital. Eingangsbuch, Karteiblatt, Ausgangsrubrik, bei jeder Box (wie im Spital über dem Kopf oder zu Füßen) ein .anderer Karteizettel, aus dem alles Wissenswerte abzulesen ist. Man kann also gleich die Siamkatze mit Namen rufen oder sich mit dem Bernhardiner anfreunden, der aus Stockerau hierherkam. Ja, und was gibt es alles hier! Das alte Togopony Piccolo, das hier sein Gnadenbrot ißt, der zahme Fuchs „Maxi”, der schwarze Haushund „Murli”, der Affe „Bimbo” (der ein Blatt meines Notizblocks teils ißt, teils zerreißt); eine große Zahl herrenloser Katzen und Kater, lange Stallgebäude mit Hunden (sowohl herrenlose als auch „Pensionäre”, das heißt solche, die zur Pflege abgegeben wurden, teils weil der Besitzer verreist, teils weil er im Krankenhaus liegt); Hunde, die, bevor die Türe geöffnet wird, ganz still sind,, und im Augenblick, da man den Roxen- raum betritt; ein derartiges Gebell anstimmen, daß ich, um Dr. Mikulicz zu verstehen, mich ganz nahe mit den Ohren zu seinem Mund neigen muß. Draußen im Park läßt sich das mit viel Liebe und Sorgfalt aufgezogene Reh Bambi blicken. Der Bock bleibt unsichtbar. Der Park ist auffällig belebt mit Vögeln. In weiteren Gehegen finden wir: Igel, Goldhamster, Störche, Wildenten, Turmfalken, einen Hahn mit vier Beinen, ein Rebhuhn, das in einer Falle ein Bein verlor und eine Leukoplastprothese bekam …

SCHICKSALE — auch bei Tieren. „Hier könnte man fast bei jeder Box eine Geschichte erzählen”, sagt der Leiter des Hauses. Und, in der Tat, es ist erstaunlich, ergreifend und oft bedrückend, wie sehr das Schicksal des Tieres von seinem (mitunter einstmaligen) Besitzer abhängt. Da, der Hund ist sozusagen ein Legat. Wird gepflegt. Dafür bekam das Tierschutzhaus ein kleines Anwesen. Letzter Gedanke des Menschen: Sichere das Tier, solang es leben kann! Beispiel ohne viel Schule. Dort, Katzen. Ihre Besitzerin wurde ihretwegen mit Delogierung bedroht. Ein Wärter geht vorbei. Wir fragen, wieviel herrenlose Katzen es im Hause augenblicks gäbe? Er sieht auf einem Zettel nach und antwortet: „Fünfzig!” Nach einer Weile, indes wir weitergehen, nachrufend: „Es waren aber auch schon neunzig da!” Das Tierschutzhaus und der Tierrettungsdienst sind für Passanten, für Polizei, Gendarmerie der letzte Ausweg. Das geht Tag und Nacht, schauen wir nur ins Zugangsbuch: 11.15 bis 12.55 Uhr: Betrunkener Kutscher und Pferd; 17 Uhr: Vergiftete Katze; 21.45 Uhr: Katze durch Auto verletzt; 22.30: Verletzter Hund; 0.30 Uhr: Gebissener Hund; 1.30 Uhr:

Katze vergiftet gefunden .. . Und in der „Ordination” am Nachmittag sind wir Zeugen der Nöte und Sorgen von Tierbesitzern und der geduldigen, opferbereiten Arbeit des Tierschutzvereines und seines Rettungshauses. Dort werden von 13 Angestellten und zwei Aerzten Arbeiten vollbracht, wogegen im Londoner „Doghouse”, das übrigens räumlich weit kleiner ist, 26 Personen tätig sind.

„Aber bei uns”, so sagt der Leiter, indem er die letzte Türe zum Garten schließt, „ersetzen die Mittel oft verdoppelte Mühe, die nicht nach dem Stundenzifferblatt schaut, und Güte des Herzens.” Sie haben im vergangenen Jahre 1956 im Tierschutzhaus 8 547 Tieren das Leben erleichtert, das man ihnen anderwärts schwer zu machen trachtet.

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