6721343-1965_14_01.jpg
Digital In Arbeit

Begegnung im Niemandsland?

Werbung
Werbung
Werbung

Die Bevölkerung unseres slawischen Nachbarvolkes im Süden ist gewöhnt, große Männer in ihrer Hauptstadt Belgrad willkommen zu heißen. Das Schauspiel der Ehrensalute, der festlichen Empfänge und der prunkvollen Autoauffahrten gehört in Belgrad fast zu den Selbstverständlichkeiten des Alltags.

Diesmal war es kein Staatsmann aus afrikanischen oder asiatischen Breiten, keiner der Großen aus dem Westen oder dem Osten, der die Metropole an der Donau und Save besuchte, sondern der Vertreter eines kleinen Landes im Herzen Europas, eines Landes allerdings, das einen festen Platz in der Seele und im Hirn jedes Bürgers Jugoslawiens einnimmt. Bundeskanzler Klaus, dessen Name viele Serben, Kroaten und Slowenen bisher nicht gekannt haben mögen, wußte, daß er als Chef der österreichischen Regierung in Jugoslawien nicht als Fremder empfangen wird.

Lange hatte man in Belgrad auf diese Visite gewartet. Der Nestor der österreichischen Politik, der verewigte Bundeskanzler Raab, hatte bereits knapp nach dem Staatsvertrag den Gedanken eines Besuchsaustausches auf höchster Ebene zwischen Wien und Belgrad lanciert. Es war ihm nicht vergönnt, als Regierungschef dieses Vorhaben selbst zu verwirklichen. Gorbach nahm zwar ursprünglich die Idee seines Vorgängers auf, die Ereignisse um die Regierungsbildung seines zweiten Kabinetts stellten diese Pläne aber in Frage. Der unglückselige Kampf um das Außenministerium, der Versuch, den verdienten Außenminister Kreisky aus bloßen Gründen der Wahlarithmetik zu verdrängen, bewirkte als logische Folge auch eine sanfte Abkehr von jenen außenpolitischen Leitbildern, die allein erst die Kontaktnahme mit den Nachbarländern mit anderer Gesellschaftsordnung sinnvoll erscheinen lassen.

Bundeskanzler Klaus verschloß sich diesen Gedanken keineswegs. Ein sicherer Instinkt gab ihm jedoch an entscheidender Stelle die richtigen Mitarbeiter bei. In Botschaftsrat Karasek einen erfahrenen Diplomaten als Kabinettschef, der den Osten aus unmittelbarer Anschauung kennt und dort die Weichen richtig stellt, wo eine einseitige „Europavision“ das Ziel den Augen zu entrücken droht.

So konnte sich Bundeskanzler Klaus ohne große Schwierigkeiten wieder auf jene Prinzipien festlegen, die im besten Sinne dem Erbe Raabs entsprechen. Mit der Straßburger Erklärung und seinem Besuch in Belgrad hat Bundeskanzler Klaus die Volkspartei auch in außenpolitischen Belangen wieder zu einem ebenbürtigen Partner der Sozialisten gemacht.

Dort, wo der Orientexpreß die weiten, fruchtbaren Ebenen Slawoniens und Syrmiens, der Kornkammer des Maria-Theresianischen Reiches, verläßt und sich dem Flußland der Save nähert, standen noch vor fünfzig Jahren die österreichisch-ungarischen Grenzposten. Von Semlin, das längst Zemun heißt, der letzten Garnisonsstadt der Monarchie, ist es nur noch ein kurzer Fußweg über die Save in die alte Hauptstadt Serbiens, nach Beograd, in die Weiße Stadt. An jener Stelle, wo früher das Niemandsland zwischen dem Habsburgerreich und dem kleinen Bauernkönigtum der Serben lag, ragen heute die modernen Hochhäuser des neuen Belgrads als symbolische Künder einer neuen Zeit und eines neuen Staates in den Himmel.

Auf diesem historischen Niemandsland reichten sich Josef Klaus und Josip Broz die Hände zu einem neuen Beginn. So symbolisch der Ort, so vielversprechend war die Zeit dieser Zusammenkunft. Österreich und Jugoslawien stehen an der Schwelle einer neuen Epoche, die beiden gleichermaßen schicksalsschwere Entscheidungen abverlangt. Mehr als eine gemeinsame Vergangenheit sollte eine gemeinsame Zukunft diese Völker, die sich in vielem wie Brüder gleichen, verbinden.

Hier, zwischen Österreich und Jugoslawien, hat Europa eine entscheidende Prüfung zu bestehen und sich selbst auf die Probe zu stellen. Die Aussöhnung des ganzen Kontinents „vom Atlantik bis zum Ural“, die fruchtbare Koexistenz von Ost und West, die heute bereits zu einem hohlen Modebegriff zu werden droht, kann nicht über Nacht auf dem Reißbrett der Staatskanzleien entworfen werden. Zu wirklichen Trägern dieses Gedankens der paneuropäischen Kooperation sind nicht zuletzt Österreich und Jugoslawien berufen. Ersteres vertritt hier die westliche, letzteres die östliche Gesellschaftsordnung; in ihrem außenpolitischen Status wollen beide Staaten nach ihrem Selbstverständnis ihre Unabhängigkeit von den Blöcken aufrecht* erhalten. Als organische Kristallisationspunkte aller jener Kräfte, die über die ideologischen Grenzen hinweg die Einheit Europas anstreben, müssen sich Wien und Belgrad, die beiden Metropolen an der Donau, begreifen. Im Banne dieser Strahlungszentren werden auch andere Staaten Mitteleuropas neue Möglichkeiten der Selbstbehauptung entdek-ken, die die katastrophale Exklusivität der östlichen wie der westlichen Integrationsmodelle sprengen.

Josef Klaus kann Anspruch darauf erheben, einen neuen Kurs entwik-kelt zu haben, der unser Land in eine größere Zukunft führen soll. Letztlich sitzen wir Österreicher aber zusammen mit den Jugoslawen im gleichen Schiff, wenn auch ii* anderen Kabinen! Wenn die Donauländer nicht früher oder später einen Modus echter Kooperation finden, werden sie, jedes für sich, im Getriebe der mächtigen, supranationalen Kolosse des Westens oder des Ostens zuerst in ihrer nationalen Selbständigkeit beschnitten, schließlich aber unter Verlust ihrer geistigen Substanzen zerrieben werden.

Die Jugoslawen versicherten den österreichischen Gästen ihr Verständnis für die wirtschaftlichen Probleme Österreichs mit der EWG, zu der sie selbst einen Zugang erschließen wollen. Dieser Wink sollte von Wien als Verpflichtung aufgefaßt werden, den Alleingang nach Brüssel auch unter Belgrader Aspekten zu betrachten.

Der geborene Österreicher Josip Broz hat unter dem Partisanendecknamen Tito Weltgeschichte gemacht. Die Pläne, die er in der Emigration in Wien im Schwedencafe ausgeheckt hatte, sind durch die Geschichte bestätigt oder korrigiert worden.

Josef Klaus, der Staatsmann illyrisch-dinarischen Profils von jenseits der Karawanken, der seine Gastgeber mit nobler Geste auf serbo-kroatisch als „lange nicht gesehene Verwandte“ begrüßte, hatte dann nicht nur ein Wort der Höflichkeit, sondern eine politische Wahrheit ausgesprochen, die man sowohl in Wien als auch in Belgrad als Bekenntnis zu einer gemeinsam zu gestaltenden Zukunft beherzigen sollte.

Begegnung im Niemandsland? Nein, Begegnung in einem Donau-Europa — das unsere Aufgabe war, ist und immer sein wird.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung