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Bergisel-Bund: letzter Akt?

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Organisationsverhältnis der ÖBB zum Staat:

„Auf Grund des Behördenüberleitungsgesetzes vom 20. Juli 1945 obliegt der dem Bundesministerium für Verkehr und Elektrizitätswirtschaft als Sektion II eingegliederten Generaldirektion der ÖBB die Verwaltung der ÖBB.“

Der Generaldirektion sind zwölf Ämter und Zentralstellen direkt unterstellt. AH das, was unsereinen so sehr von der Bahn entzückt: Bahnhöfe, Schienen und Züge, Lokomotivführer

und Schaffner, unterstehen den vier Bundesbahndirektionen in Wien, Linz, Innsbruck und Klagenfurt, die ihrerseits der Generaldirektion „nachgeordnet“ sind.

Das Verhältnis zum Ministerium und die Organisation der Post sind ungefähr die gleichen wie bei den ÖBB. Nur befinden sich unter den der Generaldirektion unterstehenden Post- und Telegraphendirektionen auch noch eine in Graz und ein Inspektorat in Salzburg. Den Post- und Telegraphendirektionen unterstehen insgesamt 2267 Post- und Telegraphenämter,

410 Posthilfsstellen, 12 Telegraphen-bauämter, 6 Fernmeldebetriebsämter und 5 Rundfunkämter.

Bei dieser Gelegenheit sei gleich eine sicherlich naive, aber doch eben immer wieder aufsteigende Frage gestellt: Warum oder wozu besitzen ÖBB und Post getrennte Autobusbetriebe?

In einem folgenden Artikel sollen die zwei anderen Sektionen des Ministeriums sowie dessen besondere Problematik behandelt werden. Diese ist insofern besonders und interessant, als sie keine österreichische, sondern eine internationale Problematik ist.

Als vor acht Jahren auf Anregung des verstorbenen Südtirolfachmannes Univ.-Prof. Dr. Reut-N i c o 1 u s s i, des Chefredakteurs des katholischen „Volksboten“, Dr. Benedikt Posch, und auch des Innsbrucker Rechtslehrers Universitätsprofessor Dr. Franz Gschnitzer der Bergisel-Bund ins Leben gerufen wurde, geschah dies zu dem Zwecke, daraus einen Schutzverband für Südtirol auf breiter Basis werden zu lassen, in dem Sinne, daß die österreichische und die Weltöffentlichkeit auf das Problem Südtirol aufmerksam gemacht werden und den Südtirolern geistige und kulturelle Hilfe zuteil werden sollte. Daß diese Hilfe auch eine politische zu sein hatte, liegt auf der Hand. Besonders wurde dabei daran gedacht, Südtirols berechtigte Ansprüche auch durch entsprechende Ausarbeitung von Unterlagen zu untermauern und damit zwischenstaatliche Verhandlungen zu erleichtern und zu fundieren.

Der Bergisel-Bund breitete sich rasch aus und erreichte schließlich zu-

letzt eine Mitgliederzahl von rund 24.000 Mitgliedern in ganz Österreich, was zwar nicht besonders viel, aber doch einigermaßen beeindruckend ist. Relativ am stärksten wurde dabei der Landesverband Oberösterreich (Ortsgruppe Ried: 1100 Mitglieder). Zahlreiche Schriften und Publikationen in in- und ausländischen Zeitungen wurden zu einer. wertvollen Propagandawaffe im Bemühen um „Gerechtigkeit für Südtirol“. Der Tiroler Landesarchivar Dr. Eduard W i d m o s e r, mit dessen unbestreitbarem Idealismus leider nicht die Einsicht über die Klarheit des Weges Schritt halten sollte, wurde als geschäftsführender Bundesobmann die zentrale Person im Verband, dessen formelle Obmannschaft später Professor Dr. Gschnitzer übernahm. Als der damalige Außenminister Dr. F i g 1 im Frühjahr 1959 vor dem Nationalrat seine große Rede über Südtirol hielt, hätte niemand geglaubt, daß je zwischen Regierung und Bergisel-Bund Divergenzen grundsätzlicher Art auftreten könnten.

Zwei Arten von Radikalismus

Diese Divergenzen traten erst auf, als sich in den Bergisel-Bund radikale Elemente einschlichen. Dabei muß man zwei Arten von Radikalismus unterscheiden: '-i •

• einen Radikalismus in Bezug -auf die in Südtirol selbst einzuschlagende politische Linie und

• einen Radikalismus im Sinne einer rechtsextremistischen Bewegung.

Der Nordtiroler Landesverband wollte, tirolischem Temperament entsprechend, sozusagen scharfe Töne anschlagen und proklamierte das Schlagwort von der Selbstbestimmung. Damit war aber leider nicht gemeint, daß die Südtiroler selbst bestimmen sollten, ob sie endlich die ihnen versprochene volle Autonomie der Provinz Bozen bekämen oder was sonst ihnen vorschwebte, vielmehr wurde unter Selbstbestimmung eine Grenzveränderung, die Rückkehr Südtirols zu Österreich, verstanden. In einer recht dramatisch verlaufenen Länderkonferenz in Linz vor zwei Jahren letzte sich schon damals der Standpunkt des Landesverbandes Vorarlberg gegen die radikalen Kräfte, einschließlich des damals besonders radikalen Landesverbandes Wien, durch. Es wurde die Forderung des Selbstbestimmungsrechts = Rückkehr Südtirols zu Österreich abgelehnt und lediglich als Fernziel bezeichnet. Dies entsprach auch dem Standpunkt des Außenministers Dr. K r e i s k y. der r's zum korporativen Rückzug der SPÖ aus dem Bund. Mitglied und sogar Vorstandsmitglied des Wiener Landesverbandes war. Er wünschte keine internationalen Konflikte und beschränkte sich richtigerweise auf die Forderung nach voller Landesautonomie Bozens, losgelöst von Trient. Dasselbe forderten die Südtiroler selbst im Rahmen einer Landesversammlung den Südtiroler Volkspartei. In Österreich mehrten sich die Stimmen, die sagten, man solle nicht mehr fordern, als die Südtiroler selbst verlangten.

Widmosers Alleingang

Leider fand sich der geschäftsführende Bundesobmann Dr. Wid-moser mit diesem Linzer Beschluß nicht ab, sondern ließ ihn in einer geänderten Fassung in die Presse gehen, wodurch ein falscher Eindruck entstand. In weiterer Folge wurde Doktor Widmoser immer mehr auf den Weg des Extremismus gedrängt, der letztlich auch an den Gewaltakten in Südtirol deshalb nicht unschuldig Ist,

weil er die psychologische Stimmung dafür vorbereitete. Formelle Absagen des Bergisel-Bundes an solche Gewaltakte sind zwar erfolgt, wurden aber solange nicht geglaubt, als Dok-itot Widmoser Geschäftsführer blieb. '

Zu diesen Radikalen, unter denen sich erweislich auch glühend-österreichische Patrioten bis zu den Monarchisten befinden, stießen dann aber rechtsextreme Kreise, für die der Ausdruck „neonazistisch“ dem Geiste nach auf jeden Fall zutrifft. Viel Unheil stiftete dabei die in Lindau in den „Palm-Schriften“ vor einem

Jahr herausgebrachte Südtirolschrift des Schweizers Franz Burri, der zwischen 1933 und 1938 von der Schweiz aus eine wüste Hetze gegen die Regierung Schuschnigg betrieb, für eine Machtergreifung des Nationalsozialismus in Österreich eintrat und dessen jetzige Schrift noch immer keine tiefgreifende Abkehr von den damaligen Ideen erkennen läßt. Der Grazer Prozeß ergab nun als Tatsache eine merkwürdige Überschneidung beider radikaler Gruppen und damit eine Diffamierung des Bergisel-Bundes im ganzen.

Es war fällig, daß der Bundesvorstand allen diesen Extremisten eine Absage erteilte. Das bezweckte ein Antrag Dr. Poschs am 3. Februar 1962. Er wäre, wie man heute weiß, angenommen worden, hätten einige Schwankende, denen ein paar Sätze dieser Absage an jeden Nationalismus und Neonazismus zu schroff klangen, gewußt, daß Prof. Gschnitzer diesen Antrag als Kabinettsfrage ansah und mit ihm noch einige andere Bundesleitungsmitglieder. Niemand sprach dies aber rechtzeitig aus. Obwohl gewichtige Landesverbände, wie Wien-Niederösterreich, Oberösterreich und Vorarlberg, für den Antrag Dr. Poschs waren, blieb dieser in der Minderheit, was dann zur Sezession von Professor Gschnitzer führte.

Vielleicht hätte sich noch das meiste friedlich bereinigen lassen, wenn nicht einige Wiener Blätter vertrauliche Informationen aus der Bundesvorstandssitzung vom 3./4. Februar 1962 erhalten und dann mit verfälschtem Inhalt wiedergegeben hätten. Der ÖVP-Abgeordnete zum Nationalrat, Franz Kranebitter, ein tief religiöser Bauer aus Ober-lienz und österreichischer Patriot, blieb wegen einer wohl klärungsbedürftigen Äußerung vor solchen Verfälschungen (durch die „Arbeiter-Zeitung“) nicht verschont und war genötigt, in den „Tiroler Nachrichten“ vom 24. Februar sich dagegen zu verwahren.

Eine mißlungene Pressekonferenz

Vollends in eine Sackgasse geriet man, als Dr. Widmoser eigenmächtig in Wien eine Pressekonferenz veranstaltete, der er sich in keiner Weise gewachsen zeigte, und in der er leider auch das erwartete Bekenntnis zu Österreich und zur Legalität vermissen ließ. Daß er daraufhin als Bundesgeschäftsführer zurücktrat, war die logische Folge. Obwohl er schon früher manch schweren Fehler begangen hatte, wie in einer Rede in Solbad Hall mit Androhung von Aktionen in Südtirol oder in einer gegen Vorarlberg und seine Bistumswünsche gerichteten Erklärung, machte ihn erst seine Wiener Pressekonferenz wirklich unmögjich.

Kranebitters undankbare Mission

Verschiedene Kräfte im Bergisel-Bund, insbesondere die Landesverbände Wien-Niederösterreich und Oberösterreich, die nicht unmaßgeblichen Beamten des Südtirolreferates der Tiroler Landesregierung im Akademikerrang, aber auch die Landesobmänner von Salzburg und Vorarlberg,

forderten die schleunigste Rückkehr Dr. Gschnitzers und der anderen ausgeschiedenen Bundesleitungsmitglieder, jedoch unter Ausschluß Dr. Widmosers, an die Spitze des Verbandes, anläßlich der Vollversammlung vom 25. Februar 1962 in Innsbruck. Es stellte sich bald heraus, daß der wohl entscheidende Landesverband Tirol (und natürlich der radikale steirische Landesverband) dem nicht zustimmten und mit Auflösung des Gesamtverbandes drohten. Damit wäre niemandem, besonders nicht den Südtirolern, geholfen gewesen. Ein Vorarlberger Vorschlag, Abg. Kranebitter an die Spitze einer provisorischen Leitung zu stellen, mit dem Auftrag, binnen sechs Wochen wiederum Prof. Gschnitzer als Bundesobmann zu gewinnen (und damit natürlich auch die drei ausgeschiedenen Innsbrucker Bundesleitungsmitglieder), und zugleich ein Bekenntnis zur politischen und rechtlichen Ordnung Österreichs abzulegen, wurde mit erheblicher Mehrheit angenommen. Er muß als Sieg der Vernunft und einer klaren Mitte angesehen

werden, da die, Gegenstimmen nur deshalb erfolgten (Wien, Oberösterreich), weil nicht sofort wieder Gschnitzer gewählt wurde. Das war aber nicht möglich, da Tirol in diesem Fall mit Sezession drohte. Tirol stimmte aber dafür, daß Gschnitzer in Zukunft, nach Abklärung aller Fragen, wieder Bundesobmann werden solle. Das läßt eine gewisse Hoffnung offen. Sollte sie trügen und Tirols Landesverband nicht zu Gschnitzer zurückfinden, werden die Landesverbände Wien-Niederösterreich und Vorarlberg, die schon diesbezügliche Vorstandsbeschlüsse gefaßt haben, den Verband verlassen und sich vereinsrechtlich selbständig machen. Weitere dürften dann folgen. Sie wünschen nämlich eine klare Absage an jeden Rechtsextremismus und sehen nur in der Rückkehr der Sezes-sionisten eine Gewähr dafür. Als Doktor Norbert Burger in der Vollversammlung vom 25. Februar das Wort ergreifen wollte, schickten sich die beiden Vorarlberger Vertreter sofort an, den Saal zu verlassen, und die beiden Wiener Vertreter verließen ihn sogar, als es (übrigens irrig) schien, daß der Antrag auf Schluß der De-

batte (wegen Burger) abgelehnt worden war. Sollte es Leuten wie Doktor Burger gestattet werden, etwa auf der nächsten Hauptversammlung, auf die er vertröstet wurde, zu sprechen, so wäre ein endgültiger Exodus weiterer maßvoller Gruppen unvermeidbar.

Abg. Kranebitter hat eine schwierige, fast aussichtslose Aufgabe vor sich. Das Begräbnis des Bergisel-Bundes wurde durch einen Kompromißvorschlag mit einer Rekonstruktionsatempause vorerst vermieden. Allein selbst wenn die sechs Wochen auftragsgemäß genutzt werden, bestehen berechtigte Zweifel, ob es jemals gelingen wird, den Verband wieder zu dem zu machen, was er nach seiner Grundidee sein soll.

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