6708485-1964_11_04.jpg
Digital In Arbeit

Bemerkenswerte Elastizitt

Werbung
Werbung
Werbung

Der Aufschwung des Warenverkehrs mit Großbritannien brachte zuletzt die Wendung, daß vom österreichischen Standpunkt nicht nur die Schweiz als der wichtigste Partner des EFTA-Handels erscheint, sondern gegenwärtig auch Großbritannien, das heute im höchsten Maße an einer Aktivierung des Zonenhandels interessiert ist.

Die Verteilung der einzelnen Warengruppen auf die verschiedenen Ländergruppen — EFTA, EWG, Übersee, Ostblock und die sogenannten europäischen Randstaaten — zeigt außerordentliche Verschiedenheiten, weil der Export eine bemerkenswerte Elastizität besitzt, vorwiegend dank der Vielgestaltigkeit des österreichischen Angebots sowie dem Individualismus der europäischen und überseeischen Staatenwelt. Der Rückschlag in einem Land wird oft durch Fortschritte in anderen Absatzgebieten ausgeglichen. Es wäre falsch, alle Staaten und Warengruppen in ein Schema zu pressen oder über einen Leisten zu schlagen. Ein gutes Beispiel bietet im Augenblick der Absatz von Eisen und Stahl, der durch die Mitte Februar in Kraft gesetzten Zollerhöhungen der Montanunion vor einer Belastungsprobe steht. Der Export erreichte von Jänner bis Oktober einen Gesamtwert von 4183,9 Millionen Schilling (—8,2 Prozent), wobei die Lieferungen nach der EWG 1900,3 Millionen (—11,5 Prozent) und nach der EFTA (ohne das assoziierte Finnland) 672,4 Millionen Schilling (plus 6.8 Prozent) erreichten, während der sehr erhebliche Rest auf Übersee, den Ostblock und die neuen europäischen Randstaaten entfiel. Zwar dürfte sich der Anteil der EWG — der nur 45,4 Prozent des Gesamtexportes an Eisen und Stahl umfaßte — weiterhin verringern, aber nach der Handelsstatistik gibt es einige Ersatzmärkte. Den Beweis brachte gerade der Export nach Großbritannien, der sich von Jänner bis Oktober plötzlich vervielfachen konnte.

Im Ausland werden von interessierten Kreisen systematisch Gerüchte über den bevorstehenden Austritt Österreichs aus der EFTA verbreitet, damit die Zweite Republik, die als erste Vorleistung möglichst bald den Zolltarif des Gemeinsamen Marktes übernehmen soll, eine weitgehende Annäherung an die EWG durchführen könne. Eine Mitgliedschaft an beiden Wirtschaftsgruppen erscheint natürlich ausgeschlossen. In Wirklichkeit ist eine rasche Entscheidung in Brüssel gar nicht zu erwarten, weil die EWG die Kennedy-Runde des GATT hinter sich bringen muß, aber auch die bereits beschlossenen und noch bevorstehenden Zollerhöhungen neue Konflikte mit den Vereinigten Staaten zur Folge haben dürften. Natürlich könnte das Arrangement mit der EWG auch in Form eines Handelsabkommens oder eines Rahmenvertrags mit variablen Kontingenten erfolgen. Eine voreilige Diskussion der Frage, ob Österreich aus der EFTA austreten sollte, verursacht dem Außenhandel entschieden beträchtliche Schäden; denn in Skandinavien, Großbritannien und der Schweiz beginnen Handel, Gewerbe und Industrie bereits darüber nachzudenken, daß alle Bemühungen um eine Steigerung des Warenverkehrs mit Österreich eigentlich zwecklos wären, sobald der Zonenhandel aufhören und Österreich zur EWG „überlaufen“ sollte. Die Öffentlichkeit müßte sich jedenfalls Rechenschaft ablegen, daß der Ubergang von der EFTA zur EWG zwar eine gewisse Sicherung der Exporte nach Westdeutschland und Italien bringen mag, aber zugleich höhere Zölle in Skandinavien, Großbritannien und der Schweiz, weil die gegenwärtigen Reduktionen zwischen den EFTA-Partnern für Österreich natürlich annulliert würden, entweder plötzlich oder im Laufe einer bestimmten Übergangsfrist. Unter allen Umständen drohen Exportverluste, womit die Fortschritte der vergangenen Jahre verlorengehen.

Wahrscheinlich werden aber diese Probleme niemals akut, weil nach der GATT-Runde, der Westdeutschland, Holland und Italien — selbst gegen den Widerstand Frankreichs — unbedingt zu einem Erfolg verhelfen möchten, automatisch die Frage nach dem künftigen Verhältnis der EWG zu allen Drittländern auftauchen muß. Vom historischen Standpunkt dürfte es daher richtiger sein, den Alleingang nach Brüssel nicht als eine handelspolitische Neuorientierung, sondern zunächst als eine rechtzeitige und gründliche gegenseitige Information über die verwickelten Probleme zu bewerten, die späterhin ohnedies in einem großen Rahmen gelöst werden müssen. Die handelspolitische Zweiteilung des freien Europa ist nämlich für die Dauer unhaltbar.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung