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Bartholomäusnächte in Ulster

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„Es wurde noch kein Engländer geboren, der die Iren versteht.“ Wie ein Untertitel eines Endlosflknes mutet dieser Satz der nordirischen Unterhausabgeordneten Bernardette Devdin an, den die Zweiundzwanzig-jährige als jüngste Parlamentarierin der Geschichte Englands bei ihrer Jungfernrede an der Themse vor wenigen Wochen sprach. Denn der Konflikt scheint bis auf weiteres unlösbar, auch wenn zwischen Tränengas, Stacheldraht und Panzerwagen englischer Soldaten der Kampf nur glosen darf. Der Blasbalg ist voll, das Feuer brennt schon demnächst weiter. Denn die Geschichte feiert Bartholomäusnacht in Ulster. Die letzten Kelten Europas erwachen. Schon vor 1500 Jahren traten die Kelten ihren Rückzug in die Berge von Wales und Schottland und nach Irland an. Bis auf die Insel Eire kamen die germanischen Angeln und Sachsen nicht. 1000 Jahre ist es her, daß die romanisierten Normannen auch dit letzten Reste der Kelten endgültig In Reservate drängten. Doch die Kelten blieben ein Herd der Unruhe. Immer wieder zogen Englands Könige gegen die Kelten zu Felde. Als Henry VIII. von der römischen Kirche abfiel, rebellierte Schottland und Irland. Damals kam der konfessionelle Graben zur Volks tumsgrenze hinzu. Und seit den Tagen der Stuarts hassen einander Engländer und Iren, Protestanten und Katholiken unter dem Union Jack.

Im 17. Jahrhundert fürchtete London, die katholischen Mächte Frankreich oder Spanien könnten von See aus den Hilferufen der Iren entgegenkommen. Man siedelte tausende protestantische Engländer und Schotten in Irland an. Seit dieser Zeit metzeln einander Katholiken und „Prods“ wechselweise nieder. Und erst 1690 konnte England nach dem endgültigen Sieg Wilhelm von Oraniens über den letzten katholischen Stuart, Jakob II., in der Schlacht am Boyne die Iren endgültig unterwerfen.

Tauisende Iren wanderten in der folgenden Zeit nach Nordamerika aus, wo sie ebenfalls bis heute für die aus England gekommene protestantische Oberschicht die katholische Unterklasse bildeten. Eist um den ersten Weltkrieg hatten Englands liberale Kabinette von Streit und Kleinkrieg genug. Lloyd George entließ 26 Grafschaften, die sich zur Republik Eire zusammenschlössen. Nur sechs Grafschaften im Norden blieben bei England — weil in ihnen die Protestanten die Mehrheit bildeten. /

Doch niemand kümmerte sich um die Meinung der Ulster-Katholiken, als sich damals Nordirland eine halbautonome Verfassung zulegte. Die Protestanten zimmerten sich eine Wahlordnung zurecht, die ihre Mehrheit in allen Lebensbereichen verewigen sollte. Die „Orangemen“ (wegen ihrer Verehrung für Wilhelm von Oranien) verschoben Wahlkreisgrenzen zu ihren Gunsten und besetzten auf diese Weise auch in katholischen Gebieten die Ratsstuben. Ein Klassenwahlrecht sichert dem reichen Bürger bis zu 30, einem Armen aber nur zwei Wahlstimmen zu.

Aber schon vor Jahrhunderten erhielt der Protestant mehr Land, päter besaß er die besseren Han-

delsbeziehungen zum englischen Mutterland und erhielt eher Kapital zur Errichtung einer Fabrik. Die „Prods“ wurden zur Oberschicht, die Katholiken stellten die Landarbeiter und später das Industrie-Proletariat.

Die Katholiken formierten sich zu einer Bürgerrechtsbewegung, die zuerst gewaltlos Reformen im wirtschaftlichen und politischen Leben forderte. Ihre Führer wollten Gleichstellung bei der Arbeitsvermittlung und bei der Wohnungsvergabe, die in den großen Städten in der Hand der „Prods“ ist. Doch diese formierten sich gleichfalls zu Schutzgemeinschaften, um ihre Klassenposition mit Schein-religiösem Eifer zu wahren. Der Pastor Ian Paisley heizte den Religionskampf durch wüste Schknpftiraden auf den Papst auf.

Nach Steinen flogen bei den Demonstrationszügen beider Seiten bald Molotow-Cocktails, später zündete Sprengstoff und knallten Kugeln. Der Bürgerkrieg ist im vollen Gang. In London fanden die Katholiken bei der regierenden Labour Party viel Verständnis. Und die Führerin der katholischen Bürgerrechtsbewegung, die 22jährige „Keltische Johanna“, erschütterte im Unterhaus auch konservative Protestanten-Ultras mit ihrer Darstellung der Zustände im Norden der Insel.

So war es in London klar, daß Wilson den nordirischen Premier O'Neill nicht zurückhielt, als dieser im Frühjahr seinen Rücktritt bekundete. Und der neue Regierungschef Chi-chester-Clarke holte endlich britische Soldaten ins Land, weil sich die protestantische Lokalpolizei als üble Knüppelgarde gegen die Katholiken mißbrauchen ließ. Doch seit letztem Wochenende ist der Konflikt eben durch diese (vielfach von den Katholiken begrüßte) Entsendung von Truppen zu einem internationalen Problem eskaliert. Die Republik Irland appellierte an die UNO, um die Vorfälle vor das Weltforum zu ziehen. Freilich, Irlands Druck ist nicht unerheblich an der makabren Situation selbst schuld. Die Protestanten im Norden der Insel fühlen sich auf ihren wenigen Quadratkilometern durch den katholischen republikanischen Süden latent bedroht. Seit Jahren wollen Freischärler aus dem Süden den letzten Rest Englands auf der Grünen Insel „befreien“. Eine „Untergrundarmee“ organisierte Zwischenfälle im Norden und trägt auch jetzt wahrscheinlich zur Verschärfung des Konfliktes bei. Die Polizei berichtet auch von Berufsrevolutionären aus Frankreichs linkem Untergrund, die mdt Rat und Tat den Bürgerkrieg forcieren. So vergleichen heute schon Beobachter die Ereignisse in Nordirland mit den Negerunruhen der USA. Und da wie dort weiß man sich keinen Rat, weil Haß und Unduldsamkeit aus rassischen oder religiösen Gründen Sozialkonflikte noch verschärft, statt sie zu mildern. So hat auch England einen Sommer. Und dieser Sommer ist noch nicht vorüber!

Meint die „keltische Johanna“ Bernardette: „Ich möchte nicht die Mutter oder Schwester eines dieser unglücklichen Soldaten sein, die jetzt dort stehen. Die Leute in Ulster mögen es nicht, wenn Engländer ihnen sagen, was sie zu tun haben.“

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