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Banditentum

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Mit Entsetzen und Empörung reagierte die Weltöffentlichkeit gegen das Festhalten von hunderten Flugpassagieren auf dem Wüstenflugplatz Zerka bei Amman durch Angehörige der linksradikalen arabischen Guerillaorganisation „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ (PFLP). Bei den Leidtragenden handelte es sich um Männer, Frauen und Kinder, die insgesamt überhaupt in keinem Zusammenhang stehen mit den Ereignissen, die sich in Vorderasien zwischen Israel und den arabischen Staaten abspielen. Gegenüber der Sorge, was mit den Passagieren geschehen wird, wog die Sprengung der drei entführten Flugzeuge gerine.

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Mit Entsetzen und Empörung reagierte die Weltöffentlichkeit gegen das Festhalten von hunderten Flugpassagieren auf dem Wüstenflugplatz Zerka bei Amman durch Angehörige der linksradikalen arabischen Guerillaorganisation „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ (PFLP). Bei den Leidtragenden handelte es sich um Männer, Frauen und Kinder, die insgesamt überhaupt in keinem Zusammenhang stehen mit den Ereignissen, die sich in Vorderasien zwischen Israel und den arabischen Staaten abspielen. Gegenüber der Sorge, was mit den Passagieren geschehen wird, wog die Sprengung der drei entführten Flugzeuge gerine.

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Die Welt atmete für einen Augenblick sogar auf, weil die arabischen Guerillas ursprünglich gedroht hatten, die Flugzeuge samt den Passagieren in die Luft zu sprengen. Inzwischen wurde der Großteil der Passagiere freigelassen, allerdings befinden sich über 50 Menschen weiterhin als Geiseln in den Händen der Araber, bis die in der Schweiz, der Bundesrepublik und in England inhaftierten Angehörigen der arabischen Guerillaorganisation freigelassen sind.

Alle drei genannten europäischen Staaten haben sich den Forderungen gebeugt, doch herrscht noch Unklarheit darüber, was mit den männlichen Passagieren geschehen soll, die einen israelischen Paß besitzen und in das Hauptquartier der „Volksbefreiungsfront“ gebracht wurden. Den drei europäischen Staaten blieb nichts anderes übrig, als nachzugeben, wollten sie nicht unschuldige Menschen dem Terror rücksichtsloser politischer Fanatiker preisgeben. Wie aber soll es weitergehen? Sicherlich: In den USA werden nun bewaffnete Sicherheitsbeamte bei Flügen großer Gesellschaften eingesetzt, in Zürich, Frankreich, London und anderen europäischen Flughäfen werden Personen und Gepäck genauestens untersucht. Israel leitete die bisher größte Razzia im Lande ein, verhaftete mehrere hundert Araber, die im Ruf stehen, Guerillaorganisationen anzugehören, und droht mit härtesten Vergeltungsmaßnahmen. Das sind immerhin Sicherheitsvorkehrungen, doch die rechtliche Frage des Problems ist damit nicht berührt. George Habasch, Chef der PFLP, steht auf dem Standpunkt, daß der Zweck die Mittel rechtfertige. Nach seiner Ansicht sind alle Flugzeuge, die aus den USA und Westeuropa kommen, Teil der israelischen Luftwaffe, weil diese Staaten Israel im Kampfe gegen die Araber unterstützen. Die Entführung und Zerstörung solcher Flugzeuge bilden deshalb einen Teil des Freiheitskampfes der palästinensischen Araber, denen Israel die Heimat geraubt habe. Außerdem machen die Flugzeugentführungen die Welt auf den Kampf der arabischen Guerillas aufmerksam. Diese Argumentation, daß um einer sogenannten gerechten Sache willen alle Mittel erlaubt seien, äst nicht neu und findet gegenwärtig in den Massenmedien vielfach Unterstützung, wenn es sich um Revolutionsbewegungen etwa in Südamerika handelt. Ausgesprochene Verbrechen, wie Banküberfälle oder Geiselerschießungen, werden dabei als eine Art Schönheitsfehler übersehen.

Nun sind die Vorgänge in Südamerika nicht mit denen im Vorderen Orient zu vergleichen. Dort kämpfen Gruppen gegen Regierungen, die sich konstant weigern, das Elend der Massen zu beseitigen und grundlegende wirtschaftliche und soziale Reformen durchzuführen, ja sogar diejenigen verfolgen, die sich um solche Reformen bemühen. In Vorderasien aber wollen die Guerillas keinen Frieden. Sie wollen das Land, das andere besitzen, ja sie wollen es nicht einmal mit den heutigen Bewohnern teilen, sondern diese ins Meer treiben. Grundsätzlich muß jedoch gesagt werden, daß es wohl in großen Stunden der Geschichte, bei Revolutionen, das Aussetzen allgemeiner Moralbegriffe geben kann, doch niemals darf es die Duldung eines permanenten Terrors geben, noch dazu, wenn Unschuldige dabei die Leidtragenden sind. Wenn arabische Guerillas gegen Israel kämpfen, so muß die Welt dies hinnehmen, solange sie keine Lösung findet, die das Elend der arabischen Flüchtlinge beseitigt und solange Weltmächte aus eigensüchtigen Interessen an der Spannung in diesem Gebiet interessiert sind. Keineswegs aber kann die Welt den Terror als solchen und das Hineinziehen Unschuldiger in diesen akzeptieren. Sie vergißt nämlich sonst die Folgewirkungen. Der seinerzeitige berüchtigte Postraub beispielsweise hatte eine Reihe von ähnlichen Aktionen zur Folge. Gangster zu sein wurde in der hochzivilisierten Welt gewissermaßen chic. Die Massenmedien mit ihrem Hang zu grellem Herausstellen des Negativen, weil dies publikumswirksam ist, haben ihren Anteil an dieser Entwicklung. Dazu kommt die zunehmende Ohnmacht des Staates, dessen gewählte Vertreter selten den Mut zum Handeln haben und lieber bei Instituten für Meinungsbefragung politische Direktiven einholen, ja sich geradezu entschuldigen, wenn sie einmal Taten setzen müssen. Was wird geschehen, wenn morgen Banditen in öffentliche Verkehrsmittel steigen, die Fahrgäste bedrohen und die Staatsgewalt mit dem Hinweis, die Fahrgäste umzubringen, erpressen, ihre Komplizen freizulassen. Die Entführung von Ministern und Botschaftern muß nicht unbedingt auf Südamerika beschränkt bleiben.

Es wäre deshalb gut, alle Staaten, die nicht gewillt sind, Piraten- und Gangstertum als unabwendbares Schicksal hinzunehmen, fänden sich zusammen, um gemeinsam dem Luftterror entgegenzutreten. Sicherheitsmaßnahmen allein genügen nicht. Die weltweite moralische Verurteilung derartiger Aktionen, wie sie von den arabischen Guerillas durchgeführt werden, ist ebenso notwendig wie die Schaffung eines internationalen Rechts, das Flugzeugentführungen unter schärfste Strafe stellt. Es darf auch nicht der Anschein aufkommen, als ob derartige Aktionen patriotische Heldentaten wären. Flugzeugentführungen mit dem Zweck, Menschen als Geiseln zu benützen, um damit Erpressungen auszuüben, sind nie und nimmer patriotische Taten, sondern reines Banditentum. Dies muß zur allgemeinen Weltmeinung werden, will man ein moralisches Schach dem Terror bieten. Dabei ist es völlig klar, daß Flugzeugentführungen, die nur deshalb unternommen werden, um einem Land, in dem politischer Terror herrscht, zu entfliehen, anders beurteilt werden müssen, obwohl auch diese aus Gründen der Rechtssicherheit gesühnt werden müssen. Die gegenwärtige Situation allerdings ist grotesk. Die Tschechen beispielsweise, die den Flugkapitän zwangen, den Kurs nach Westdeutschland zu nehmen, weil sie dem innenpolitischen Terror in ihrem Land entfliehen wollten, erwartet in der Bundesrepublik eine Freiheitsstrafe, während arabische Guerillas, die unschuldige Menschen am Leben bedrohen, noch dafür belohnt werden, daß man ihre Genossen in der Luftpiraterie aus den europäischen Gefängnissen befreit, Wo sie gerechterweise sitzen. Hier wird der Sieg des Terrors in all seiner Niedertracht offenbar. Wenn sich hier die zivilisierte Welt nicht zur Abwehr aufrafft, dann ist sie selbst schuld, wenn sie immer mehr von Terroristen erpreßt wird.

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