6631537-1956_40_12.jpg
Digital In Arbeit

Band II der Truman-Memoiren

Werbung
Werbung
Werbung

Im ersten Band seiner Erinnerungen, der ungefähr mit Ende des ersten Jahres nach dem Ableben Roosevelts und dem Einzug seines Nachfolgers ins Weiße Haus abschließt, zeigt sich Truman wohl als ein von den besten Absichten beseelter und verantwortungsbewußter Mann, und auch keineswegs arm an eigenen Ideen, aber als völlig unvorbereitet für sein hohes Amt, dessen Apparatur und dessen Aufgabenkreis, namentlich auf weltpolitischem und militärischem Gebiet, er zunächst nur durch die Brillen seiner oft nicht sehr glücklich gewählten Ratgeber zu überblicken vermochte. In dem hier besprochenen zweiten Band, der die Zeit bis zu den Präsidentschaftswahlen 1952 und dem Amtsantritt Eisenhowers umfaßt, begegnet uns Harry S. Truman als eine Persönlichkeit ganz anderer Statur. Er braucht sich nicht länger auf das Urteil anderer zu verlassen und er ist sich dessen sehr bewußt; im selben Maße, als sein anfänglich so großer Respekt vor der Meinung seiner Experten geschwunden ist, hat seine Selbstsicherheit zugenommen. Auch die überraschendste Wendung, die schwerste Krise, kann ihn nicht aus der Fassung bringen; mit einer Kaltblütigkeit, die ebenso sehr in ruhiger Ueberlegung wie in sehr bestimmten ethischen Grundsätzen wurzelt, trifft er seine Entscheidungen, wobei er, wenn nötig, bis an die äußerste Grenze der verfassungsmäßigen Vollmachten geht, die dem Präsidenten der Vereinigten Staaten zustehen, von dem Vertrauen getragen, daß die Nation ihm auf dem Weg folgen wird, den er für den richtigen befunden hat.

In all den ereignisreichen Jahren und bis zum Vorabend der Wahl von 1952, wurde dieses Vertrauen nicht enttäuscht. Als guter Kenner der Mentalität und des Temperaments seiner Landsleute verstand es Truman, sich die Gefolgschaft der Nation, wenn auch nicht immer der Kongreßmehrheit, selbst. dort zu sichern, wo seine Politik eine Bereitwilligkeit zur Uebernahme von Opfern und Risken erforderte, wie nicht ein jeder sich getraut haben würde, sie einem eben erst aus dem schwersten aller Kriege hervorgegangenen Volke zuzumuten. Mit alleiniger Ausnahme vielleicht der Frage Palästina, bei deren Behandlung es ihm mit Rücksicht einerseits auf die jüdischen Wählerstimmen in den Vereinigten Staaten und anderseits auf die amerikanischen Oelinteressen in den arabischen Ländern l schwer fiel, zu einer klaren Entscheidung zu kommen, wußte er stets, was er wollte, und diese Zielstrebigkeit machte sich weithin fühlbar; sie wirkte beruhigend und ermutigend und erwies sich stärker als die Bedenken, die mehr als einer seiner außenpolitischen Schritte wachrufen mußte.

Truman schrieb seine Memoiren natürlich in erster Linie für die amerikanische Oeffentlichkeit und mit einem deutlichen Blick auf die Rolle, die er auch nach dem Abschluß seiner präsidentiellen Laufbahn im politischen Leben noch zu spielen gedachte. Dabei wurde rein parteipolitischen Aspekten stellenweise überflüssig viel Raum gegeben und namentlich in der Darstellung der Wahlkämpfe 1948 und 1952 mit einem Mangel an Sachlichkeit und Zurückhaltung in der Ausdrucksweise, der unangenehm auffällt. Trumans gereizte Kritik an der republikanischen Presse und den republikanischen „Wahlfängern“, die ihre Kräfte vereint hätten, um das Volk „irrezuführen und zu betäuben“, seine Angriffe auf die südstaatlichen Demokraten, die Kerntruppe der Partei, die er in geradezu absurder Weise des Abfalls und des Verrats bezichtigt, sein reichlicher Gebrauch von Schlagworten, wie „fortschrittlich“ oder „reaktionär“, auf deren Definierung er verzichtet, ganz zu schweigen von seinen gehässigen Ausfällen gegen die Person des Generals Eisenhower als Präsidentschaftskandidaten, all das würde man eher in der Rede eines demagogischen Wahlagitators zu finden erwarten, als in den veröffentlichten Aufzeichnungen eines ehemaligen höchsten Repräsentanten der Weltmacht der Vereinigten Staaten. Aber das sind Mängel und Schwächen, Schönheitsfehler, wenn man will, die gering zählen gegenüber dem historischen Wert dieses Buches. Auch wenn man berücksichtigt, wie leicht sich bei der Niederschrift persönlicher Erinnerungen selbst bei bestem Willen und größter Sorgfalt ein sachlicher Irrtum oder ein apokrypher Gedanke einschleichen kann und daß naturgemäß eine gewisse Einseitigkeit bei der Auswahl der Dokumente, die zur Stützung der Glaub-• Würdigkeit eines solchen Berichtes dienen sollen, kaum zu vermeiden ist — auch wenn man das alles voll in Rechnung stellt, läßt sich nicht leugnen, daß hier genug Material als Beweis dafür vorliegt, daß Staatskunst in hohem Grade und mutige Entschlos-enheit dem Mann zu eigen waren, der in einer krisenreichen Zeit als Präsident der Vereinigten Staaten Entscheidungen von weltweiter Bedeutung zu treffen hatte.

Zwei dieser Entscheidungen bildeten zweifellos die beiden Höhepunkte der Amtstätigkeit Trumans. Die erste brachte, unmittelbar nach Ende des Weltkrieges, Griechenland und der Türkei die amerikanische Hilfe, ohne die diese beiden Staaten dem sowjetischen Druck hätten erliegen müssen, mit den katastrophalen Folgen, die eine solche Ausdehnung des sowjetischen Machtbereiches bis zum Mittelmeer nach sich gezogen haben würde. Nicht minder bedeutungsvoll war die zweite, die, vier Jahre später, die Reaktion der USA auf die kommunistische

Aggression in Korea bestimmte. Endete das militärische Eingreifen Amerikas und seiner Verbündeten insofern mit einem Fehlschlag, als die beabsichtigte Beseitigung der kommunistischen Herrschaft in Nordkorea mißlang und nur die Wiederherstellung des Status quo erreicht werden konnte, so war doch in zweifacher Hinsicht ein großer Erfolg erzielt worden: zum ersten und bisher einzigen Male war es. dank der Initiative und der Ueberzeugungskraft des Präsidenten Truman, gelungen, die Vereinten Nationen zu einem gemeinsamen bewaffneten Vorgehen gegen einen Friedensbrecher zu bewegen; und den aggressionslustigen Mächten wurde an Hand eines deutlichen Beispiels gezeigt, daß auch ein noch so gut vorbereiteter Anschlag auf den zwischenstaatlichen Frieden, wo immer er erfolgen mag, keine Garantie trägt, sich irgendwie bezahlt zu machen. Neben diesen beiden überragenden Verdiensten Trumans ist nicht zu übersehen, daß der mit dem Namen Marshall verknüpfte grandiose Hilfsplan für die notleidenden Länder wohl nur zum geringsten Teil verwirklicht worden wäre, hätte ihm die präsidentielle Autorität nicht voll und ganz und mit beispielgebendem Enthusiasmus gefördert; und daß die Berliner „Luftbrücke“, von der weit mehr noch abhing als die physische Existenz der West-Berliner Bevölkerung, ihre Tragfähigkeit und ihre Erhaltung in erster Linie dem amerikanischen Präsidenten verdankte. In ein anderes Kapitel freilich gehört seine Chinapolitik, bei der ihm der klare Blick, den er sonst überall für die kommunistische Zielsetzung gezeigt hat, sehr zu fehlen schien. Allerdings wäre es auf jeden Fall eine schwer lösbare Aufgabe gewesen, den Karren wieder flott zu machen, den Franklin D. Roosevelt auch bei der Behandlung des Chinaproblems so gründlich verfahren hatte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung