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Bericht vom Gefechtsstand

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Von Dr. Egon H. Seefehlner, Generalsekretär der Wiener Konzerthausgcsellschaft

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Von Dr. Egon H. Seefehlner, Generalsekretär der Wiener Konzerthausgcsellschaft

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Der Zeitpunkt scheint günstig, allgemein die Frage zu erörtern, ob und welch einen Sinn unsere Musikfeste haben. Auch mag es für den Konzertbesucher interessant sein, einmal aus dem Kreis der Veranstalter zu erfahren, welche Ueber-legungen angestellt werden, bevor ein Musikfest zustande kommt und welche Beweggründe die Konzerthausgesellschaft dazu bestimmt haben, in Wien alljährlich Musikfeste zu veranstalten.

Feste sind Feiern, die nur dann Sinn haben, wenn Anlässe gegeben sind. Für uns war der Anlaß die neue Musik, und zwar die neue Musik aus aller Welt und in jedem Stil. Diese war aber seit 1938 gerade in ihren hervorragendsten Erscheinungen abgedrosselt. Was lag näher, als daß Menschen, die mit der Gestaltung des Musiklebens unserer Stadt betraut wurden, sich darüber den Kopf zerbrechen, wie die musikalische Substanz bereichert, wie der Pulsschlag unserer künstlerischen Existenz, der beinahe zum Stillstand gekommen war, wieder belebt werden könnte. Es war dabei von vornherein klar, daß die immer wiederkehrende Aufführung von guter zeitgenössischer Musik nicht ausreichen werde, es war auch klar, daß das ganze Problem mit Rücksicht auf die Fülle der Erscheinungen, die sich inzwischen außerhalb unseres Erfahrungsbereichs angesammelt hatte, eine konsequente und erfolgreiche Pflege der neuen Musik sehr erschweren würde. Es war auch klar, daß die lange Zeit, in der wir fast nichts Neues von Wert gehört haben, in der also versäumt wurde, das große Konzertpublikum beharrlich in den Stil und Geist der neuen Musik einzuführen, die Aufnahmefähigkeit des größten Teiles der Konzertbesucher in außerordentlichem Maße herabgesetzt hatte.

Wir standen also vor der Notwendigkeit, das Publikum an die neue Musik zu gewöhnen und gleichzeitig für diese Interesse zu erwecken. Durch konsequente Ansetzung neuer Werke während der Spielzeit sollte das erstere geschehen, und durch Konzentration von möglichst vielen musikalischen Ereignissen in einem kurzen Zeitraum sowie durch Besetzung der Aufführungen mit hervorragenden Interpreten das letztere. So kam es zum ersten Internationalen Musikfest der Wiener Konzerthausgesellschaft im Frühjahr 1947.

Der künstlerische Erfolg war damals außerordentlich und blieb der Veranstaltung, die in den nächsten Jahren fortgesetzt wurde, in unterschiedlichem Ausmaße treu. Namen und Werke, die damals zum erstenmal zu hören waren, fanden in die Konzertpläne unserer Stadt Eingang und wurden immer mehr zum täglichen Brot unseres Konzertlebens. Die Diskussion um die neue Musik entbrannte und ist bis zum heutigen Tage nicht abgeschlossen. Die naturgegebene Zurückhaltung des Publikums — im übrigen ist dies keine besondere Eigenschaft des Wiener Publikums! — wurde zum erstenmal in fühlbarer Weise herausgefordert. Aber auch die Geister, die am Anfang einig waren, begannen sich zu scheiden.

Einig waren sie am Anfang deshalb, weil es sich noch nicht zur Genüge herausgestellt hatte, daß Musik nur dann Sinn und Zweck hat, wenn sie Qualität besitzt. Dies gilt besonders für ein Musikfest. Qualität ist ferner dann gegeben, wenn das Fest nach einem Gesamtplan entworfen ist und die einzelnen Werke in diesen Plan hineinpassen.

Der Gesamtplan war schnell entworfen — die konsequente Aufführung der Musik des 20. Jahrhunderts, in allen ihren Erscheinungsformen. Die Schwierigkeit begann, als die Grenzen abgesteckt werden mußten. Es war aus erklärlichen Gründen nicht möglich, alles aufzuführen, und es war auch nicht möglich, alles Gute aufzuführen. Bei der Fülle der Werke, die zur Debatte standen, mußte man sich zuerst die Frage stellen: Wo wurde in der Vergangenheit am meisten versäumt, welche Komponisten mußten am raschesten in unser tägliches Musikleben wieder eingebaut werden? Welche Namen geben am ehesten Gewähr dafür, daß das Publikum zur neuen Musik hingeführt wird? Und schließlich eine Hauptaufgabe jedes österreichischen Musikfestes: Wo gibt es Wege und Möglichkeiten bei uns, die in eine Zukunft führen, die unserer stolzen Vergangenheit würdig ist?

Aus diesen drei Grundüberlegungen entstand das Konzept des Musikfestes 1947. Und diese drei Kriterien waren auch maßgebend für alle Musikfeste bis heute.

Es war klar, daß Strawinsky, Hindemith, Bartök, Schönberg und Berg, die in der weiten Welt längst als Meister anerkannt und überall gespielt wurden, bei uns aber vorher nur mit ganz wenigen Werken in Erscheinung getreten und nur mehr vom Hörensagen bekannt waren, mit möglichst vielen Werken vertreten sein mußten. So selbstverständlich den Veranstaltern dies war, so leidenschaftlich wurde uns jetzt von verschiedenen Seiten — gerade wegen der Vorrangstellung, die wir diesen Meistern einräumten — der Kampf angesagt. Der Siegeslauf dieser Meister war aber auch in Oesterreich nicht mehr aufzuhalten, und so kam es, daß heute jedem — auch dann, wenn er sich nur am Rande mit Musik beschäftigt — die Bedeutung der Genannten klargeworden ist.

Welche Komponisten und welche Werke waren dem Aufbau einer modernen Musikpflege im Nachkriegs-Oesterreich dienlich? Auch diese Frage war schwer zu beantworten. Auf der einen Seite sollte die „Kompromißlosigkeit“ besonders anerkannt werden, auf der anderen Seite war es klar, daß man durch Aufführung revolutionärer Werke, die einzig und allein aus dem Zwange des eigenen Schöpfertums geschaffen wurden, unseren Plan dem Publikum unsympathisch und verdächtig machen würde. So haben wir denn auch durch die Aufführung radikaler Werke einen schweren Weg gehabt und die Taktik wiederholt ändern müssen. Wir haben oft fürs erste darauf verzichten müssen, ein Werk auf das Programm zu setzen, das uns im Gesamtplan, also in der Musik des 20. Jahrhunderts, sehr wichtig erschien. Und wir haben uns dadurch oft die Kritik unserer Freunde zugezogen, ohne unsere Widersacher zu versöhnen. Die Richtung aber wurde nicht vergessen.

Am schwierigsten zu beantworten war die dritte Frage: Welche österreichische Komponisten sollten jeweils im Musikfest aufgeführt werden? Die Antwort schien einfach: Natürlich nur die guten! Eine Entscheidung über die Qualität läßt aber viele, viele Entscheidungen zu. Wir haben darum nach bestem Wissen und Gewissen, unter persönlicher Verantwortung, immer nur solche Werke angesetzt, die wir für originell, inspiriert oder zumindest gut gearbeitet gehalten haben. Wir haben versucht, alles das unterzubringen, was aus irgendwelchen Gründen vom musikalischen oder zumindest kulturpolitischen Standpunkt aus wichtig und vertretbar ist. Wir sind uns hierbei bewußt, daß man wiederholt anders hätte entscheiden können, glauben aber gleichzeitig, daß die Wahl doch immer irgendwie sinnvoll und unserem Gesamtplan nützlich war. Nur das konnte für eine verantwortungsbewußte Organisation entscheidend sein.

Aus dem bisher Gesagten dürfte hervorgehen, daß die Aufgabe, die wir uns seinerzeit gestellt haben, zwar naturgegeben war, daß ihre Lösung aber schwierig ist und daß man dabei immer wieder auf Probleme stößt, die von außen gar nicht ohneweiters erkennbar sind. Nur wenige wissen, wie kompliziert alles ist, was mit der Organisation von Musikfesten zusammenhängt, ganz abgesehen von der Problematik des Programmaufbaus. Man macht sich allgemein keine Vorstellung davon, welche Hürden oft genommen werden müssen, um Konzerte mit etwas schwierigeren Programmen durchzuführen. Geeignete Dirigenten, Sänger und Instrumentalisten aller Art sind nur schwer ausfindig zu machen und zu binden. Die finanziellen Bedingungen, unter denen wir in Oesterreich arbeiten, werden von Jahr zu Jahr schwieriger. Dazu kommt, daß man sich in dem Augenblick, da man sich für neue Musik einsetzt, mitten in einem Gefecht befindet und in besonderem Maße an die positive und negative Kritik zu denken hat. So gesehen, erscheinen die Musikfeste als Ergebnis und vorläufige siegreiche Beendigung von vielfältigen Kämpfen um die neue Musik.

Das soeben eröffnete Musikfest 1953 bringt folgende wichtige Erstaufführungen: Claude Debussys „Martyrium des heiligen Sebastian“, Carl Orffs „Trionfi“, Rolf Liebermanns Oper „Leonore 40/45“ (szenisch), Karl Amadeus Hartmanns sechste Symphonie und Igor Strawinskys „Cantata“ für Soli und Frauenchor, ferner eine konzertante Aufführung der Strauß-Oper „Die Frau ohne Schatten“, Alban Bergs Violinkonzert, und als Uraufführung Joseph Mathias Hauers Oratorium „Des Menschen Weg“. Eine große Anzahl weiterer österreichischer und ausländischer Komponisten kommt in den Kammerkonzerten zu Wort. — Wir hoffen, daß auch dieses Musikfest dazu beiträgt, das Verständnis für die neue Musik zu wecken, damit das Ansehen der Musikstadt Wien gewahrt bleibe.

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