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Bericht von der Wachaufront

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„DIE STRASSE STEIGT, DIE FORSTEN FALLEN.” Mit diesen Worten’endet Friedrich von Gagerns berühmter Roman „Die Straße”, in dem er den Einbruch der Zivilisation und all der Uebel, die sie nach sich zieht, in die unberührte Bergwelt der Krain schildert. Ein Gefühl der Resignation liegt über dem ganzen Buch. Diese Gefühl der Resignation kann einen auch überkommen, wenn man in diesen nicht nur der Witterung nach trüben Tagen die Wachau belicht. Die Straße steigt, der ursprüngliche Charakter des Donauufers geht verloren, unerbittlich dringen die neue Zeit und der technische Fortschritt in einen stillen, verträumten Landstrich ein.

Die Wachau ist alter Kulturboden, reich an Geschichte und Sagen, reich an Ruinen, Wäldern, Weingärten und Auen. Dies war auch der Grund, warum das Land Niederösterreich da gesamte Gebiet der Wachau als Landschafts- ichutzgebiet erklärte. Diese Schutzerklärung war bitter nötig geworden, wenn man sich auch nicht zuviel von ihr versprechen darf. Denn schon wurde die Wachau durch ein Projekt in ihrem Bestand bedroht, von dem zunächst nur unklare, einander widersprechende Meldungen in die Oeffentlichkeit drangen. Man hörte von dem Projekt einer Donauufer-Rollbahn, das die Wachau dem Verkehr erschließen sollte, einer Autobahn, die die ganze Wachau linksseitig der Donau durchlaufen sollte. Nun, diese Gerüchte stellten sich als übertrieben heraus, das Projekt war harmloser und in Einzelheiten durchaus begrüßenswert. Es wurde auch, wohl dank der heftigen Reaktion breiter Teile der Bevölkerung, im einzelnen modifiziert und stellenweise wirklich an die Erfordernisse der Landschaft angepaßt.

Durch die Wachau führten bisher eine Eisenbahnlinie und eine Autostraße, die beide als Musterbeispiele für eine harmonische Einfügung in die Landschaft gelten dürfen. Bei allen Vorzügen hatte die alte Bundesstraße aber einen Nachteil: sie war für den modernen Verkehr, insbesondere für die großen Autobusse der Reisegesellschaften, zu schmal geworden. Es gab Engstellen, die nicht breiter als 2,75 m waren — in Emmersdorf, Schwallenbach, Wösendorf, Dürnstein: kamen noch die vielen scharfen Winkel, hinzu, in denen die engen Gassen, verliefen, und die hervorkragenden Erker. Es war eine Straße, die hohe Anforderungen an die Fahrkunst ihrer Benützer stellte.

GLÜCKLICHES STÜCK ERDE, das zur Mitte des 20. Jahrhunderts noch verschont geblieben ist von den Ereignissen des Krieges (die alte Straße war für Panzer unbefahrbar f) und vom Lärm der Gesellschaftsreisenden, von der Unruhe hastiger Gruppen, die „alles” von einem Lande gesehen haben wollen, möglichst in acht Tagen! Glückliche Stück Erde, das sich nur dem aufschloß, der sich Zeit nahm, dort hinzufahren mit der Bahn oder dem Schiff, der sich vor der Schwierigkeit, ein- oder zweimal umzusteigen, nicht scheute, der schließlich auch gerne wanderte, um am Abend in einem kleinen Gasthof einzukehren zu einem Gla Wein …

Aber de einen Freud ist des andern Leid. Dieses schöne Stück Erde soll auch denen aufgeschlossen werden, die die Mühe, es aufzusuchen, bisher scheuten, der Fremdenverkehr soll gehoben, der Umsatz der Gastwirte und Weinhauer gesteigert werden, Geld soll ins Land fließen. Dagegen ist wenig zu sagen, nur dies: Daß jede Aufschließung einer alten Landschaft immer auch eine Veränderung der Landschaft nach sich zieht. Schon das, was wir beobachten, verändern wir. Diesem Satz des Physiker Heisenberg kommt allgemeine Gültigkeit zu. Um wieviel mehr verändern wir den Charakter einer Landschaft, durch die wir eine moderne Autobahn legen!

REKAPITULIEREN WIR KURZ die Geschichte der neuen Stein-Emmersdorfer Bundesstraße, wie die amtliche Bezeichnung lautet (Wachaustraße heißt die rechtsseitig der Donau verlaufende Bundesstraße). Sie ist eine Lieblingsidee des aus Langenlois stammenden Landeshauptmannstellvertreter Ing. K a r g 1, dem viel daran liegt, daß seine engere Heimat Anschluß an die neue Zeit findet. Da der Bau einer neuen Straße durch die Wachau die Möglichkeiten des Landes Niederösterreich weit überschritt, konnte an die Durchführung des Projektes nur gedacht werden, wenn der Bund den Straßenbau übernehmen würde. Dies geschah im Juli 1954: die Stein-Emmersdorfer Straße zwischen Brückenkopf Stein und Rollfähre Melk in einer Länge von 33,7 km wurde Bundesstraße. Noch aus einem zweiten Grunde lag Landeshauptmannstellvertreter Ing. Karg], der in der niederösterreichischen Landesregierung für Straßenbau zuständig ist, am Bau dieser neuen Straße, für die sich bald die Bezeichnung „Donau-Ufer-Rollbahn” durchsetzte: „Die andere, rechtsseitige Wachaustraße”, erklärte er bei einer Pressekonferenz, „wäre sowieso gebaut worden. Aber diese wäre dann nicht gebaut worden.

In der Bevölkerung der Wachau wurde sie — nach einigen hitzigen Versammlungen — zwar mehrheitlich bejaht; aber nur, wenn sie nicht auf dem eigenen Grundstück, sondern auf dem des Nachbarn verlief. Vom eigenen Grund wollte — verständlicherweise — jeder sowenig wie möglich hergeben. So wurde die Straße immer mehr an das Ufer herangedrückt. Am liebsten wäre es allen gewesen, sie wäre über dem Strom verlaufen.., Aber das war leider unmöglich.

Außerhalb der Wachau stieß die „Donau- Ufer-Rollbahn” — diese Bezeichnung wurde amtlicherseits, angesichts der Kritik, die sie hervorrief, bald fallengelassen — auf mitunter heftigen Widerstand. Die Wachau, so wurde argumentiert, gehöre nicht nur den Wachauern, sondern ganz Oesterreich. Sie dürfe nicht zerstört werden, denn dadurch hätten die Wachauer auf lange Sicht selbst am meisten zu leiden. Kurzsichtige wirtschaftliche Gründe dürften nicht allein den Ausschlag für den Bau einer Straße geben. Eine „Betonschlagader werde auf die Dauer die Wachau selbst erschlagen …

ANGESICHTS DIESER KRITIK wurde von den Straßenerbauern der deutsche, Landschaftsplaner Professor Seifert herangezogen. „W e g vom Strom mit der Straße” war der Tenor seines Gutachtens. Die Trassenführung der neuen Straße soll so weit wie nur möglich vom Strom verlaufen, damit die Ufer in ihrer ursprünglichen Gestalt erhalten bleiben und die Einheit von Strom und Landschaft nicht zerstört wird. Ihr idealer Verlauf wäre der der alten Straße gewesen, die weitgehend der Kulturgrenze zwischen Feldern und Gärten auf der Uferseite und Weinterrassen auf der Bergseite entlangführte.

Seiferts Gutachten, das auch vom Kunstsenat, vom Bundesdenkmalamt, von der Nafur- schutzbehörde des Landes und allen einsichtigen greisen unterstützt wurde, kam aber zu spät, als daß noch viel geändert werden konnte. Vielleicht wollte man auch nicht mehr viel ändern: denn der Widerstand der einheimischen Bevölkerung gegen einen anderen Verlauf als den am Ufer war stärker als der Widerstand der konsultierten Persönlichkeiten und Institutionen, So blieb in vielen Fällen keine Wahl: sollte dig Straße gebaut werden, mußte sie am Ufer gebaut werden.

Die neue Straße wird zu 55, Prozent am Ufer verlaufen, zu 45 Prozent landeinwärts. Die 5 5 Prozent gliedern sich in 30 Prozent, wo die Straße unmittelbar am Ufer verläuft, und 25 Prozent, wo sie bis zu 20 Meter landeinwärts geführt wird. Nur 30 Prozent folgen dem Verlauf der alten Straße. Die Straße wird 6 Meter breit sein (Fahrbahn), außerdem wird ein Radweg geführt. (Daneben, wenn möglich, beiderseits 1,25 Meter breite Grünbankette.) Auf eine Strecke von insgesamt 23 Kilometer (70 Prozent der Gesamtbaulänge) aber wird der landwirtschaftliche und der Radfahrverkehr auf der alten Bundesstraße erfolgen. Der Fußgängerverkehr wird auf dem etwa 2 Meter breiten

Treppelweg, der der Schiffahrt zum Treideln dient, erfolgen. Die Baukosten sind für die gesamte Straße (inklusive Brücken- und Tunnelbau) mit 15 8 Millionen Schilling veranschlagt, auf einen Kilometer Straße entfallen im Durchschnitt 4,6 Millionen Schilling. Die Straße wird für eine Geschwindigkeit von 60 km/h gebaut.

Der Verlauf der Straße unmittelbar am Ufer bedeutet: kein Badestrand, keine Möglichkeit, am Ufer Ruheplätze zu finden. Für den Verkehr: Gefahr der Ueberschwemmung der Straße bei Hochwasser. Die Straße absolut hochwasserfrei zu bauen, wäre zu kostspielig gewesen. Es bleibt aber anzuerkennen, daß der Plan besteht, wo irgendmöglich zwischen Donau und Straße entsprechendes Vorland zu belassen, so daß wenigstens streckenweise von einer „landschaftsgebundenen” — d. h. auf die Landschaft Rücksicht nehmenden -- Straße gesprochen werden kann. Wir wollen uns überraschen lassen…

DIE NEUE BUNDESSTRASSE hat noch drei neuralgische Punkte aufzuweisen. Für einen wurde bereits eine gültige Lösung gefunden: für den zweiten zeichnet sie sich ab; für den dritten sieht es bis jetzt, wenn nicht noch im letzten Moment eine Wendung eintritt, wenig erfreulich au . Diese drei Punkte sind: Dürnstein, Spitz, St. Michael, į”‘ Das Projekt der Stein-Emmersdorfer Bundesstraße sieht vor, daß alle Orte uferseitig umfahren werden. Eine Ausnahme sollen nur Dürnstein und Spitz — und leider nicht auch St. Michael — bilden.

Die Umfahrung von Spitz ist die einzige Stelle der neuen Straße, wo die Planung, wie es heißt, noch nicht endgültig festgelegt ist. Wenn nicht alles täuscht, wird sich die mittlere Variante durchsetzen, die eine Trassenführung durch die zwischen Strom und Ortschaft gelegenen Gärten vorsieht — was in jeder Hinsicht zu begrüßen wäre, da mehr als ein bloßer Respektabstand zum Strom gewahrt bleibt. Während die Straße schon’zu Ende 1958 fertig .sein soll, ist der Ausbau der Umfahrung Spitz erst für das Jahr 1959 projektiert.

Dürnstein wird keine Umfahrung, sondern eine Unterfahrung haben. Das Tunnelprojekt, von der „Furche” stets als das einzig denkbare gefordert, hat sich durchgesetzt. Heuer im Juni wurden die Arbeiten an diesem Tunnel, der mit 45 5 Meter der längste Straßentunnel Oesterreichs sein wird, in Angriff genommen. Ende Oktober erfolgte der Stollendurchschlag. Dadurch ist die Erhaltung Dürnsteins in seiner ursprünglichen Gestalt gesichert.

Keine befriedigende Lösung aber wurde bisher für das zwischen Spitz und Dürnstein gelegene St. Michael gefunden. Die Lösung, die hier Platz greifen soll, ist keine — das Bild auf dieser Seite wird dies bestätigen. Die geplante Trasse verläuft unterhalb der alten Straße unmittelbar am LIfer; und zwar sollen den Felsen Bogen (!) vorgebaut werden, über die die Straße führen soll. Blickt man jetzt vom Friedhof neben der alten Wehrkirche zum Strom, so schaut man über einen etwas verwilderten Obstgarten hinweg. Eine Stimmung liegt hier über diesem stillen Fleck Erde, die unbeschreiblich ist: Wehrkirche, Friedhof. Strom: das sind Ruhe, Dauer, Gleichmaß. Zeitlosigkeit. Man kann sich nicht vorstellen, daß an Stelle des wilden Gartens, des wild wuchernden Lebens unter dem Friedhof, einmal der Verkehr dahin- brattsen wird.

Sollte es nicht doch möglich sein, daß einer der schönsten Punkte Oesterreichs uns erhalten bleibt? Sollte sich nicht auch für St. Michael bei einigem guten Willen eine annehmbare Lösung wie für Dürnstein finden lassen?

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