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Bangen um die Landwirtschaft

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„Die Aufwertung ist vertagt“, das war der Tenor, den die deutschen Zeitungen und Massenmedien schon Samstag vergangene Woche in die Welt posaunten. Daß die Währungsprobleme in Europa und in den USA durch den Beschluß der Bundesregierung durch „derzeit keine Aufwertung der DM“ gelöst seien, das glaubt nicht einmal Bundeskanzler Kiesinger, der aus politischen Erwägungen so sehr zum „Antiaufwerter“ geworden war. Aufwertungsgegner Kiesinger hatte sich einmal zu sehr auf eine Route nach der Bonner Währungskonferenz Ende 1968 festgelegt, als er erklärte, unter seiner Amtsführung werde keine DM-Aufwertung durchgeführt.

Selbst seine modifizierte Aussage in dieser Regierung, dem CSU-SPD-Kabinett, werde keine DM-Aufwertung erfolgen, hatte er in der vergangenen Woche kaum mehr halten können, als sich sowohl Bundeswirt-schaftsminisiter Schiller als auch der Präsident der deutschen Bundesbank Blessinig für eine Aufwertung aussprachen, da beide der Meinung waren, daß die Währungsspekulanten nur durch eine solch klare Maßnahme, einer Aufwertung um 7 bis 8 Prozent, davon abgehalten werden könnten, weiterhin Francs in Massen zu verkaufen, um dafür DM einzuhandeln. Die DM hatte sich nämlich gegenüber früheren Jahren, wo man immer auf Schweizer Franken umgestiegen war, bei allen Spekulationen seit dem Herbst 1967 als jene Traumwährung erwiesen, auf die man sofort, wenn irgendwo in Europa durch politische oder wirtschaftliche Ereignisse ein Zahlungsmittel ins Wackeln geriet, umstieg. Insgesamt siebenmal wurde es auf europäischen Börsen und bei europäischen Notenbanken innerhalb der letzten eineinhalb Jahre, seit November 1967, unruhig:

• damals hatte Harald Wilson das Pfund Sterling um rund 14 Prozent abgewertet,

• schon einen Monat später sickerte in Paris durch, daß Frankreich seine Mitarbeit im sogenannten Goldpool einstellen werde und setzte damit den Dollar unter Druck,

• damit es im März 1968 soweit kam, daß durch einen Run auf das Gold die Notenbank der USA gezwungen wurde, für Währungsgold ein Verkaufsverbot zu erlassen.

• Studentenunruhen und Generalstreiks mächtiger Wirtschaftsorganisationen in Frankreich aber schwächten den von de Gaulle kurz zuvor noch so sehr gepriesenen Franc dermaßen, daß es erstmals auch in Frankreich zu massiven DM-Käufen kam;

• und schließlich im Sommer des Vorjahres zeigte sich, daß die mehr als ein halbes Jahr zuvor getroffene Sanierung des Pfund Sterling nicht zu einer Gesundung der britischen Wirtschaft geführt hatte, so daß nur ein 8-Milliarden-Kredit der europäischen Notenbank den Briten neuerlich auf die schwachen Beine helfen konnte.

Spekulanten waren es, die auch das nächste Mal Unruhe in die europäische und amerikanische Währungspolitik brachten, als sie in der Hoffnung, die DM werde aufgewertet, soviel von der deutschen Währung einkauften, daß Franc, Pfund-Sterling, Dollar und andere Währungen in Abwertungsgefahr gerieten. Als man hoffte, daß durch die Bonner Währungskotiferenz, die dieser Spekulationswelle im Spätherbst des Vorjahres folgte, endlich Ruhe auf Europas Börsen einkehrte, da trat, nur wenige Monate später, der durch ein Votum der Franzosen verärgerte de Gaulle zurück und brachte seinen Prophezeiungen gemäß erneut Unruhe unter die Notenbankiers aus ganz Europa und den USA. Es'zeigte sich jetzt, daß die seinerzeitigen deutschen steuerlichen Maßnahmen für Ein- und Ausfuhr nichts genützt hatten und daß die immer wiederkehrenden Spekulationen diesen seinerzeitigen Restriktionen der Deutschen mit stärkeren Mitteln entgegenarbeiten. Tatsächlich sind es in Europa nur wenige Währungen, die in den letzten fünf Jahren so wenig an Wert eingebüßt hatten wie die deutsche DM, der östererichische Schilling und der Schweizer Franken. Schon im vergangenen Jahre, anläßlich der letzten Währungskrise, zählten daher auch diese genannten Währungen am ehesten zu den aufwertungsverdächtigen. Daß es jetzt nicht zu einer Aufwertung der DM kam, ist neben dem politischen Einsatz Kiesingers auch darauf zurückzuführen, daß eine Aufwertung für die deutsche Landwirtschaft negative Konsequenzen gebracht hätte, da die EWG-Getreidepreise und damit die von der Bundesregierung der Landwirtschaft versprochene Hilfe durch eine Aufwertung wertlos geworden wären.

Denn jede Wechselkursänderung bewirkt, seitdem es im gemeinsamen Markt für die wichtigsten Agrar-erzeugnisse gemeinsame Preise gibt, die in gemeinsamen Recbniungsein-heiten ausgedrückt sind, bei einer Abwertung eine Steigerung der Agrarpreise, bei einer Aufwertung dagegen ein Absinken. Dies hätte die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Landwirtschaft aber entschieden beeinträchtigt. Es bedeutet, daß je Prozent der Aufwertung die deutsche Landwirtschaft einen Eirmahmenaus-fall von 200 bis 250 Millionen DM, bei 8 Prozent also 1,6 bis 2 Milliarden DM pro Jahr zu verkraften gehabt hätte. Und diese Tatsache schien der CDU/CSU als negativer Wahlschlager von so großer Bedeutung, daß man trotz der zu Recht angeführten währungs- und konjunktuirpoliti-seben Schwierigkeiten, die aus einer Nichtaufwertung entstehen könnten, auf eine solche verzichtet.

Man ist sich aber heute bereits in Fachkreisen klar darüber, daß eine Aufwertung der DM auf jeden Fall kommen wird. Ja, man ist sogar skeptisch, daß man wirklich bis nach den Wahlen mit dieser so konsequenten-reichen Maßnahme warten wird können, ohne daß der deutschen Wirtschaft nicht Schwierigkeiten entstehen könnten. Der Aufwertungssatz dürfte, darüber sind sich die Experten bereits einig, bei rund 8 Prozent liegen.. Auch die Notenbankkonfe-renzen können an dieser Tatsache kaum etwas ändern. Ebenso erwartet man bis spätestens nach den Präsidentschaftswahlen, also anfangs Sommer in Frankreich eine Abwertung des Francs.

In einer unangenehmen Situation bei einer solchen Maßnahme wäre zweifellos der österreichische Schilling, denn es steht fest, daß eine Aufwertung des sehr gut gedeckten und wertmäßig sehr gut dastehenden österreichischen Zahlungsmittels aus diversen Gründen kaum in Frage kommt. An der Spitze steht hier eindeutig der österreichische Fremdenverkehr, für den eine Aufwertung bedeutet, daß weniger Besucher — vor allem aus währungsschwächeren Ländern, wie England und Frankreich, aber auch aus übrigen europäischen Staaten kämen. Der deutsche Tourist dagegen wird Österreich erhalten bleiben, ja im Falle einer Aufwertung der DM dürfte sich der Strom aus der benachbarten Bundesrepublik sogar noch intensivieren. Welche Beschlüsse aber immer die nächsten Tage in höchsten Foren bringen: eines bleibt, die Unruhe, bedingt durch das Nebeneinander von solider Wirtschaft und währungspolitischen, politischen und wirtschaftlichen Unruhegebieten in Europa — und diese neuralgische Situation erschwert natürlich auch eine europäische Einigung auf breiter Basis.

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