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Begraben mit langem Schweigen

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Kommenden Sonntag, 26. Juni, gedenken Tausende Slowenen in den Wäldern von Kocevski Rog der im Juni 1945 ermordeten Domobranci.

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Kommenden Sonntag, 26. Juni, gedenken Tausende Slowenen in den Wäldern von Kocevski Rog der im Juni 1945 ermordeten Domobranci.

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Es sind mehr als 50 Jahn vergangen seit de: Gründung der sloweni sehen Heimwehr im September 1943. Die schwerwiegende Entscheidung der Führung des demokratischen Lagers als damals legitimen Vertreters des slowenischen Volkes wurde in einer Zeit der tiefsten Volksnot getroffen:

Der Kampf gegen Kommunisten, der schon fast zwei Jahre vorher aufgenommen worden war, sollte bei der deutschen Besatzungsmacht legalisiert werden. Der Beweggrund war die Erkenntnis, daß das Volk seinen Kampf an zwei Fronten im totalen Krieg nicht führen könne: den Kampf gegen fremde Besatzer (Italiener und Deutsche) und gegen innere Aggressoren. '

Um zu erläutern, wie es dazu gekommen war, muß man auf die Jahre 1941/42 zurückgreifen. Die Besetzung des Landes empfand das Volk als großes Unheil und als Kränkung. Die Kommunisten jedoch, die den kommenden Krieg ersehnt hatten, sahen darin ihre einzige Gelegenheit zum Bealisieren ihres Projekts. Sie waren darauf gut vorbereitet und machten sich gleich an die Arbeit. Durch ihren mächtigen Appell an das gekränkte Nationalbewußtsein gelang es ihnen, eine enorme Kampfstimmung im Volk zu schaffen, was einerseits Elemente von Chaos herbeiführte, andererseits aber ihren Einfluß auf die Massen stärkte.

Ihr raffiniertes Spiel, National-symbole mit kommunistischen Symbolen zu vereinigen, fand bei der Bevölkerung positive Aufnahme, besonders angesichts etlicher Bessenti-ments gegenüber dem Establishment der Vorkriegszeit.

Die Träger dieser Stimmung waren vorwiegend Liberale und links orientierte Katholiken sozialdemokratischer Prägung. Der Volksbefreiungsimpuls, der von der Partei kam, schuf ein breites politisches Klima beziehungsweise eine Massenbewegung. Hier ist besonders hervorzuheben, daß diejenigen, die sich gleich zu Beginn der Bewegung angeschlossen hatten, auch in der zweiten Phase, als die Kommunisten ihr wahres Gesicht zeigten und ihr Projekt in die Tat umzusetzen begannen, der Partei treu blieben, willentlich oder unwillentlich.

Dann geschahen Dinge, die die Landbevölkerung in solche Not brachten, die sie noch nie in der Geschichte erlebt hatte. Die kommunistische Partei fing an, sich Feinde zu schaffen, indem sie unverhüllt kommunistische Symbole und proletarische Rhetorik einzuführen begann und die ersten Polit-Morde verübte. Die Leute wurden auf den Straßen erschossen, zu Hause umgebracht, wieder andere wurden in die Wälder verschleppt, manchmal ganze Familien, die nach grausamen Torturen ermordet wurden. Der kommunistische Terror erreichte den Höhepunkt in den Frühjahrs- und Sommermonaten 1942. Alle, die sich nicht gefügt hatten, wurden umgebracht: Politiker, Geistliche, Studenten, Arbeiter, Grundbesitzer.

Die Bevölkerung wurde von einem bis dahin unbekannten Gefühl erfaßt: Angst. Zirka 1.500 Leute wurden in dieser Zeit umgebracht. Auf einmal stellte sich nicht mehr die Frage der Ideologie, sondern die einzige Frage, wie das nackte Leben zu retten sei, das Leben von ganzen Dörfern und Landstrichen. Das Werk von kommunistischen Partisanen wurde auf seltsame Weise durch die Italiener ergänzt.

Ein Bürgerkrieg

Die Ereignisse liefen folgendermaßen ab: Die Partisanen bezogen irgendwo am Rande eines Dorfes Stellung und erwarteten die Italiener. Sobald sich diese dem Dorf näherten, gaben sie ein paar Schüsse ab. Manchmal wurde auch ein Italiener getroffen. Danach verschwanden die Partisanen im Nu. Das hatte zur Folge, daß die Italiener ganze Dörfer in Brand setzten, einige Männer erschossen und andere nach Rab in die verrufenen Lager verschleppten, wo sie massenweise starben. Die Leute waren den Partisanen ausgeliefert und vor Verzweiflung beinahe von Sinnen. Sie sahen den einzigen Ausweg darin, bei den Italienern Waffen zum Selbstschutz zu suchen.

So organisierten sich die ersten militärischen Einheiten, die sich selbst Dorfabwehr nannten und von keinem politischen Zentrum organisieit wurden; es ging um Selbstorganisieren zum Schutz gegen Partisanen. Das politische Zentrum in Ljubljana nahm dies zur Kenntnis und versuchte nachträglich die Sache in seine Hand zu nehmen im Bewußtsein der äußersten Not der Dorfbevölkerung. Doch der Versuch war ziemlich zaghaft.

Als die Italiener nach dem 8. September das Land verlassen hatten, bestanden in Slowenien zwei Armeen: die kommunistischen Partisanen und die Dorfabwehr. Indem die Partisanen die Italiener frei gehen ließen, aber gleichzeitig über die Dorfabwehr mit ganzer Wucht herfielen, bewiesen sie, daß ihr Krieg kein Befreiungskrieg war, sondern ein Bürgerkrieg, von professionellen Bevolutionären geführt und extrem ideologisch geprägt. Die Dorfschutzmänner dagegen handelten nur im Bewußtsein, daß sie ihre Dörfer schützen mußten. Es stellte sich heraus, daß sie keine richtige Militärorganisation hatten. Kommunistische Partisanen, gestützt von italienischer Militärlogistik, stürmten einen Stützpunkt der Dorfabwehr nach dem anderen. Die gefangenen Soldaten wurden in den meisten Fällen getötet. Einige schafften es, nach Ljubljana zu fliehen. Von neuem bewährte sich die Überlegung, Slowenien sei zu klein für zwei gegeneinander kämpfende Guerillas, denn in einem solchen Krieg hätten die Be-satzungskräfte freie Hand bekommen und die beiden kämpfenden Seiten hätten sich zugrunde gerichtet und dadurch die ganze Landbevölkerung ins Verderben gestürzt. Das war die Grundüberlegung, die vom demokratischen Zentrum in Ljubljana im Herbst 1943 erwogen werden mußte. Daher auch die Gründung der slowenischen Heimwehr trotz aller Bedenken seitens ihrer Gründer.

Exodus der Slowenen

Die slowenische Heimwehr war ganz anders organisiert als die Dorfabwehr. Das war eine reguläre Armee. Alle Offiziere waren Slowenen, Befehle wurden auf Slowenisch erteilt, alle Militärsymbole stammten aus slowenischen politischen und kulturellen Traditionen. Die neue slowenische Armee zählte am Ende des Krieges zirka 16.000 Mann. Ihre Stützpunkte waren über die Regionen von Dolenjska und Notranjska, aber auch von Gorenjska und Pri-morska verstreut. Sogar ehemalige kommunistische Partisanen sprechen heutzutage anerkennend von tapferen Soldaten. Die Armee bestand größtenteils aus jungen Leuten im Durchschnittsalter etwas über 20 Jahre. Es war ihr Verdienst, daß das Land im Frühjahr 1945 größtenteils befreit worden war.

Dann kam das Kriegsende und damit der Ansturm von Titos Divi-sonen aus dem Süden. So mußten die Soldaten der slowenischen Heimwehr ins Ausland ziehen, zusammen mit langen Kolonnen von Zivilisten. Das war der größte Exodus des slowenischen Volkes in der Geschichte. Die besten Leute waren gezwungen, ihre Heimat zu verlassen und über die Karawanken nach Osterreich zu fliehen: Christen und zugleich freiheitsliebende Demokraten; über 10.000 Soldaten und 8.000 Zivilisten befanden sich auf der Flucht, um ihr nacktes Leben zu retten. Bis zum 12. Mai war die Flucht nach Österreich beendet.

Gut 14 Tage nachher fing man an, die Flüchtlinge aufgrund eines Abkommens zwischen hohen britischen Offizieren und Politikern und kommunistischen Delegierten in die Heimat zu transportieren. Alles erfolgte unter dem Vorwand, daß man sie nach Italien zur Reorganisation bringen wollte; durch Lug und Trug wurden sie auf Lastwagen verladen und nach Pliberk (Bleiberg) und Po-drozica gebracht, wo sie ihrem Todfeind übergeben wurden. Von dort begann ihr Kreuzweg in das Land, das sie kurz vorher noch verteidigt hatten. Der Kreuzweg endete in Sent-vid bei Ljubljana, in Teharje und in unzähligen Grotten und Höhlen und verlassenen Bergwerkstollen und Gruben: Brezarjevo brezno bei Ljubljana, Kocevski Rog (Gottschee), Las-ko, Hrastnik.

Alle erlebten dasselbe Ende: im slowenischen Holokaust. Auf bolschewistische Art wurden sie ermordet, wie die Polen in Katyn, mit einem Schuß in den Nacken: Tausende slowenische Soldaten, viele Frauen und Mädchen, die in ihrer Begleitung waren. Stille und Schweigen wurden über sie verhängt. Fünfzig Jahre lang! Die Totenscheine der im slowenischen Holokaust ermordeten Domobranci wurden noch nicht ausgestellt. Auf Orlov vrh in Ljubljana, sieht man noch heute den verwüsteten und geschändeten Friedhof der im Krieg gefallenen slowenischen Domobranci. Quo usque tandem?

Der Autor,

Professor in Laibach, ist Herausgeber von „Zaveza”, dem Organ der Überlebenden des Holokausts von 194S.

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