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Bei evangelischen Nachbarn

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Die Verfasserin dieses Artikels gehörte der österreichischen Delegation des Evangelischen Oberkirchenrates an, die über Einladung der slowakischen lutherischen Kirche während der Pfingstwoche 1964 deren Gemeinden bereiste.

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Es war einmal: das Königreich Böhmen, die Markgrafschaft Mähren, das Herzogtum Schlesien und die zum Königreich Ungarn gehörenden Gebiete der Slowakei und dei Karpatho-Ukraine — vereint irr Jahre 1918 zur ersten tschechoslowakischen Republik. Der Anschluß dei sudetendeutschen Gebiete an Großdeutschland, das Protektorat Böhmen-Mähren und die selbständige Slowakei hatten einen kurzen Bestand. Sie wurden 1945 nach dem Zusammenbruch des Dritten Reiches zur Zweiten Tschechoslowakischerl Republik vereinigt, die Karpatho-Ukraine an die UdSSR abgetreten Die heutige CSSR zählt etwa 14 Millionen Einwohner, von denen — abzüglich kleinerer religiöser Gruppen und der Konfessionslosen —viel Fünftel der römisch-katholischen und ein Fünftel den protestantischer Kirchen angehören, und zwar zähll die slowakische Evangelische Kirche A. B. (Slovenska evanjelicka cirkes A. V.) 450.000, die Evangelische Kirche der Böhmischen Brüder (Ce-skobratrska cirkev evangelicka) — zu dieser Gemeinschaft haben sicr die böhmisch-mährischen Brüder mil den Reformierten zusammengeschlossen — 350.000, die Reformierts Christliche Kirche in der Slowake: (Reformovana krestanska cirkev ni Slovensku) — in Mehrheit Magyaren — 120.000 und die Schlesische Evangelische Kirche A. B. (Slezskf evangelicka cirkev A. V.) 50.000 Seelen. Weiters existiert eine nach derr

ersten Weltkrieg entstandene tschechische Nationalkirche mit ursprünglich 1 Million Seelen, die sich auf der Suche nach festen dogmatischen Formen den Protestanten nähert, und schließlich eine Orthodoxe Kirche mit ihrem Metropoliten in Prag, die 1953 mit der griechisch-katholischen Kirche uniert wurde.

Die Grundeinheit der slowakischen lutherischen Kirche ist die Gemeinde, mit dem auf Lebenszeit gewählten Pfarrer und dem Inspektor an der Spitze, von denen alle Rechtsgewalt in der Kirche ausgeht. Sie wählen die Verwaltungsorgane, bestehend aus Gemeindekonvent, Ge-meindepresbyterium und Gemeindevorstand. Der Gemeindekonvent entscheidet in Fragen, die das religiöse Leben in der Gemeinde und die materiellen und anderen Fragen betreffen. Mehrere benachbarte Kirchengemeinden bilden ein Seniorat, das ähnlich wie die Gemeinden aufgebaut ist, das heißt, es hat einen Konvent, ein Presbyterium und einen Vorstand. In der Slowakischen Evangelischen Kirche A. B. gibt es 15 Seniorate, davon sechs im Ostdistrikt und neun im Westdistrikt. An der Spitze jedes Distriktes stehen ein Bischof und ein. Distriktsinspektor. Außer diesem Vorstand arbeitet im Distrikt ein Distriktsrat. An der Spitze des Ostdistriktes steht gegenwärtig Bischof Dr. Stefan Kat-lovsky, an der Spitze des Westdistriktes Dr. A. L. Katina.

Die lutherische Kirche der Slova-kei ist Mitglied des Weltkirchenrates, des Lutherischen Weltbundes und des ökumenischen Rates der Protestantischen Kirchen in der Tschechoslowakei. Zahlreiche ausländische kirchliche Besuche dienen einem regen Erfahrungsaustausch.

Große Aufmerksamkeit wird der slowakischen Bibelübersetzung ge-

widmet. Bis vor kurzem wurde nämlich die Bibel in der Sprache der Kralitzer Bibel gelesen. Nach der zweiten Ausgabe der slowakischen Übersetzung des Neuen Testamentes und nach der Herausgabe der Übersetzung der Psalmen arbeitet die Übersetzungskommission gegenwärtig am Alten Testament. Für die wissenschaftlich theologische Arbeit steht den Angehörigen der evangelisch-theologischen Fakultät eine der wertvollsten kirchlichen Bibliotheken Europas zur Verfügung, deren Bücher von Inkunabeln bis zu den letzten Editionen der Gegenwart reichen.

1949 wurde das Verhältnis zwischen Staat und Kirche festgelegt. Ein staatliches Amt im Prager Ministerium für Schule und Kultur ist für die Einhaltung der Vertragsbestimmungen zuständig. Der Pfarrer benötigt zur Ausübung seines Amtes die staatliche Bestätigung. Der Staat garantiert die wirtschaftliche und soziale Sicherstellung der Amtsträger, das heißt, er bezahlt vom Generalbischof bis zum jüngsten Vikar die Gehälter, Krankenkasse und so weiter und später die Pensionen als Ersatz für den von ihm seinerzeit eingezogenen kirchlichen Grund-und Hausbesitz. Die Gemeinde hingegen überläßt dem Pfarrer die Stolagebühr und stellt ihm eine Na-turalwohnung mit Licht und Beheizung sowie einen Garten im Höchstausmaß eines Hektars zur Verfügung.

Das Verhältnis zu der zahlenmäßig dominierenden römisch-katholischen Kirche, das in der Zeit der Selbständigkeit der Slowakei erheblich getrübt war, hat sich gebessert.

Gegenwärtig besitzt die slowakische lutherische Kirche keine diakonischen Werke, da diese im Jahre 1949 verstaatlicht wurden.

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